Toleranz: Nützlich? Feige? Freimaurerisch!

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Vier Erscheinungsformen von Toleranz, wie sie mir in meinem Leben begegnet sind, will ich erläutern:

  1. Toleranz in religiösen Systemen mit Absolutheitsanspruch
  2. Toleranz aus Gründen des Machterhalts und der Nützlichkeit, kurz: die politische Toleranz
  3. Passive Toleranz oder Toleranz als Unentschiedenheit
  4. Aktive Toleranz auf der Basis der Menschenrechte in aufklärerischer Tradition.

Ich habe eine streng katholische Ausbildung durchlebt und wäre heute vielleicht schon Kardinal, wenn mir, heranwachsend, nicht deutlich geworden wäre, daß meinem Herzen näher diejenigen Autoren und Mitmenschen waren, die nicht immer gleich auf alles eine Antwort wußten; die Ratlosen, die sich ihres Gottes nicht so sicher waren wie die Vertreter meiner Kirche; die Zweifler, die nicht so selbstverständlich mit dem Begriff „Wahrheit“ in den Bereichen jenseits der Nachprüfbarkeit umgingen, kurz, daß mir die Wahrheitssucher lieber sind als die Wahrheitsfinder.

Der Vorwurf, ich würde Gott selbst durch meine Fragen und Zweifel beleidigen, der mir durch offizielle Kirchenvertreter gemacht wurde, das Verbot, frei zu denken – zusammen mit dem Gebot, Gott zu fürchten, also quasi der Befehl, Angst zu haben! Nein! – Das ist eines freien Menschen unwürdig! Und wenngleich ich mir damals nicht sicher war, ob mich der katholische Gott nicht doch per Blitz erschlüge: “ Lever dot as Slav!“, wie es heißt.

Bevor ich einen historischen Abriss zum Thema religiöse, bzw. politische Toleranz vortrage, lege ich eine erste Begriffsklärung vor:
Toleranz, also die Anerkennung anderer Meinungen, ist nur gefragt bzw. zu fordern, wo Wissen fehlt. Wenn über die Wahrheit Gewißheit besteht, ist Toleranz gegenstandslos.

Aber nun zur Historie : Im griechischen wie römischen Altertum herrschte eine natürliche Toleranz; das mag der Grund für ihre Blüte gewesen sein. Fremde Götter wurden bereitwillig in den Götterhimmel aufgenommen und die Frage nach individueller Freiheit wie Wahrheit stellte sich nicht. Die Juden bildeten mit ihrer monotheistischen Religion eine Ausnahme, aber sie missionierten nicht und waren lange sogar vom römischen Kaiserkult befreit. Das Christentum galt den Römern zunächst als jüdische Sekte und wurde also akzeptiert. Erst unter Nero begann die Verfolgung der Christen, weil sie sich weigerten, anderen Göttern als dem ihren zu opfern. Solange die neuerstandene christliche Kirche verfolgt wurde, verlangten ihre Vertreter Glaubensfreiheit.So fordert schon Kirchenvater Tertullian Toleranz, und ab 313 gilt nach dem Toleranzedikt von Mailand unter dem bekehrten Konstantin im gesamten römischen Reich die uneingeschränkte Religionsfreiheit.Aber knapp 70 Jahre später hebt Kaiser Theodosius dann die Religionsfreiheit zugunsten der katholischen Staatskirche auf. Fortan gibt es von Seiten der christlichen Kirche keine Toleranz in Glaubensfragen mehr.

Eine Institution, die für sich beansprucht, alleinige Vertreterin und Verkünderin der Wahrheit zu sein, kann nicht tolerant sein. Für sie besteht über die Wahrheit Gewißheit und deshalb kann es keine Toleranz geben.

Solange die Kirchen sich weltlicher Macht bedienen konnten, war das Leben Andersgläubiger direkt in Gefahr. Daß es heute nicht mehr lebensgefährlich ist, offen an den Dogmen der katholischen Kirche zu zweifeln, liegt nicht daran, daß sie von ihrem Anspruch, alleinige Vertreterin der Wahrheit zu sein, absieht, sondern nur daran, daß sie ihre weltliche bzw. staatliche Macht eingebüßt hat. Noch immer werden in der von Johannes Paul 2. verabschiedeten Enzyklika „Veritas splendor – Glänzende Wahrheit“ – Kapitel „Gegen die Selbstbestimmtheit“ Atheismus und Abfall vom Glauben als Todsünden bezeichnet, die, nicht bereut, zu ewiger Verdammnis führen.

Trotzdem (oder deshalb) bleiben heutzutage die Kirchen im Westen leer: Die Menschen scheinen die Furcht vor ihnen und ihren Drohungen verloren zu haben. Das, was die christlichen Kirchen noch anzubieten haben, erscheint den Menschen im Westen nicht mehr glaubwürdig. Vielleicht rächt es sich so, Jahrhunderte lang Angst verbreitet zu haben? Mag sein, daß die Institution Kirche ihre Aufgabe während der „Kindheit der Menschheit“ hatte; nach dem Eintritt der Menschheit ins Erwachsensein, „Aufklärung“ genannt, ist ihr Fortbestand fragwürdig.

Aber wir sind auch 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung umgeben von Heilslehren mit Absolutheitsansprüchen. Vom Kapitalismus bis hin zum UFO-Glauben; mannigfach sind die Möglichkeiten des Menschen, sich vor Selbstbestimmung zu drücken. Die Gnadenlosigkeit religiöser Systeme mit weltlicher Macht begegnet uns heute in den islamistischen Gottesstaaten. An ihnen können wir sehen, wie bedrohlich es für Andersgläubige wird, wenn ungebildete, verunsicherte, sich entehrt fühlende Menschen sich instrumentalisieren lassen durch Höllendrohungen und Himmelsvisionen.

Die Reformation brachte in Europa das Ende des katholischen Gottesstaates und machte so politische Toleranz erst möglich. Dem Souverän, der fortan Auswahl hat in religiösen Anschauungen, kommt es nicht mehr zwangsläufig auf die Rechtgläubigkeit seiner Untertanen an, sondern auf ihre Untertänigkeit und Nützlichkeit. Folgende Beispiele für politische Toleranz aus Gründen der Nützlichkeit will ich geben: Die Ansprache Wilhelms von Oranien im Jahre 1564, in der er die Abschaffung der Inquisition und der Ketzerverfolgungen bestimmt, und so den Niederlanden einen Zuzug hochgebildeter getaufter Juden aus Spanien und Portugal ermöglicht, was zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung führt. Toleranz läßt die Wirtschaft blühen.

Das bringt auch den englischen König Wilhelm III zu seiner Toleranzakte im Jahre 1689. In diesem Zusammenhang wird häufig der „letter concerning tolerance“ des John Locke zitiert, der allen Glaubensrichtungen außer den Katholiken, weil die als Papisten nicht königstreu sein könnten, Glaubensfreiheit zusagt. Soll denn eine eingeschränkte Toleranz wirklich Toleranz genannt werden? Doch eher „nützliche Toleranz“: Auch in England blühen Handel und Kultur. Man führt Preußen unter Friedrich Wilhelm wie unter Friedrich dem Großen als Hort der Toleranz an. „Soll ein jeder nach seiner Fasson glücklich werden“ und „Wenn sich Heiden und Mohren hier ansiedeln wollen, so will ich ihnen Moscheen bauen“ – das klingt ja ausgemacht tolerant. Aber der Schein trügt. Zwar können so Hugenotten ins arme Preußen strömen und aus der Streusandbüchse Brandenburg binnen kurzem ein mächtiges Reich Preußen machen, allein, diese politische Toleranz hilft eben nur „nützlichen“ Andersgläubigen.

Die politische Toleranz ist eine Toleranz auf Abruf, der es im Zweifelsfalle nicht auf die Einhaltung der Menschenrechte ankommt. Auch in unserem Zeitalter der Verfassungen können wir nicht wirklich mit der Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Weltanschauung sprechen. Wenn es dem Souverän nicht mehr passt, ändert er einfach die Regeln (Was die Juden im Laufe der Geschichte ja immer wieder leidvoll erfahren mußten).

Festzustellen ist: Staaten, in denen Intoleranz herrscht, bekommen über kurz oder lang wirtschaftliche Probleme (so es ihnen nicht gelingt, die Weltherrschaft zu erlangen). Das Thema politische Toleranz möchte ich abschließen mit einem Zitat Spinozas: „Man kann einen Menschen nicht dazu zwingen, anders zu denken, als er denkt oder für wahr zu halten, was er für falsch hält. Man kann einen Menschen daran hindern, zu sagen, was er glaubt, aber nicht, es zu denken. Es sei denn, man schafft das Denken ab.“ Es gibt keine Intelligenz ohne Freiheit. Der totalitäre Staat muß sich also mit Dummheit und Armut abfinden. Intoleranz macht dumm, Dummheit macht intolerant.

Nun komme ich zur passiven Toleranz: Die „weil es keine Wahrheit gibt, haben alle recht“ – Toleranz. Nach meinen Erfahrungen mit der alleinseligmachenden Kirche kam ich zu dem Schluss: Es gibt gar keine objektive Wahrheit und deshalb ist alles gleichgültig im wörtlichen Sinne.Wenn nichts wahr ist – ist alles wahr! Ich hatte genug von jeder Form von Wahrheit. – Ich hatte mich fremdbestimmen lassen. Jetzt wollte ich mich lieber jedes Standpunktes enthalten, lieber nur mehr Betrachter des Lebens sein als noch einmal meinen Glauben und mein Herz an angeblich Wahres zu verlieren. Das Leben war mir nun wie Fernsehen: Ich war sowohl Fernsehzuschauer als auch Figur in jedem Film, den ich sah. Ich beobachtete mich pausenlos von außen: Was passierte, war nicht wirklich, es war gleichgültig wie Fernsehen. Und natürlich wähnte ich mich derweil im Vollbesitze der Weisheit. Halten nicht alle großen Lehren Freiheit von der Welt und Überwindung des eigenen Ich für Zeichen von Vollendung? Hatte ich nicht schon das Nirvana erreicht? Ach: Auch aus selbstgebauten Himmeln läßt sichs stürzen … Nicht ein Meister der Philosophie saß da überlegen vor dem Fernsehprogramm seines Lebens, sondern ein verletzter junger Mann, der der Fremdbestimmung wohl entrann, aber aus Angst vor der Selbstbestimmung im Sumpfe der Unentschiedenheit, der Indifferenz, steckengeblieben war. So wie man eine Kirche auf Furcht vor Höllenstrafen aufbauen kann, so kann man eine Philosophie auf einem Defekt aufbauen … Wer da behauptet: Es gibt keine Wahrheit, behauptet damit, daß die Aussage: Es gibt keine Wahrheit – wahr sei – und vertritt damit schon einen Absolutheitsanspruch. Ein kniffliges philosophisches Problem. Also gibt es gar keine Urteilsenthaltsamkeit? Dann ist Gleichgültigkeit im philosophischen wie im alltäglichen Sinne nur Feigheit im Gewande der Toleranz. Diese Toleranz ist im Grunde unmenschlich .Die deutsche Philosophin Hannah Arndt merkt an, daß „der ideale Untertan eines totalitären Regimes weder der überzeugte Nazi noch der überzeugte Kommunist ist, sondern der Mensch, für den der Unterschied zwischen Tatsache und Fiktion, zwischen wahr und falsch verschwunden sei.“ Also, das hat mich sehr beschämt; da predigte ich die Heiligkeit der Urteilsenthaltsamkeit und neben mir durfte die Intoleranz herrschen, und ich war ihr nützlicher philosophischer Idiot.

Ich begann, nach Menschen zu suchen, die Toleranz nicht nur für sich und ihre eigenen Überzeugungen forderten, sondern ausdrücklich auch für Andersgläubige suchten. In diesem Zusammenhang stieß ich auf Sebastian Castellio, einen weitgehend vergessenen Schweizer Gelehrten, der um 1550 gegen den Reformator Calvin in Genf aufstand, der den Arzt Michael Servet bei lebendigem Leibe hatte verbrennen lassen, weil er eine von Calvins Lehre abweichende Auffassung von der Dreieinigkeit vertreten hatte. Als Vertreter einer passiven Toleranz wäre es Castellio egal gewesen – aber er ist mutig und beruft sich auf allgemein gültiges Menschenrecht, wenn er dem Calvin entgegenschleudert : „Einen Menschen töten heißt niemals, eine Lehre verteidigen, sondern: einen Menschen töten! Man bekennt sich nicht zu seinem Glauben, indem man einen anderen Menschen verbrennt, sondern nur, indem man sich selbst für diesen Glauben verbrennen läßt !“ Mit diesem Satz hat Sebastian Castellio für alle Zeiten jeder weltanschaulichen Verfolgung das Urteil gesprochen. Was immer für ein logischer, ethischer, nationaler oder religiöser Vorwand vorgetäuscht werden mag, um die Beseitigung eines Menschen zu rechtfertigen: Keiner dieser Gründe entlastet den, der die Tat befohlen oder begangen hat von seiner persönlichen Verantwortung. Sebastian Castellio gilt mir als der früheste Vertreter einer Toleranz, die sich auf der Grundlage allgemeiner Menschenrechte als Waffe gegen die Intoleranz versteht. Castellio setzt sich für einen anderen ein, und er greift die Intoleranz an.

Wann beginnt die Intoleranz? Mit der Androhung von Gewalt. Castellio bekommt dafür, daß er es gewagt hatte, ihn zu kritisieren, Calvins Hass zu spüren; Calvin verhindert weitgehend, daß Castellios Bücher publiziert werden und stürzt ihn in Armut. Castellio stirbt schließlich auf der Flucht. Intoleranz und etwas nicht tolerieren sind geradezu gegensätzlich Haltungen. Die Intoleranz braucht zur Erhaltung der Einmaligkeit ihrer „Wahrheit“ Unterdrückung, wohingegen es eines Mutes bedarf, gleiche Rechte für alle Menschen zu fordern und sich gegen die Intoleranz zu erheben.

Wenn ein heutiger Souverän kurzerhand die Menschenrechte außer Betrieb setzt, indem er Kriegsgefangene ohne weitere Anklage und Verteidigungsmöglichkeit monatelang isoliert gefangenhält, so ist das nicht zu tolerieren. Selbst wenn jeder Einzelne von ihnen ein Terrorist ist, ein gewalttätiger Vertreter religiöser Fundamentalismen: Wenn man unmenschlich gegen Unmenschlichkeit vorgeht, hat die Unmenschlichkeit gewonnen. Da wird gesprochen von Notwehr im Kampf gegen den Terrorismus. Kann man mit terroristischen Mitteln den Terrorismus ausrotten? Das ist eine alte Frage, die der Humanismus und die Toleranz eindeutig und uneingeschränkt mit „Nein“ beantworten. Nachdem Immanuel Kant, der die Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ bezeichnete, uns quasi die Tür zur Individualität aufgestoßen hat, ist jeder Versuch, die Verantwortung der Selbstbestimmung wieder loszuwerden, für einen vernünftigen Menschen nur Feigheit.

So sei der Zweifel an behaupteten Wahrheiten die eine Seite der Toleranz, quasi die re-aktive Toleranz, das Interesse am Fremden, das Zuhören, die Wißbegier, das Anerkennen der Verschiedenheit der Menschen und ihrer gleichen Rechte die klassisch aktive Toleranz. Die Freimaurerei hat ihre geistige Wurzel in der Aufklärung, und Aufklärung ist kein Zeitabschnitt, sondern ein Prozess, der nie zum Stillstand kommt, solange der Mensch ein kritisch denkendes Wesen bleibt. Es geht um den Anspruch des Menschen, daß es ihm einleuchtend werde, was er meint, will und tut. Es geht um die Abkehr von der Blindheit des fraglosen Für-wahr-Haltens, um ein uneingeschränktes Bemühen um Einsicht und ein kritisches Bewusstsein von der Art und Grenze jeder Einsicht.

Die Toleranz bedarf nur eines Grundsatzes: „Die Menschen kommen zur Welt und sterben frei und an Rechten gleich“. Dieser schlichte Satz ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner der Menschheit. Spitzfindig könnte man jetzt behaupten: das ist ja auch nur ein nicht beweisbarer Glaubenssatz, denn vielleicht ist der Mensch ja doch prädestiniert, und überhaupt – ist ein Glaubenssatz seinem Wesen nach nicht schon an sich intolerant? Nun, solange es nicht anders bewiesen ist, ist dieser Satz zumindest die Grundlage, auf der Menschen in Verschiedenheit leben können. Und dieser Satz ist, wenn wir uns schon scheuen, von Wahrheit zu sprechen – immerhin das Gegenteil der Intoleranz, daß einige Menschen mehr Rechte haben als andere. „Die Menschen kommen zur Welt und sterben frei und an Rechten gleich“. Dieses simpel wirkende Sätzchen ist mein Maßstab in der Welt.

Unsere Loge ist eine hilfreiche, herausfordernde Möglichkeit für mich, zu erfahren, ob Toleranz möglich ist, quasi das kleine Experiment für das große Experiment Welt. Ich habe als Freimaurer das Erbe der Aufklärung angenommen, und ich hoffe, daß ich in der Gemeinschaft von Brüdern die Kraft und den Mut entwickeln kann, in allen Bereichen meines Lebens gegen Intoleranz zu kämpfen, ohne selbst intolerant zu werden. Hier ist das Feld, daran zu arbeiten – hier ist mein „rauher Stein“. Schließen möchte ich meine Zeichnung mit einem für mich trostreichen Zitat Voltaires: „Was ist Toleranz? Sie ist das Erbe der Menschheit. Wir sind alle voller Irrtümer; vergeben wir uns gegenseitig unsere Torheiten, das ist das erste Gesetz der Natur.“

Kleiner Nachtrag zu meiner Toleranzzeichnung:

Ich wurde gebeten, quasi zur praktischen Abrundung meiner Gedanken zum Thema „Toleranz“, etwas zum Thema „Toleranz im Bauwesen“ zu sagen. Nun bin ich ganz bestimmt kein Ingenieur. So befasse ich mich hierbei nicht mit exakter Bauwissenschaft, sondern bleibe in der Metapher. Also:

Die Toleranz beim Bau ist im Besten das Produkt der Fähigkeit und Erfahrung des Baumeisters, der um die Beschaffenheit der Materialien weiß und der deshalb dem Baustoff eine Art Lebensraum zugestehen kann. So wie Intoleranz im Leben dumm macht, macht Toleranzlosigkeit das Bauwerk starr, unbeweglich, unlebendig und angreifbar. Der Baumeister, der seinen Materialien nicht einen gewissen Raum, ein Spiel zugesteht, muß fürchten, daß ihm sein Bau bei der ersten Unvorhergesehenen Erdbewegung oder vielleicht sogar beim ersten Luftzug zusammenbricht. Der starre, scheinbar so sichere Bau muß immer mehr abgesichert werden. Ein solcher Bau strahlt nicht mehr Schönheit aus, er gleicht mehr und mehr einem Bunker. Ein guter Baumeister muß um die Möglichkeiten und Bedürfnisse seiner Materialien wissen.

Die Schönheit seines Baus ist der Preis, besser: der Lohn für seine Mühe und Fähigkeiten aber eben letztlich für sein Vertrauen in seine Steine und Materialien. Ohne Vertrauen wird aus dem Tempel der Humanität, an dem wir bauen und dessen Steine wir sind nur ein häßlicher, starrer Bunker.

Und apropos:
Wir sind auch die Steine: Wenn man die Steine versetzt, will sagen, wenn wir uns ein wenig in die Lage unserer uns umgebenden „Mitsteine“ versetzen, wird der Bau viel stabiler. Also – keine Schönheit ohne Vertrauen, ohne Herz, ohne Großzügigkeit!

Weisheit leite den Bau, Stärke führe ihn aus, Schönheit vollende ihn! – Schönheit vollendet den Bau, nicht kalte Perfektion!

Nam Jun Paik, ein berühmter koreanisch-deutscher Installationskünstler prägte dazu einen entzückenden englisch/deutschen Mischsatz:

„When too perfect – lieber Gott böse!“

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Verwendete und zitierte Literatur:

  • Stefan Zweig „Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt“ Fischer Taschenbuch
  • Andre Comte-Sponville „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“ rororo Sachbuch
  • ELEUSIS Beiträge zur Kultur aus freimaurerischer Geisteshaltung, Heft 4/2002
  • Otfried Höfte: Zum Ursprung der Toleranz
  • Ignatz Bubis: Toleranz heute-250 Jahre nach Lessing und Mendelssohn“
  • „Das Parlament“ Nr.50 von 1994
  • Definition des Begriffes Toleranz von der Unesco Menschenrechtskommission von 1995
  • Julian Nida-Rümelins Rede „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ vom 8.11.2001
  • Karl Popper: „Ausgangspunkte“
  • Michael Moore „Stupid white men“
  • Hannah Arendt: „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“
  • Enzyklika „Veritas Splendor“
  • P.Watzlawick: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“
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