Sufis – Die Freimaurer des Ostens?

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Sufis, werdet Ihr Euch vielleicht fragen? Wer oder was sind diese Leute, und was haben sie mit Freimaurerei zu tun? Sehr viel, wie ich denke.

Mit den Sufis geht es mir ähnlich wie mit den Freimaurern vor meiner persönlichen Bekanntschaft mit Euch, meinen heutigen Brüdern. Oft stoße ich in Literatur und Gesprächen auf diesen merkwürdigen Begriff „Sufi“. Leute, für die ich mich interessiere, beschäftigen oder beschäftigten sich ebenfalls mit dem Sufismus. Auch hatte ich viel von den berühmten Sufi-Geschichten gehört, die Weisheit aus dem fernen Orient enthalten.

Und als ich dann noch in einem Werk las, dass ein Bruder, Richard Burton, den Sufi-ismus als den „östlichen Elternteil der Freimaurerei“ (Shah 2000, S. 164) beschrieb, da war mein Interesse vollends geweckt.

Sehr begeistert war ich dann auch, als ich endlich bei einem Urlaub in der Türkei einer Zeremonie beiwohnen konnte, bei der tanzende Derwische zu rhythmischen Klängen ihre Drehbewegungen vollzogen. Dies war ein tiefbewegender Moment, viele Menschen waren zugegen und erfüllten den Raum mit Gesang und Energie. Dadurch wurde mein Entschluss gestärkt, mehr über diese mysteriösen Menschen zu erfahren.

Als Sufi wird eine Art „vollkommener Mensch“ bezeichnet, ein Mystiker, der bestimmte Erfahrungen gemacht hat. Ein Derwisch ist einer, der sich bemüht, ein Sufi zu werden. Niemand hat das Recht, sich selber als Sufi zu bezeichnen. Dies ist anderen vorbehalten, die weiser und fortgeschrittener sind als er (vgl. Shah 2001, S. 9).

Sufis werden häufig als die Mystiker des Islam bezeichnet. Aber sie sind wohl mehr als „nur“ Mystiker des Islam. Verschiedene Quellen zeigen, dass die Traditionen der Sufis älter, ja viel älter sind als der Islam (Vgl. Shah 2001). Sufismus betont, dass die verschiedenen Religionen nur verschiedene Wege zum Ziel sind. Sufis behaupten, dass ihre geistigen Erfahrungen den Glaubensüberzeugungen aller wahren Religionen entsprechen. (Vgl. Shah 2001, S.12). Daher ist Sufismus auch mit allen Religionen vereinbar, mit dem Islam ebenso gut wie z.B. mit dem Christentum. Die Derwische sehen in Jesus Christus auch einen Sufi, einen, der die engen, eigenen Grenzen gesprengt hat.

Aufgrund dieser Tatsache überrascht es nicht, dass sich unter den Sufis nicht nur die Namen großer Mohammedaner finden, sondern eben auch Christen, Hindus, Buddhisten und viele mehr. Bei den Persönlichkeiten des Sufismus sind auch viele Nationalitäten vorhanden, so zum Beispiel Perser, Griechen, Araber, Spanier und Engländer. Und in den Reihen der Sufis findet man Könige und Bettler, Gelehrte und Sklaven, Soldaten, Politiker und Kaufleute (Vgl. Schah 2000, S. 41).

Dieses Anerkennen und Respektieren von verschiedenen Religionen, Nationalitäten und Ständen scheint mir der Freimaurerei sehr ähnlich zu sein.

Sufische Gelehrte und Denker haben das Gemisch an Kulturen und Ideen, das wir die „westliche Welt“ nennen, wohl verschiedentlich beeinflusst. So kamen Griechen und Römer, aber auch Spanier und Engländer über die Jahrhunderte in Kontakt mit der Welt des nahen Ostens. Und mit ihnen kamen wahrscheinlich auch die Vorstellungen des Sufismus nach Europa. Auch gibt es viele Hinweise über mögliche Beeinflussung des mysteriösen Templerordens durch den Sufismus (vgl. Shah 2000).

In der Literatur werden denn auch geheime oder offensichtliche Verbindungen zur Freimaurerei aufgezeigt. So spielt der salomonische Tempel auch eine wichtige Rolle für die Sufis. Sufische Baumeister waren bedeutend, und es ist wahrscheinlich, dass auch die europäischen Baumeister des Mittelalters viele Verbindungen zu ihren orientalischen Kollegen hatten und sich austauschten.

Im Bereich der Zahlen- und Wortmystik gibt es ebenfalls viele Verbindungen. So sind verschiedene Buchstaben (z.B. das G) und die uns heilige Zahl auch bei den Sufis von wichtiger Bedeutung Auch ist der fünfzackige und der sechszackige Stern als Symbol bei manchen Orden vorhanden. Daher kann vermutet werden, dass die Anfänge der Freimaurerei zumindest zu einem Teil auch vom Sufismus beeinflusst worden sind. (vgl. zu den obigen Ausführungen Shah 2000, S. 164ff.)

Doch will ich nun diesen spekulativen Pfad verlassen, der Sufismus und Freimaurerei möglicherweise verbindet. Dieser Pfad liegt in der Vergangenheit, ihn zu beweisen wäre sehr schwer.

Ich möchte auf das Hier und Jetzt kommen, ohne zu sehr auf das zu schauen, was gewesen ist. Die Vergangenheit ist sehr wichtig, auch für uns Freimaurer. Aber im Hier und Jetzt müssen wir uns bewähren, und das gleiche gilt auch für den Suchenden auf dem Weg des Sufismus. Daher frage ich: Warum hätte denn der sufische Weg die Freimaurerei beeinflussen und entscheidend prägen können? Was haben denn die sufische Methode und das freimaurerische Streben gemeinsam?

Dazu will ich die Grundlagen des sufischen Weges erläutern. Zehn Elemente können dabei genannt werden. Diese sind (vgl. Shah 2000, S. 294):

  • Die Trennung des Vereinten
  • Die Wahrnehmung des Hörens
  • Kameradschaft und Verbrüderung
  • Rechte Wahl
  • Verzicht auf Vorlieben
  • Rasche Erreichung eines gewissen Geisteszustands
  • Gedankenschärfe und Selbstprüfung
  • Reisen und Bewegung
  • Verzicht auf Verdienst

und zu guter Letzt:

  • Abwesenheit von Habsucht und Geiz

Die Schulung des Sufismus basiert auf diesen zehn Elementen. Der Meister und Lehrer wird nun versuchen, den Schüler und Suchenden in diesen Elementen zu unterrichten und seinen Weg zu wahrer Selbsterkenntnis zu bahnen (vgl. Shah 2000, S. 294). Das ferne Ziel ist die Vervollkommnung des Menschen in dieser Welt. Auch dieses Ziel kommt mir bekannt vor.

Jeder Sufi war wahrscheinlich einmal in seinem Leben auf seinem Weg zur Erlangung von Selbsterkenntnis und Vervollkommnung Teil eines Ordens. Diese Orden sind nicht genau vergleichbar mit westlichen Mönchsorden. Sie sind vielmehr Bruderschaften, die meist auf einen berühmten Sufi zurückgehen und nach ihm und seiner Technik benannt sind. Einer der bekanntesten ist der Mevlevi-Orden. Sein Weg ist der der wirbelnden bzw. tanzenden Derwische, sein Begründer ist der große Dichter und Sufi Rumi. Bestimmte kreiselnde Bewegungen werden als ein Mittel auf dem Weg zur Selbsterkenntnis angesehen. Bei solch einer Gruppe durfte ich, wie oben erwähnt, einer Zeremonie beiwohnen. Aber es gibt auch weitere Orden, die bestimmte Spitznamen erhalten haben, so unter anderem die „heulenden Derwische“, die „Musiker“ und auch die Naqshbandi, die „Schweigenden“ (Vgl. Shah 2000, S. 239f.). Gerade diese letzten sind wenig bekannt, wohl aber sehr verbreitet (vgl. Bennett 1989). Sie sollen sich nicht aus dem Leben zurückziehen, im Gegenteil, sie sollen sich im Leben in „normalen“ Berufen und Familien bewähren, und sich durch Bruderschaft und Menschenliebe auszeichnen.

Dies zeigt vor allem die Vielfalt der Wege und Pfade zur Selbsterkenntnis, die den sufischen Weg ausmachen. Der ganze Mensch wird angesprochen, in Bewegung und im Geiste. Ein Mittel dabei sind auch Symbole, ähnlich den unsrigen. Denn auch die Sufis sind der Überzeugung, dass der Mensch und der menschliche Geist nicht allein durch Worte angesprochen werden kann.

Ein weiteres, wohl eines der bekanntesten Mittel zur Selbsterkenntnis, sind die berühmten Geschichten, die vom Sufimeister erzählt werden. Sie sind Metaphern und Allegorien, anfänglich kann man sie als einfachen Witz missverstehen. Aber sie transportieren über ihren tieferen Sinn eine Botschaft, mit der der menschliche Geist etwas anfangen kann.

Im Folgenden möchte ich ein paar dieser Geschichten wiedergeben, denn sie enthalten meiner Ansicht nach auch für uns wesentliche Aspekte. Eine der berühmtesten Geschichten lautet wie folgt:

„Vier Männer, ein Perser, ein Türke, ein Araber und ein Grieche waren unterwegs zu einem fernen Ort. Sie stritten sich, wie sie das einzige Geldstück, das sie noch besaßen, ausgeben sollten. Ich möchte angur kaufen, sagte der Perser. Ich will uzum, meinte der Türke. Nein, ich will inab, sagte der Araber. Ach was, sagte der Grieche, wir sollten stafil kaufen. Und sie stritten sich heftig. Ein anderer Reisender, ein Sufi, der gerade vorüberkam, sprach sie an: Gebt mir die Münze. Ich werde einen Weg finden, euer aller Wünsche zu befriedigen. Zuerst wollten sie ihm nicht trauen, dann gaben sie ihm die Münze. Er ging zum Stand eines Obsthändlers und kaufte vier Büschel Weintrauben. Da ist ja mein angur, sagte der Perser. Das ist doch genau das, was ich uzum nenne, rief der Türke. Sie haben mir inab gebracht, sagte der Araber. Ach was, sagte der Grieche, in meiner Sprache heißt das stafil. Die Männer ließen jeden Streit sein und teilten sich die Weintrauben.“ (Shah 2000)

Diese Geschichte wird gerne verwandt, um zu erläutern, dass es einen Kern gibt, dem die Menschen viele verschiedene Namen geben. Die Sufis aber wollen diesen Kern aller Religionen und Wege ansprechen.

Weitere Geschichten führen dem Suchenden essenzielle Botschaften vor Augen. Sie sollen zum Nachdenken und Nachfühlen anregen, um seine Wahrnehmung und die Sicht der Dinge zu erweitern, um so sich selbst und andere besser zu verstehen. Nach der Erzählung der Geschichten wird dann der tiefere Kern vom Meister zusammen mit seinen Schülern erläutert.

Viele der Geschichten drehen sich um den „weisen Mulla Nasrudin“. Dieser ist wohl im ganzen Orient bekannt und stellt eine Art Volksheiligen dar, einen Mythos. Er ist weiser Mann und Tölpel zugleich, immer aber hinterfragt er gewohnte Muster und Bahnen, immer stellt er die Autoritäten und die selbsternannten Träger der Wahrheit bloß.

So geht es in der folgenden, sehr bekannten Geschichte um ein früher und heute sehr verbreitetes Problem:

„‚Was habt Ihr verloren, Mulla?‘ – ‚Meinen Schlüssel‘, sagte Nasrudin. Eine Weile suchten sie beide zusammen; dann sagte der andere: ‚Wo ist er Euch denn heruntergefallen?‘ ‚Zu Hause.‘ ‚Ja um Himmels willen, warum sucht Ihr dann hier?‘ ‚Na, hier ist doch mehr Licht.’“ (Shah 2000, S. 62)

Eine andere Geschichte verdeutlicht eine weitere Kernaussage des sufischen Denkens:

„Ein König, der sich gern von Nasrudin Gesellschaft leisten ließ und zudem die Jagd liebte, befahl dem Mulla eines Tages, ihn auf eine Bärenjagd zu begleiten. Nasrudin schlotterte vor Angst. Als er in sein Dorf zurückkehrte, fragte ihn jemand: ‚Na, wie war es auf der Jagd?‘ ‚Phantastisch.‘ ‚Wie vielen Bären seid Ihr begegnet?‘ ‚Keinem einzigen.‘ ‚Aber, wie kann die Jagd dann phantastisch gewesen sein?‘ ‚Wenn einer Bären jagt und so einer ist wie ich, dann ist es eine phantastische Erfahrung, keinem einzigen zu begegnen.“ (Shah 2000, S. 61)

Dies macht deutlich, wie sehr die Ausdrücke „gut“, „schlecht“, „erfolgreich“ und so weiter vom einzelnen oder der Gruppe abhängen, und sich nicht auf irgendwelche objektiven Kriterien stützen. Vorurteile und Streitigkeiten können aufgrund unterschiedlicher Interpretationen leicht entstehen. Auch wird die Ich-Bezogenheit im menschlichen Denken verdeutlicht, wie die nächste Geschichte zeigt:

„Nasrudin und seine Frau wachten eines Nachts auf, weil sich zwei Männer lautstark unter ihrem Fenster stritten. Sie schickte den Mulla nachzusehen, was denn los sei. Er warf sich seine Decke um die Schultern und ging nach unten. Als er sich aber den Männern näherte, entriss ihm einer die Decke – es war seine einzige -, und rannte davon. ‚Worum haben sie sich denn gestritten‘ fragte seine Frau, als der Mulla ins Schlafzimmer zurückkam. ‚Offensichtlich ging es um meine Decke. Denn als sie die hatten, sind sie verschwunden.“ (Shah 2000, S. 76)

Ihr seht, meine Brüder, diese Geschichten sind zum Schmunzeln, haben aber auch einen sehr tiefen Kern. Die Geschichten werden vom Derwisch genutzt wie ein Pfirsich. Die Frucht ist von außen schön und bringt dem Menschen Freude. Die Frucht hat auch Nährwert. Aber sie verbirgt ebenfalls einen tiefen Kern, aus dem ein ganz neuer Baum entstehen kann.

Solche Geschichten können uns klarmachen, dass wir aus Vorurteilen und festgefahrenen Denkmustern ausbrechen müssen. Sie geben Weisheit in Geschichtenform wieder, ohne anklagend zu wirken. Gerade deshalb werden diese Geschichten auch gerne in der Psychotherapie eingesetzt (Vgl. Peseschkian 2000). Denn sie bringen uns selber auf die Lösung, und lassen uns Fragen stellen.

Aber damit nicht genug. Die Thesen zu Wissen, Subjektivität und Ursache und Wirkung von Handeln, um die es in den Geschichten geht, finde ich auch in modernen Büchern zur Soziologie und auch zur Managementlehre wieder. So wird zum Beispiel die Theorie der neueren Systemtheorie, die die Zirkularität und gegenseitige Abhängigkeit der Wirklichkeit betrachtet, durch folgende Geschichte deutlich:

„Nasrudin wanderte eines Tages eine verlassene Straße entlang. Die Nacht brach gerade herein, als er einen Trupp Reiter erspähte, der ihm entgegenkam. Seine Phantasie begann zu spielen: er befürchtete, die Reiter könnten ihn ausrauben oder in die Armee zwangsverpflichten. Seine Angst wurde so groß, dass er über eine Mauer sprang und sich auf einem Friedhof wiederfand. Die anderen Reisenden jedoch, der von Nasrudin unterstellten Absichten völlig unverdächtig, wurden neugierig und folgten ihm. Als sie ihn fanden, lag er regungslos auf dem Boden. Einer der Reiter fragte: ‚Können wir Ihnen helfen? – Warum befinden Sie sich in dieser misslichen Lage?‘ Nasrudin erkannte, dass er sich geirrt hatte, und entgegnete: ‚Das ist schwerer zu erklären, als Sie annehmen. Sehen Sie, ich bin hier ihretwegen – und Sie, Sie sind meinetwegen hier.’“ (Shah 2000, S. 70)

Der Kern von vielen Geschichten geht auf Werte und Probleme ein, die Menschen überall auf dieser Welt haben, kultur- und nationenübergreifend. Auf dem sufischen Weg wird versucht, diese Probleme und Barrieren des Geistes zu überwinden. Durch Meditation, Verinnerlichung und Reflexion dieser Geschichten, zusammen mit vielen weiteren mentalen und körperlichen Übungen und Gesprächen mit Meistern kommt der Suchende weiter auf seinem Weg zur Selbsterkenntnis.

Sufismus ist dabei nie abstrakt, sondern immer aufs „wahre Leben“ bezogen. Er geht weg von einer rein rationalen Erklärung der Welt. Diese kann immer nur ein Teil, nie aber das Ganze beleuchten. In vielen Nasrudin-Geschichten macht sich der Mulla als Mann des Volkes so auch lustig über die Überheblichkeit und Verbohrtheit der Gelehrten.

Das Geheimnis auf dem Weg zur Erkenntnis liegt im Erleben, im eigenen Erleben. Und dadurch, dass der Sufi auf seinem Weg zur Selbsterkenntnis sich selbst und die Welt besser verstehen lernt, dadurch, dass er die Zusammenhänge zwischen den Dingen erahnt, kommt er anderen Menschen häufig wunder-sam vor, ja gar mit magischen Fähigkeiten ausgestattet (Vgl. Shah 2000).

Sufis suchen nach dem Verbindenden. Sie lehren, dass Wahrheit viele Namen hat, und dass es keine objektive Wahrheit gibt, zumindest keine, die unter den Menschen kommuniziert werden kann. Starre menschliche Benennungen können viel vernichten und einengen. Dogmatisches Denken ist dem Sufismus daher fremd. Von den Dogmatikern des Islam waren sie deswegen oft verfolgt und verboten, oft als „geheime Christen“ oder „Schamanen“ (vgl. Shah 2001, S. 13) dargestellt.

Überall, wo Fundamentalismus herrscht, werden freie Denker verfolgt, die verbinden wollen, anstatt zu trennen, die viele Wege anerkennen, anstatt nur einen, die das Problem auch in sich selber, und nicht immer nur in „den anderen“ sehen. Daher werden die Anhänger des sufischen Weges von den Fundamentalisten des Islam mit Argwohn betrachtet – genauso, wie Freimaurerei mit religiösen und staatlichen Dogmatikern zu kämpfen hatte und noch hat.

Parallelen zur Freimaurerei zeigen sich also viele, auf den verschiedensten Ebenen: Auch wir sehen einen Kern der Dinge, die Essenz. Auch wir streben nach dem höchsten Ziel, der Selbsterkenntnis und der Vervollkommnung des Menschen. Auch wir kennen „Maurer ohne Schurz“, ebenso wie die Sufis jeden, der wahrhaft den Weg geht, als einen der ihren anerkennen, ohne dass dieser sich „Derwisch“ oder „Sufi“ nennen muss.

Auch die Sufis lehren und streben durch Dialog, durch Reflexion und Symbol. Der Meister ist in ihrer Gruppe ebenfalls eines der bedeutendsten Elemente. Bruderschaft und Menschenliebe sind auch ihre Ziele.

Liebe Brüder, in dieser Zeichnung habe ich versucht, in Worte zu fassen, was wohl eigentlich gar nicht in Worte zu fassen geht, nämlich den Weg der Sufis. Es gibt wohl noch viel mehr über Persönlichkeiten, Weg, Methode und Geschichte dieser weisen Männer zu sagen.

Für mich persönlich ist jedoch immer wieder faszinierend, dass sich auf der ganzen Welt, in allen Kulturen, Parallelen finden lassen, besonders auch Parallelen zu unserem Streben als Freimaurer. Besonders interessant finde ich auch, dass die Freimaurerei in ihrer Entstehung vielleicht sogar wesentlich von für uns heute exotisch und fremd anmutenden Kulturen beeinflusst worden ist.

In Zeiten, wo viel polarisiert wird, sollten gerade wir uns dessen immer wieder bewusst werden. Es gibt überall Menschen, die nach Vervollkommnung streben, unabhängig von Dogmen und Vorurteilen sein wollen, und die alle Religionen respektieren. Menschen, die eher nach dem Verbindenden als nach dem Trennenden suchen.

Daher müssen auch wir uns üben in Toleranz gegenüber Völkern und Nationen, die uns vielleicht auch manchmal fremd oder gar feindlich erscheinen. Auch dort gibt es freie Menschen, neben den vielen Dogmatikern. Fundamentalisten stehen nie für das ganze Volk.

Dieses Ausüben von Toleranz fällt sehr schwer, aber so ist wohl nun einmal die Arbeit am Rauhen Stein. Bei dieser Arbeit müssen wir einen Ausweg finden aus unseren Schablonen des Denkens, unseren einfachen Kategorien von „gut“ und „böse“, von „schwarz“ und „weiß“. Geistige Schablonen und einfache Kategorisierung helfen uns nicht auf dem Weg zur Selbsterkenntnis. Sie vereinfachen vielleicht kurzfristig eine schwere und komplizierte Welt. Vor allem aber stören sie unseren Blick und verengen unsere Sicht. Liebe Brüder, dazu möchte ich euch eine weitere Geschichte des weisen Nasrudin erzählen:

„Jeden Tag ging Nasrudin mit seinem Pferd über die Grenze, die Lastkörbe hoch mit Stroh beladen. Da er zugab, ein Schmuggler zu sein, durchsuchten ihn die Grenzwachen immer wieder. Sie machten Leibesvisitationen, siebten das Stroh durch, tauchten es in Wasser und verbrannten es sogar von Zeit zu Zeit. Nasrudin wurde unterdessen sichtlich wohlhabender. Schließlich setzte er sich zur Ruhe und zog in ein anderes Land. Dort traf ihn Jahre später einer der Zollbeamten. ‚Jetzt könnt Ihr es mir ja verraten, Nasrudin‘, sagte er. ‚Was habt Ihr damals bloß geschmuggelt, als wir Euch nie etwas nachweisen konnten?‘ ‚Pferde‘ sagte Nasrudin.“ (Shah 2000)

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Literaturangaben:

  • Harvey, Andrew: „Die Lehren des Rumi. Weisheit des Herzens.“, 2001, München, dtv
  • Peseschkian, Nossrat: „Der Kaufmann und der Papagei. Orientalische Geschichten in der Positiven Psychotherapie.“, 24. Auflage 2000, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag
  • Shah, Idris: „Das Geheimnis der Derwische – Sufigeschichten“, 4. Auflage 1995, Nachdruck 2001, Freiburg im Breisgau, Verlag Herder
  • Shah, Idris: „Die Sufis. Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier.“ 11. Auflage 2000, Kreuzlingen/München, Hugendubel (Diederichs Gelbe Reihe)
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