Im Gespräch mit Nicht-Freimaurern über Freimaurerei werde ich gelegentlich gefragt, was ich in der Freimaurerei suche beziehungsweise in ihr zu finden erwarte. Ich muss dann leider regelmäßig antworten, dass die Frage – zumindest was meine Person angeht – am Kern der Sache vorbei geht. Denn Erwartungen mögen zwar zuweilen gut und nützlich sein, doch sind sie zu konkret und werden sie obendrein möglicherweise erfüllt, ja dann wäre ich ja sozusagen fertig mit der Freimaurerei und heute kein Freimaurer mehr. Mich treibt dabei die Sorge um, dass ich bei braver Erfüllung all meiner Erwartungen zwar Anfangs damit sicher sehr zufrieden wäre, hocherfreut, immer schön genau das zu finden, was ich suche, doch dass mit der Zeit vielleicht die Motivation mangels Anreiz nachlassen und ich vermutlich irgendwann weiterziehen würde.
Erwartung erfüllt, Haken dran, nächstes Thema.
???
Insofern (behaupte ich mit einem Augenzwinkern,) kann, ja darf es also nicht wirklich wichtig sein, tatsächlich zu finden, was man sucht.
Das ist jetzt kein Plädoyer dafür, dass es nicht wichtig sei zu wissen, was oder wohin man im Leben will! Im Nachhinein wesentlich mehr Bedeutung hat es aus meiner Erfahrung jedoch oft, Dinge zu finden, die man nicht gesucht hat. Denn so kommen die unerwarteten Ereignisse zu uns, die uns erfreuen und bereichern. Das muss nicht immer gleich eine bahnbrechende Erfindung sein. Ein gutes Gespräch im Café mit dem unbekannten Tischnachbarn kann auch aus dem Alltag herausstechen und in uns nachhallen. Oder wenn man den Buchladen mit völlig anderen Büchern verlässt, als das geplant war. Oder wenn die 10. Reise zur Immer-wieder-Urlaubsdestination aus nicht vorhersehbaren Gründen einen völlig anderen – positiven – Verlauf zu bisher unentdeckten Orten nimmt. Und so weiter, die Liste ist beliebig erweiterbar.
Im Englischen gibt es sogar einen hübschen Namen für dieses Art des Findens: Serendipity. Zu Deutsch (leider nur als fahler Abklatsch) Serendipität genannt oder die zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist (Quelle: Wikipedia).
Der Begriff Serendipity ist ein Kunstwort, erfunden von Horace Walpole, dem 4. Earl of Orford, der ihn in den 1750er Jahren in seinen Briefen verwendete. Dort schrieb er, dass er den Begriff in Anlehnung an das persische Märchen The Three Princes of Serendip geprägt habe, in dem diese drei Prinzen mehrere dieser unerwarteten Entdeckungen gemacht haben. So viel Kreativität ist dem Grafen durchaus zuzutrauen, gilt Walpole doch auch als sozusagen Erfinder des Schauerromans und des Architekturstils Neogotik. Ich kann mir auch vorstellen, dass er von der Schönheit des Begriffs angetan war. Steckt in Serendipity doch sowohl der Wortstamm von Serenity – zu Deutsch Durchlaucht/ Hoheit, aber auch Gelassenheit oder heitere Gemütsruhe – als auch das Wort Pity – zu Deutsch Mitleid/ Erbarmen. Serendipity könnte man also auch als Zustand deuten, den man erreicht, wenn redliche Suche sozusagen von oben als Akt der Gnade auf unerwartete Weise belohnt wird.
Naja, ich bin kein Sprachwissenschaftler und möglicherweise hält diese These einer exakten Untersuchung nicht stand, doch ich mag diese Idee.
Als Beispiele für Serendipity gelten die Entdeckung Amerikas, der Röntgenstrahlung und des Penicillins, aber auch des Linoleums, des Post-it und von vielen anderen Dingen. Gemeinsam ist diesen, dass ihre Entdeckung kam, nachdem jemand viel, jedoch nicht auf exakt dieses Ziel gerichtet daran gearbeitet hat.
Serendipity kann sich jedoch nicht nur auf Orte und Dinge, sondern auch auf Ereignisse und Personen beziehen und wie gesagt muss sich durch die unerwartete Entdeckung keineswegs immer gleich die ganze Welt verändern. Aber ein kleiner Ausschnitt derselben ganz sicher.
Das wiederum beschreibt recht gut meinen Antrieb, Freimaurer zu sein und zu bleiben: die regelmäßige Beschäftigung mit Freimaurerei wird erstaunlich oft belohnt mit schönen Dingen und Ereignissen, die ich nicht ausdrücklich gesucht habe, die mir jedoch viel geben oder sagen und die ich nicht mehr missen möchte. Ein gutes Gespräch mit einem Bruder oder im Bruderkreis. Menschen kennenlernen, die ich sonst nie getroffen hätte. Neue Impulse, Ideen und bedenkenswerte Sichtweisen. Und mehr.
Noch einmal möchte ich hervorheben, dass dies alles nicht einfach so zufällt, sondern erst durch die regelmäßige Beschäftigung mit Freimauerei sozusagen provoziert wird. Für mich ist das eine mögliche Erklärung dafür, warum regelmäßig betont wird, Freimaurerei sei ein Bund fürs Leben. Eine dauerhafte Beziehung ergibt nur Sinn, wenn sie auch durch ein gewisses Maß an Kontinuität gekennzeichnet ist. Selbst nicht aktiv zu werden, bedeutet hingegen Stillstand!
Freimaurerei muss gelebt werden, sie fällt nicht vom Himmel, und das ist wie gesagt sicher auch ein Grund dafür, dass wir uns so regelmäßig zur gemeinsamen Arbeit treffen, so wie heute. Insofern wundere ich mich immer wieder ein wenig über die Stelle in unserem Ritual „es geschehe also“. Ich möchte aus Gründen der Arkandisziplin die Stelle hier mit unseren Gästen nicht genauer ausführen, doch ist nicht zu viel gesagt, dass ein Aufruf zu aktivem Handeln mit dieser passiven Floskel „es geschehe also“ abgeschlossen wird. Für mich passt das irgendwie nicht zusammen. Zum Einen erinnert mich die Floskel an das „und es geschah so“ aus der Genesis, was ich etwas vermessen fände, wenn das die Intention gewesen wäre (war es bestimmt nicht). Zum Anderen „geschieht es“ ja nicht einfach so, sondern nur dann, wenn wir – mit Verlaub – den Hintern von der Couch heben und die Ärmel hochkrempeln. Vielleicht ist „es geschehe also“ einfach ein frommer Wunsch, der uns ermuntern soll die Kraft und Ausdauer zu finden, um das durchzuführen, was wir uns vorgenommen und der eine oder andere möglicherweise sogar schon begonnen haben:
die Arbeit am rauhen Stein und am Tempel der Humanität.
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