„Bei den freimaurerischen Arbeiten werden viele Zeichnungen aufgelegt, dabei werden viele gute Gedankengänge vorgetragen. Leider wirken diese nicht viel länger nach als die rhetorischen Höhepunkte einer besseren Sonntagspredigt… “
In der Hoffnung, daß dieser Satz von Bruder Alfons W. nicht immer stimmt, lege ich diese Zeichnung auf. Bei Durchsicht der vielen guten Arbeiten der letzten Jahre ist mir aufgefallen, daß sich das einzige Thema, das sich mit unseren animalen Mitgeschöpfen befaßt hat, 13 Jahre alt ist und damals von unserem jetzigen Stuhlmeister aufgelegt wurde. Es ist verständlich, daß Tierärzte sich zu einem Anwalt der Tiere machen und die Partei der Kreatur ergreifen, die in unserer Gesellschaft oft genug nur emotional und von unseren Religionen mit Distanz behandelt wird. Daß dies nicht nur von mir so gesehen wird, beweisen zahlreiche Veröffentlichungen im Funk und Fernsehen der letzten Zeit, wo der jahrtausendalte Generationsvertrag Tier/Mensch zur Disposition gestellt und die Symbiose zwischen beiden ausgeleuchtet wird. Da wir Freimaurer keine Agnostiker (Angnostik: Lehre von der Unerkennbarkeit des übersinnlichen Seins) sind, wir an eine Gottheit, wie auch immer, glauben, bei uns regelmäßig die Bibel aufgelegt wird, möchte ich diesen Vortrag nennen: „Die Verantwortung für das Tier aus christlicher und freimaurerischer Sicht“!
Der Begriff der Ethik zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit unseres Bundes und wird in vielen Zeichnungen auch unterschiedlich interpretiert. Zu all diesen Interpretationen darf ich heute eine andere Seite der Ethik beleuchten. Auf die Frage, wann der Mensch wahrhaft ethisch ist, hat Albert Schweitzer geantwortet: „Nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen und sich scheut, irgend etwas Lebendigem Schaden zu tun.“ Er fragt nicht, inwiefern dieses oder jenes Leben als wertvoll Anteilnahme verdient und auch nicht, ob und inwiefern es noch empfindungsfähig ist. Das Leben als solches ist ihm heilig. Er reißt kein Blatt vom Baum ab, bricht keine Blume und hat acht, daß er kein Insekt zertritt. Es ist natürlich leicht, eine solche Aussage mit der Frage nach der praktischen Durchführbarkeit zu kritisieren, es ändert sich aber nichts an der Grundfrage: Wie rechtfertigen wir uns eigentlich, wenn wir es anders halten, wenn wir nicht der Nötigung gehorchen, allem Leben, dem wir beistehen können, zu helfen? Wenn wir uns nicht scheuen, schmerzempfindenden Lebewesen Schaden zuzufügen? Wenn uns das Leben, unterschiedslos jedes Leben, nicht als solches heilig ist? Dann ist unser Handeln ein wahrhaft unethisches Handeln! Und es scheint, als wäre das in der derzeitigen Massentierhaltung und der Praxis der Tierversuche der Fall.
Das Thema „Tierversuche“ trifft jede Ethik, die theologische zumindest, als besonders scharfe Herausforderung. Und zwar vor allen sachlichen Erörterungen über die Notwendigkeit, unerläßliches Maß und Nutzen der Experimente. Es trifft sie durch den Vorgang als solchen und die ihm einzig beigegebene Begründung: Tieren werden Leiden zugefügt, sie werden zu Opfern gemacht, auf daß es uns wohlergehe und wir lange leben auf Erden! Ist das Wohl des Menschen der Zweck, der jedes Mittel heiligt? In der gegenwärtigen Praxis und faktischen Auslegung des Tierschutzgesetzes stellt sich das jedenfalls so dar. Das Tierschutzgesetz verbietet es, Tiere willkürlich und ohne vernünftigen Grund zu quälen. Was ist ein vernünftiger Grund im Sinne dieses Gesetzes? Jeder vermeintliche oder angebliche Vorteil des Menschen. Aber ist das auch ebenso ein zureichend ethischer Grund? Die theologische Ethik fragt nach dem Tun des Gebotenen. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott!“ (Micha. 6,8) Aus der Sicht einer solchen Ethik ist es zu bestreiten, daß das Wohl des Menschen in jedem Fall ein zureichend ethischer Grund ist, um Tiere zu quälen. Tiere sind nach biblischem Vertändnis Mitgeschöpfe. Besonders deutlich wird das im Schöpfungsbericht an den Landtieren herausgestellt: Sie werden mit den Menschen am gleichen Tage geschaffen und mit dem selben Segen gesegnet. Gott selbst stiftet ein ganz besonderes Zuordnungsverhältnis, wovon in Gen. 2,19-20, im Akt der Namengebung der Tiere durch den Menschen die Rede ist. Die biblische Namengebung ist die Fortsetzung der Nomenklatur aus der Vorzeit. Tiernamen, zumal in den primitiven Sprachen, sprechen eine ganze Fülle von Beobachtung und Erfahrungen mit Tieren aus. In den Namen ist gefaßt, was sich in langen Generationen an Wissen über die Tiere und an Ergebnissen aus Begegnungen mit Tieren und Leben mit den Tieren angesammelt hat. In der Namengebung also hat das angefangen, was erst in unserer Generation wieder aufgenommen worden ist und in der Verhaltensforschung eines Konrad Lorenz in dem Verstehen der Tiere für das Menschsein des Menschen mündet. Das Kennen und Verstehen der Tiere in seiner Bedeutung für das Menschsein des Mensch! Das setzt Nähe, Vertrautheit und Gemeinschaft zwischen Tier und Menschen voraus.
Ethisch beurteilt ist es eine Perversion, wenn den Experimentatoren eine physiologische Ähnlichkeit von Mensch und Tier als Begründung für Tierversuche gilt. Die Konsequenz für ein ethisches Bewußtsein müßte aber gerade umgekehrt das ähnliche Recht des Tieres auf Leben und körperliche Unversehrtheit sein. Wenn wir dem Tier ein grundsätzliches Lebensrecht und die Mitgeschöpflichkeit zugestehen, muß auch Tierquälerei verboten werden. Auch der wissenschaftliche Tierversuch – von seiner medizinischen Fragwürdigkeit in vielen Fällen einmal abgesehen – basiert zuletzt und eigentlich auf dem Recht des Stärkeren, das in Wirklichkeit kein Recht ist und das wir deshalb im zwischenmenschlichen Bereich längst als primitiv ablehnen. Wenn gleich in der Schöpfungsgeschichte das Wort steht, daß die Menschen herrschen sollen über die Natur, so kann daraus kein Verfügungsrecht herausgelesen werden, auch wenn die kirchliche Tradition das in einer bis heute wirksamen Fehlinterpretation des Dominium Terre tut und das „Macht euch die Erde untertan“ schließlich zum Credo einer Wissenschaft werden läßt, die zur Freiheit von Forschung und Lehre mehr und mehr auch die Freiheit von allen ethischen Vorbehalten zählt, wofür das Thema Tierversuche heute das klassische Beispiel ist. Das Machbare wurde und wird ausgeführt, unabhängig von der Frage der Verantwortbarkeit. Die Kirche widerspricht meist nur dann und dort, wo ihr Menschenbild betroffen ist, zum Beispiel bei der Geburtenregelung durch die Pille. Die Kirche widerspricht nicht, wenn es um die Zerstörung der Natur, die Ausrottung ganzer Pflanzen und Tierarten, die quälerische Intensivhaltung unserer Haustiere oder die vielfältige und oft unnötige Tiertötung in den Versuchslabors geht. Die Kirche ignoriert, daß es in 30 bis 40 Jahren keinen Regenwald mehr geben wird. Der Heilige Vater akzeptiert, daß die durch seine ablehnende Haltung zur Geburtenregelung provozierte explosive Bevölkerungszunahme in Zukunft keinen Lebensraum mehr für Tier und Pflanze lassen wird. Heute ist bereits das Menschbild der Zukunft in seinen Ansätzen erkennbar: Nur wer oder was nützt, hat ein Lebensrecht. Tiere und Pflanzen werden dann bestenfalls nur noch Dekoration sein! Doch das wäre sicherlich das Thema einer anderen Zeichnung.
Was macht die Würde des Menschen aus, die ihn über die Tiere erhebt? Was macht ihn zum Herren der Schöpfung? hat Robert Spaemann in der Zeitung „Christ und Welt“ gefragt und auch gleich eine Antwort gegeben: „Seine Fähigkeit, Dinge zu unterlassen, weil sie beispielsweise niedrig, widerwärtig und gemein sind, obwohl er sie ungestraft tun kann; seine Fähigkeit für außermenschliche Wesen eine Fürsorgepflicht zu übernehmen, seine Fähigkeit das Schwache zu schützen. Tiere sind schwach … Was heute an Millionen von Versuchstieren geschieht, muß aus dem einzigen Grunde verboten werden, weil es mit der Selbstachtung der menschlichen Rechtsgemeinschaft unvereinbar ist. Und der Theologe fügt hinzu, was im Grunde dasselbe meint: Weil es mit dem Herrschaftsauftrag des Menschen in seinem ursprünglichen königlichen Sinne unvereinbar ist. Die Kirche, namentlich die Katholische, hat mit Tieren Feindbilder geschaffen, positive oder negative menschliche Erscheinungsformen auf Tiere übertragen und diese Tiere dann „geopfert, verfolgt und ausgerottet“. So galten seit eh und je alles kriechende Getier und alle Nagetiere als böse. Die Spinne dagegen gilt als heilig, da sie doch Insekten vertilgt. Teuflisch dagegen das Eichhörnchen, weil es Nüsse verzehrt und eine Lagerhaltung betreibt. Über den „bösen Wolf“brauche ich, glaube ich, gar nicht weiter zu sprechen; er wurde verfolgt und dezimiert, und das nicht nur seines Pelzes wegen! Den Ziegenbock hat sich die Kirche, namentlich die Katholische, als Sinnbild perverser Sexualtität ausgeguckt. In mittelalterlichen Bildern wurde der Teufel, der Satan, der Pan mit Bockhufen und Hörnern verziert. Der Bock wurde getötet, und mit der „Opferung“ beruhigte man sein eigenes schlechtes Gewissen!
Zurück zu den Tierversuchen. Daß die Kirche zu den Tierversuchen schweigt, ist eine Bankrotterklärung iher Barmherzigkeitspredigt. Natürlich sind Erkenntnisse über die Gesundheit, über unsere Gesundheit, die Rechtfertigung für Tierversuche, aber es ist zu fragen, wie hoch man die Toleranzgrenze ansetzt, welchen Preis man für diese Gesundheit zu zahlen willens ist. Auch den Preis der Menschenwürde? Viele Krankheiten sind sicherlich nicht schicksalhaft, sondern Ergebnis unserer ungezügelten Lebenslust. Durch Änderung von Lebensrhythmus und Veränderung der Lebensqualität könnte man sicher auf manche Tranquilizer-Pille, für die viele unschuldige Tiere ihr Leben gelassen haben, verzichten. Sicherlich kann man diese Aussage nicht so ohne weiteres auf die Tumor, -Aidsbekämpfung oder auch für die Kreislaufproblematik anwenden. Aber es ist erstaunlich, daß, und das zeigt die Arbeit in den Ethikkommissionen der letzten Jahre, gerade die Gottesmänner nicht die zurückhaltendsten in den Genehmigungsverfahren für Tierversuche gewesen sind. Das waren natürlich professionelle oder angemaßte Tierzüchter, aber in erster Linie auch die Naturwissenschaftler; hier besonders natürlich die Ärzte und Biologen. Aber auch der Gesetzgeber fordert immer mehr und neue Tierversuche, unter anderem für Präparate, die schon seit 30, 40 Jahren im Handel sind. Und eine Spezialabteilung des Bundesgesundheitsamtes in Berlin, die sich die Erforschung zu Alternativmethoden zur Aufgabe gemacht hat, wird finanziell und personell so stiefmütterlich ausgestattet, daß eine Arbeit nicht möglich ist. Echte Alternativforschung – oder nur ein Alibi? Es ist leider so, daß Ordinarien der Medizin und Tiermedizin heute im Jahre 1991 bei überperfektionierter Video- und EDV-Technik immer noch glauben, daß nur derjenige ein guter Arzt oder Tierarzt wird, der einem Frosch am lebendigem Leibe den Kopf abgetrennt hat, um zu sehen wie Herz und Gefäße arbeiten!
Es war schon immer gegen das Zeugnis der Bibel, daß die Tiere aus der Barmherzigkeitspredigt und -praxis ausgeklammert wurden. Daß wir dies jahrhundertelang getan haben und immer noch tun, hängt mit der Anthropozentik (anthropozentisch: Den Menschen in den Mittelpunkt stellend) unserer Ethik zusammen, die ein schwer überwindbares Mißverständnis ist. Sie muß nun aber endlich überwunden und ausgeweitet werden zu einer Ethik der Mitgeschöpflichkeit. Das ist keine Forderung sentimentaler Tierschützer, das ist eine Forderung der theologischen Ethik selbst. Joh. 10, Vers 11 sagt: „Der gute Hirt läßt sein Leben für die Schafe“! Das Bild vom guten Hirten ist das Zentrum der christlichen Heilslehre und sicherlich zu Zeiten des Johannes nicht nur symbolisch gemeint! Aber selbst wenn wir nur eine Symbolik in diesem Diktat erkennen aus christlicher oder freimaurerischer Sicht, haben wir eine Sorgepflicht für die stumme Kreatur, die sogar die älteren Rechte hat auf dieser Welt! Wir geben als Spezies oder als Individium nur eine kurze und für die Natur vielleicht verhängnisvolle Gastrolle, doch sein wir uns bewußt, wenn es für die Tiere keinen Platz mehr gibt in dieser Welt, wird es auch bald für den Menschen keinen Raum mehr geben.
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