Die menschliche Wahrnehmung ist sehr begrenzt.
Über seine Sinne nimmt der Mensch seine unmittelbare Umwelt wahr. Hierbei schon unterscheidet er sich zum Teil von anderen Lebewesen. So hat der Mensch nicht die Fähigkeit Ultraschall wahrzunehmen so wie die Fledermäuse, oder Niedrigfrequenzschall wie die Elefanten, oder etwa Elektrische Felder wie es zum Beispiel Haie und Zitteraalekönnen. Auch der Eintritt in das Duft-Universum der Schmetterlinge, die sich die Welt erriechen, ist uns versperrt.
Aber nicht einmal all diejenigen Eindrücke der Umwelt, die für unsere Sinne empfindbar wären, werden uns vollends bewusst. Unser Gehirn filtert und sortiert. Menschen, bei denen diese Funktion gestört ist, leiden infolgedessen untereiner Reizüberflutung. Auch bei manchen Formen von Autismus kann dies der Fall sein. Bei den meisten Menschen bleibt der größte Anteil jedoch unbewusst. Das, was am Ende im Bewusstsein erscheint, verhält sich wohl wie ein Sandkorn zu einer Wanderdüne, oder ein Tropfen Wasser zu den Niagarafällen. Man kann sich nun darüber streiten, ob das was wir wahrnehmen nun, die Realität ist, bloß ein Abbild, oder ob es mehrere Realitäten gibt.
Es ist nicht nur die Umwelt, die wir wahrnehmen, sondern auch unsere inneren Umstände. Man könnte sagen sie bildeneine Innenwelt, aus der ganz eigene Impulse im Bewusstsein erscheinen. Aber zwischen ihr und der Außenwelt besteht eine Verbindung. Die beiden Welten treffen sich im Menschen. Ein Reiz, der auf den Menschen von außen trifft, wird zunächst gefühlt, wie zum Beispiel ein Gefühl von Schmerz, wenn wir die Hand auf eine Herdplatte legen. Empfinden wir den Schmerz als unangenehm so drückt sich darin schon eine subjektive Bewertung aus. Dies wird nun letztendlich dazu führen, dass wir handeln: Zum Beispiel, indem wir schnell die Hand von der Herdplatte ziehen.
Ich nehme einmal an bei unangenehmen Schmerzen werden die meisten Menschen intuitiv handeln und nicht lange darüber nachdenken. Verändern wir beispielhaft den Komplexitätsgrad der Geschehnisse und stellen wir uns ein Zerwürfnis zweier Menschen, die sich streiten vor, dann bleibt auch noch Zeit für Überlegungen und das Denken.
Diese abgeschlossenen Prozesse sind unsere Erfahrungen. Wir greifen intuitiv auf sie zurück, wenn wir ähnliche Situationen wieder erleben. Außerdem dienen sie uns in unserem Denken als Bewertungsgrundlage für Vergangenheit, Prognosen der Zukunft und gegenwärtige Entscheidungen.
Meine lieben Brr., nun habe ich eine Menge Begriffe eingestreut, über deren Verhältnis zueinander ich im Folgenden sprechen möchte: Empfinden, Fühlen, Denken, Intuition, Bewusstes und Unbewusstes, Zeit und der Mensch und letztendlich Erfahrung. Keine dieser Funktionen, Eigenschaften, Prägungen des Menschen sind im Individuum endgültig festgelegt, sondern sie sind unterschiedlich ausgeprägt. Bei ihrer Herausbildung dürften sowohl genetische als auch Umweltfaktoren bestimmend sein. Sicher ist, es besteht eine Abhängigkeit zu der Persönlichkeit des Menschen, wenn sie nicht sogar gerade konstitutiv dafür ist.
Auch die Kultur hat einen nicht vernachlässigbaren Einfluss. Während hier in Deutschland die Menschen sehr stark auf das Sehen fixiert sind, spielten früher bei der Jagd Hören und Riechen eine größere Rolle. Früher waren andere Ausprägungen überlebenswichtig. Der strenge Geruch von Schlangen ist im Dickicht schon aus mehreren Metern Entfernung zu riechen – lange bevor man sie sieht. Auch dürfte in einer Welt ohne Schrift und mit bloß geringem Informationsaustausch bei wenigen Individuen, die Intuition eine größere Bedeutung gehabt haben, als das Denken.
Für die Wahrnehmung noch bedeutsam sind die persönliche Vergangenheit, sowie Erwartungen und Hoffnungen über die Zukunft. Zuletzt ist die Wahrnehmung stark von der bestimmten gegenwärtigen Situation geprägt.
Schließlich nimmt der Mensch wahr, worauf er seine Aufmerksamkeit richtet. Da der Mensch hierüber, über seine Aufmerksamkeit, ein Bewusstsein hat, kann er auch seine Wahrnehmung beeinflussen.
Hierin liegt der Schlüssel zur Selbsterkenntnis. Es ist die nach innen und außen gerichtete Aufmerksamkeit. Sie ist der suchende Scheinwerfer im Dunkel des Selbst, in welchem so manches Unbewusstes verborgen liegt. Diese Suche ist nicht immer erfolgreich, und manchmal mag es besser sein nicht aktiv zu Suchen und geduldig zu verweilen, bis sich schemenhaft von selbst etwas in den Lichtstrahl bewegt. Doch die Suche selbst, sie ist notwendig, damit ich meine Kanten der Unvollkommenheit finde, um sie mit dem Spitzhammer abschlagen zu können.
Was nun, wenn mir der Weg versperrt ist? Etwa durch meine persönlichen Grenzen, fehlendes Erfahrungswissen, oder weil ich nicht weiß, wie, wo, oder wann ich schauen soll. Wie stoße ich die mir noch verschlossenen Pforten der Wahrnehmung auf?
Hierzu bieten sich verschiedene Praktiken an: Diese reichen von bloßem Reflektieren, über das Gespräch mit einem Freund, der aktiven Imagination, dem Schreiben, der Meditation bis hin zu krasseren Erfahrungen wie dem Drogenkonsum, dem Adrenalinrausch und anderen Formen der Estase. Viele Praktiken lassen sich gewinnen aus den Religionen, Traditionen und der Wissenschaft, wobei ich besonders an die Psychologie denke. Aber auch im Sport hat der Sportler im „Flow“-Moment eine Bewusstseinsveränderung, die ihm eine andere Perspektive auf Sich selbst und die Welt ermöglichen kann. Im Theater versetzt sich der Schauspieler in einen Charakter und muss, alldas „leben“, was in seinem Text nicht gesagt ist. Zum Beispiel, wie seine Entfernung zu seinen Mitschauspielern ist, ob er ihnen zu- oder abgewandt ist, wobei seine Entscheidung letztendlich auf seiner eigenen Textinterpretation beruht. Hierdurch erfährt er etwas über den Autor, die Figur, und seine eigene Projektion. Der beschriebene Schauspieler verwertet seinen Text nicht wörtlich sondern symbolisch. Damit ist gemeint, er deutet einen nicht festgelegten Inhalt. Das tut er ganz bewusst, indem er handelt und „darstellt.“ In dem der Schauspieler seinen Text symbolisch verwendet, eröffnen sich ihm diese Möglichkeiten.
Ich will mich hier dieser Technik, der von der Deutung derSymbolik widmen, die sich meiner Meinung nach einreiht, in die obige unvollständige Aufzählung.
Die kennzeichnende Eigenschaft von Symbolen ist, dass sie einen nicht festgelegten Inhalt besitzen. Nehmen wir Symbole wahr, kommen wir erst über die Deutung zur Erkenntnis. Sie sind nicht abschließend interpretierbar und ebenso durch die verschiedensten Faktoren geprägt, wie schon unsere Wahrnehmung.
Auch der Beobachter kann sich verändern, während er sie betrachtet und anwendet. Hierin besteht ihr ureigenes Potential. Hierin besteht die Kraft der Symbole. Sobald etwas bewusst als Symbol wahrgenommen wird, kann sich seine Bedeutung wandeln. Durch Perspektivenwechsel und Interpretation des Symbols beginnt die Erforschung des bisher nicht interpretierten Teils. Da jede Interpretation eine subjektive Prägung enthält, bietet die Reflexion der Interpretation die Möglichkeit zur Erforschung des Selbst.
Besonders interessant hierbei sind paradoxe Symbole die aufWidersprüchen gerichtet sind. Solche sind wiederkehrend und uns vor allem bekannt aus den Religionen und der Literatur. Ich denke da etwa an den „Abstieg in das Reich der Toten. Diesen findet man bei den Ägyptern, im antiken Orpheus und Eurydike-Mythos bis hin zum Christentum. Wahrscheinlich ist dieses „Motiv“, ich sage Symbol, schon viel älter.
Es handelt sich um ein Vehikel, in das ich nun interpretieren kann, hinein projizieren kann. Vielleicht werde ich den Widerspruch mit meinem Wirklichkeitsverständnis nie aufheben können – das hier ein Mensch die Grenzen seines Lebens überschreitet. Eine Mögliche Interpretation jedoch wäre, das nicht der Tod an sich gemeint ist, sondern der Abstieg in das eigene Selbst, in das „Tal der Schatten.“(Patrick Roth) Das Tote ist dann das nicht bewusst gelebte Unbewusste. Indem diese alten Werke symbolisch gelesen werden, eröffnen sich viele Räume für Interpretation.
Die entscheidenden Fragen dabei für mich sind, warum ich so interpretiere, „genau so“ deute, und nicht anders. Und wieso sich bei meiner Auseinandersetzung die Bedeutung verändert? Das Symbol selbst hat sich nicht verändert, nur seine Wahrnehmung und die gegebene Bedeutung.
Symbole begegnen dem Menschen überall. Aber als Freimaurerlehrling richte ich meine Aufmerksamkeit besonders auf die Symbole auf dem Arbeitsteppich. Für mich hat sich dort schon einiges verändert. Hierbei haben mir brüderliche Gespräche, Zeichnungen, Literatur und die praktische Umsetzung meiner Erkenntnisse immer ganz neue Aspekte gezeigt. Aber nicht nur das.
Für mich persönlich habe ich festgestellt, dass sich eigentlich noch einen Schritt weitergehen ließe. Ich will die Aufmerksamkeit, mit der ich die Symbole betrachte, auch dann anlegen, wenn ich durch die Welt wandele.
Das, was ich erlebe lässt sich schließlich auch symbolisch deuten. Hierbei habe ich darauf zu achten, wie ich etwas wahrnehme und warum.
Da meine Wahrnehmung aufgrund meiner Biologie und Persönlichkeit Grenzen bei der Erfassung des Erlebbaren hat brauche ich die Reflexion. Die Reflexion benötigt jedoch Zeit und geschieht nachträglich. Will ich diese jedoch sofort, also ad hoc muss ich zunächst die Richtung meiner Wahrnehmung ändern.
Unter der Prämisse, dass alles eine symbolische Bedeutung hat, soll eine bewusste Abstraktion von dem Erlebten vollzogen worden. So ist die Möglichkeit der Deutung wieder eröffnet. Dies will ich die symbolische Wahrnehmung nennen. Ich glaube es kann zu einer Bewusstseinsänderung führen, wenn ich mich regelmäßig frage, warum ich gerade die eine Handlung vollziehe. Indem ich meinen Handlungen einen Sinn gebe, gebe ich ihnen eine Richtung.
Ich glaube nicht, dass es möglich ist, dauernd in einem solchen Modus durch die Welt zu schreiten. Ich muss zugeben, dass es mir schon schwerfällt die einfachsten mir lästigen Verhaltensweisen abzulegen. Als ein ganz banales Beispiel dient wohl der ganze Quatsch, den ich im Internet konsumiere. Videoclips von Menschen, die ich nicht kenne, und denen jede tiefere Bedeutung fehlt. Dumme Bilder mit Untertitel, denen jeder Witz fehlt. Wenn ich mich fragen würde „Wieso betrifft dich das?“ oder was für eine Bedeutung verleihe ich meinem Leben, diesem Moment, in welchem ich mir wieder so einen Quatsch antue, dürfte einiger Handlungsanreiz entstehen. Dafür muss aber meine Aufmerksamkeit bei mir sein. Das einzige, was mir langfristig bleibt sind die Umstände zu gestalten und zwar so, dass mein Handeln einen höheren Sinn bekommt. Gepaart mit symbolischer Wahrnehmung, dürfte sich so mehr Konzentration auf die mir wichtigen Erkenntniskanäle lenken lassen.
Die häufigste Anwendung dürfte symbolische Wahrnehmung in der Kommunikation mit den Mitmenschen haben. Viele Missverständnisse treten bloß auf, weil sich die Menschen auf ihre eigene Sicht der Dinge versteifen. Symbolhaftes wahrnehmen erlaubt vom eigenen Standpunkt zu abstrahieren und andere Perspektiven einzunehmen. Kommunikation ist nicht immer auf das gegenseitige Verständnis gerichtet, aber trotzdem läuft sie nicht voll rational ab. Eine entscheidende Frage hier kann sein: Warum versuche ich überhaupt gerade meinen Gegenüber zu überzeugen?
Es gibt jedoch noch eine Hürde und zwar, weil wir die Welt im Nachhinein so interpretieren, dass sie unseren Erwartungen entspricht. Dies drückt sich auch in unserer Sprache aus, wenn wir Sätze sagen wie „Du siehst auch nur, was du sehen willst“, oder „wir sehen, was wir sehen wollen.“ Auf selbsterfüllende Prophezeiungen und Placebo-Effekte, will ich nun aber nicht mehr eingehen, auch wenn es hier passen würde. Jedoch interessant bleibt, dass in der Reflexion unserer Ereignisse eine Überpolarisierung des Guten, also Positiven, aber auch des Negativen stattfinden kann. Eine Symbolische Sichtweise zwingt jede dieser Wahrnehmungen der Interpretation zu öffnen.
Symbolisches Wahrnehmen erlaubt zuletzt immer noch nicht die menschlichen und subjektiven Grenzen der Wahrnehmung zu beseitigen. Es erlaubt aber die eigene Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Dingen zu richten. Vielleicht bloß, damit wir die richtigen Fragen stellen. Die Beschäftigung mit der Symbolik hilft uns dabei Vertrauen zu entwickeln. Vielleicht kann man es auch als Achtsamkeitsübung sehen. Dieses Vertrauen ist notwendig, sobald eine Entscheidung getroffen werden muss. Über die Symbolik öffnen wir die Pforten unserer Wahrnehmung und können schließlich über den verantwortungsvollen Umgang mit unserem Umwelt den Dingen einen Sinn geben.
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