Die Lüge als Klammer der Gesellschaft oder ….. und nichts als die Wahrheit!

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Zunächst einmal zum Begriff „Wahrheit“. Er ist im Lexikon nachzulesen:

Wahrheit: Die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Da dieser stets ein bestimmter ist, kann die Übereinstimmung nur durch Vergleichung mit ihm, nicht aber nach allgemeinen Regeln erkannt werden. Daraus folgt, daß es kein allgemeines Kriterium der Wahrheit geben kann, das für alle Erkenntnisse ohne Unterschied ihrer Gegenstände gültig wäre.

Das bringt uns aber nicht weiter, weil es nur eine abstrakte Analyse ist. Der Volksmund relativiert den Begriff „Wahrheit“ für meine Gedanken besser wie z. B. „die ganze Wahrheit“; demnach muß es ja auch eine „halbe Wahrheit“ geben. Die nackte Wahrheit – das ist wohl die Steigerung von ganze Wahrheit? Dann gibt es in unserem Sprachgebrauch noch die Unwahrheit, also das Gegenteil von Wahrheit, wie ja bei unserer Sprache die Vorsilbe “un“ dafür da zu sein scheint, das „Gute“ oder „Normale“ ins Gegenteil zu versetzen: Mensch – Unmensch, Wetter – Unwetter, Geist – Ungeist, un .. un .. un .. und natürlich eben Unwahrheit.

Bei der Lüge gibt es kein „Un“. Lüge ist Lüge, eben die Unwahrheit, aber auch hier relativiert der Volksmund: Es gibt die Notlüge, die fromme Lüge, die infame Lüge (meist von Politikern so kommentiert), die gemeine Lüge und die schlimmste Form in ihrer Auswirkung: die Lebenslüge. Es ist die tragischste aller Lügen, weil es ein sich selbst belügen ist, der Stoff von dem Theater und Literatur seit jeher leben.

Nun also zum Detail. In einer Schülerumfrage der Zeitschrift „Eltern“ v. 24.8.95, abgedruckt im Hamburger-Abendblatt, heißt schon der Titel: „Mit Lügen lebt’s sich leichter“:

„Ich bin total gegen Lügen. Aber es geht oft nicht ohne Schummeln.“ Der Neunjährige ist mit seiner Meinung nicht allein. 68,6 Prozent von 1830 befragten Schülern sind der Meinung, daß man nicht immer ehrlich sein kann. Das ergab eine Umfrage der Zeitschrift Eltern. Kinder haben aber auch ein ganz sicheres Gespür für Ehrlichkeit. Immerhin geht sie für 14,8 Prozent der Befragten über alles. Ehrlichkeit kommt von dem Wort „Ehre“, meint ein 13jähriger Realschüler. Ich muß als Mensch Ehrgefühl haben. Wenn ich lüge, habe ich vor mir selbst keine Achtung.“ Daß Ehrlichkeit etwas ganz Besonderes ist, findet auch ein 14jähriger. Nüchterner antwortete ein Zwölfjähriger: „Wer immer ehrlich ist, kommt nicht weit. In der Schule kann ich auch nicht ohne Vorsagen oder Mogeln durchkommen. Der Mensch braucht nun einmal ein bißchen Schwindelei, sonst wäre das Leben langweilig.“ Ein Dreizehnjähriger ist überzeugt: „Abschreiben erlaubt auch der liebe Gott“. Und eine 14jährige weiß: „Mit Lügen ist das Leben leichter.“ Als Beispiel verweist sie auf die Jungen, die versprechen, sie zu heiraten, damit sie sie küssen dürfen. Eine 13jährige: „Von früh auf lernen Kinder, die Unwahrheit zu sagen, weil ihre Eltern bei jeder Gelegenheit etwas sagen, was nicht stimmt. Meine Mutter hatte einen Freund und hat uns gesagt, sie ginge zur Gymnastik. (…)“

Wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern, werden wir dieser Umfrage rechtgeben. Man (Kind) will nicht für jede kleine Unart gestraft werden, also begreift man schon in der Kinderzeit ganz schnell, daß man zunächst dem entgeht (vielleicht klappt es sogar ganz), nämlich daß man nicht ertappt wird. Natürlich sind das zunächst kleine Notlügen, aber es ist schon der Beginn, in der Lüge eine Schutzmöglichkeit zu finden.

Bis zu 200mal lügt der Mensch am Tag“ sagen Psychologen – vom scheinheiligen „Guten Morgen“ im Büro bis hin zur bösartigen Intrige. Heute gibt ein Politiker sein Ehrenwort. Morgen stellt sich heraus: Er hat gelogen. Der Fußballer beteuert vor dem Mikrofon des Reporters: Ich habe ihn (den Gegenspieler) gar nicht berührt, die Fernsehbilder beweisen das Gegenteil. Alle lügen, Dementis sind wertlos: Warum lügen wir? „Weil wir Menschen sind“, sagt Stefan Schulz-Hardt vom Institut für Psychologie der Uni Kiel.

Wir gewichten kurzfristige Folgen nun mal viel stärker als langfristige und lügen, um die Situation zu retten. Daß die Wahrheit später noch herauskommen kann, verdrängen wir (Zitat Schulz-Hardt). Warum tut es uns so weh, eine Lüge einzugestehen? Weil uns anerzogen wurde, zum Gesagten zu stehen, sagt Schulz-Hardt. Wer christlich aufgewachsen ist, vergißt das 8. Gebot nie: „Du sollst kein falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten!“

„Alles Quatsch“, sagt der Wiener Psychologe und Lügenforscher Peter Stiegnitz. Seine These: „Wir können ohne Lüge nicht leben“ und weiter: „Wer immer die Wahrheit sagt, macht es sich unnötig schwer. Soll ich meiner Frau morgens nicht sagen, sie sieht toll aus – nur weil es nicht stimmt?“ Der Professor beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Unwahrheit und rühmt sich, die Mentiologie begründet zu haben, die wissenschaftliche Lügenforschung. Seine Studien belegen: (ich zitiere weiter) Das Lügen beginnt schon beim Kleinkind, das die Vase zerbricht und die Schuld auf die Katze schiebt. Diese Mentalität setze sich fort in Schule und Job. Ausdrücklich erlaubt seien Flunkereien als Komplimente oder um Eifersuchtsstreit zu vermeiden. Es sei ein Zeichen von Intelligenz – außer dem Menschen machten sich diese geniale Fähigkeit nur die Menschenaffen zunutze. Eine Unwahrheit werde erst dann schlimm und verwerflich, wenn die moralische Grenze der „gesunden und notwendigen“ Lüge überschritten sei. Der Professor weiter: Das ist die bewußte Lüge, mit der Absicht, jemandem zu schaden. Soweit der Lügenforscher Prof. Stiegnitz.

Hier noch kleine Beispiele, die täglich stattfinden. Auch in der glücklichsten Ehe oder Partnerschaft gibt es Situationen, wo eine Notlüge der bessere Kitt ist als die Wahrheit … und bei allen großen Worten: „Schließlich sind wir alle kleine Sünderlein, s’war immer so, s’war immer so!“

Auch der sogenannte „ehrbare“ Kaufmann hält sich situationsgemäß wohl auch nicht immer an die Wahrheit, nur wird dies hier schmunzelnd als Schlitzohrigkeit honoriert. Und der bekannte Tagesthemensprecher, Herr Wickert, behauptet in seinem Buch, daß der Ehrliche der Dumme sei. Sein Buch steckt voller Moralpredigten, und er bestätigte dies für die Bereiche Werbung (der Ehrliche ist der Dumme) und Ehe. Wohlgemerkt, ich bin kein Moralapostel, aber wo Wasser gepredigt und Wein getrunken wird, dagegen habe ich allemal etwas.

Das beste Beispiel aber, daß es sich mit Lügen zwischenmenschlich besser umgehen läßt, ist die Umgangsform der „Höflichkeit“, die Spielregeln von Takt und gutem Ton. Natürlich muß hier die „Lüge“ relativiert werden. Es ist oft die fromme Lüge, die gutgemeinte Lüge, aber eben nicht die Wahrheit“, die hinter den meisten Komplimenten steckt, und wenn schon jemand die Spielregel außer acht läßt und die „nackte Wahrheit“ ausspricht, dann ist er eben ein Flegel und ungehobelter Typ, einfach taktlos. Wer sagt schon einem Kranken, daß er sehr schlecht aussähe und ihm (dem Kranken) damit die Hoffnung nimmt, während hier eine kleine fromme Lüge dem andern etwas hilft etc., etc.

Ich habe schmunzelnd vermerkt, als ich, bereits mit diesem Thema beschäftigt, unserem Tennisstar Boris tönen hörte: „Ihr (die Frankfurter Zuschauer) seid das beste Publikum, daß ich je erlebt habe“, und weil der weitgereiste Champion um den Hintergrund dieser Floskel weiß, fügte er hinzu: „ehrlich‘.

Meine Brüder! Ich will hier nichts Negatives auslösen, dazu bin ich ein viel zu optimistischer Mensch mit sehr positiver Einstellung zu den Dingen des Lebens. Mir geht es bei dieser Zeichnung vielmehr darum, mit Augenzwinkern festzustellen, daß das „wahre Leben“, wie es so schön im Volksmund heißt, eben anders aussieht. Ich rede hier nicht der Unehrlichkeit, der Unwahrheit, der Lüge das Wort. Es macht mir aber sehr viel Spaß, an den Sockeln einiger phrasen-dreschender Zeitgenossen zu rütteln. Natürlich wären Liebe, Brüderlichkeit und Frieden die schönste Klammer der Gesellschaft, aber es wird wohl ein Wunschtraum bleiben. Ihn (den Wunschtraum) immer wieder anzusteuern und nicht aus den Augen zu lassen, ihn in die eigene Lebensführung einzubinden, um ihm näherzukommen, helfen uns unsere freimaurerischen Symbole und Zwiegespräche bei der Tempelarbeit; aber glaubt mir, um mit einem abgewandelten „Fontane“ zu sprechen:

Es ist ein weites Feld, meine Brüder!

 

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