Mensch werde wesentlich, so lautet das Jahresthema unserer Loge. Soll das nun als Aufforderung zum Nachdenken und einer daraus resultierenden Änderung zum „Wesentlichen“ gemeint sein?
Jener der diese Aussage in den Imperativ gesetzt hat, musste sich seiner Sache sehr sicher sein.
Aus der Sicht des Freimaurers erahne ich natürlich was beabsichtigt sein könnte. „Mensch sei Dir der Endlichkeit des Lebens, Deines Lebens bewußt und nutze die Zeit. Oder auch lebe bewußt und genieße Deine Zeit. Der eine unter uns übersetzt es in eine Aufforderung zur Pflichterfüllung, zu einem regelhaften und geordneten Leben, „mit hohen Zielen vor Augen“(heißt es nicht an einer Stelle des Rituals so?) Ein anderer mag diese Aufforderung weniger als Verzichtserklärung und Verpflichtung zur Selbsterziehung auffassen, sondern als Erinnerung daran verstehen, die Schönheit, Vielfalt, das in mannigfachen Facetten auftretende Wunder des Lebens in all seinen möglichen Momenten zu erkennen und auszukosten.
Vermutlich wird es weder die Strenge der Selbstzucht als der protestantischen Variante nahe kommen noch der lebens- und genussbetonten katholischen Seite.
Ein wesentliches Leben, ein Leben in Wesentlichkeit wird m.E. eines immer sein. Ein Dasein , Handeln und Leben in dem Bewusstsein des eigenen Selbst, schlicht ein Leben in Selbsterkenntnis.
Ich erkenne es am Beispiel der Unvollkommenheit meiner eigenen Person. Vor allem als junger Mensch habe ich gedacht, dass ich mich nur genug anstrengen und bemühen muss. Dies werde dann schon zur Belohnung führen. Welche ich mir idealerweise als eine höchste Form von Wachheit, Bewusstsein und Klarheit vorgestellt habe.
Hätten meine Eltern und Lehrer mich nicht im Geiste der protestantischen Ethik erzogen, wäre mir Selbstdisziplin , Selbstüberwindung und permanent laufende Ist-Standsüberwachung (gewissermaßen als durchlaufender Subtext) gar nicht erstrebenswert gewesen. Vielleicht wäre mein zurückliegendes Leben mir in mancher Hinsicht lustvoller, diesseitiger und schöner erschienen. Vielleicht wäre es das auch in faktischer Weise gewesen.
Mensch werde wesentlich – unterstellt es gebe tatsächlich die Möglichkeit diese Wesentlichkeit als Zustand des Seins und vielleicht auch des Habens zu formen.
Ich frage mich selbst und auch Euch. Gibt es Gründe an die Realisierbarkeit dieses Vermögens zu glauben? Ist uns Menschen dieses Vermögen gegeben? Im Folgenden möchte ich mich mit den Gründen ein wenig auseinandersetzen
Warum macht mich die Erkenntnis, so unendlich weit von diesem Ideal entfernt zu sein, so traurig und bisweilen auch wütend?
Vielleicht weil ich davon ausgehe, dass es einen absoluten Wert der Selbsterkenntnis, gewissermaßen SE 100%, ganz dem Wunsch nach paradiesischen Zuständen kaum geben wird in einem Menschenleben.
Doch möglicherweise ist das kein messbarer Zustand sondern vielmehr eine idealisierte Phantasie. Mag sein, das es als Qualität erfahrbar aber eben nicht im Sinne eines Mehr oder Weniger beschreibbar ist.
Steht nicht hinter der Aussage,“Mensch werde wesentlich“ ein Heilsversprechen ? Wenn Du erst wesentlich geworden bist dann wird alles gut.
Diese Fragen drängen sich mir auf, besonders dann, wenn ich mit Imperativen konfrontiert werde. Sei es drum! Ich bin in einer Zeit aufgewachsen in der es scheinbar die Wahl gab zwischen dem einen und dem anderen Weltbild. Mein Jahrgang hat sich nicht gerne einfügen wollen. Autoritäten, gleich ob nun „Gute“ oder „Böse“ mußten in Frage gestellt werden. Es bestand ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen Heilsversprechen.
Doch! ganz unter uns sei zugestanden! Wie gerne würde ich einfach mal laut JAAAA schreien!
Ist ein gewisser Status der Aufmerksamkeit, Wachheit erreicht, wird es schwierig so zu tun als wäre dieses oder jenes zufällig übersehen worden, als wäre man unschuldig wie eine Neugeborenes oder einfach nur betrunken. Wenn da nur nicht dieses lästige Gewissen wäre. jene innere Instanz die mich ermahnt den Weg des Rechtes und der Tugend zu gehen. Ich fürchte, das diese Instanz ihrerseits nicht frei von Fehlurteilen, vielleicht sogar fehlgeleiteten Motivgründen ist. Ist doch das „Überich“ in weiten Bereichen unbewußt, geprägt durch den Einfluss der frühen Entwicklungsjahre. In der Sprache der Psychologie wird auch von der moralischen Orientierung gesprochen.
In Anbetracht dieser Gedanken, die ich hier als Anregung zum Nachdenken verstehen will, kommt in mir die Erinnerung an viele Jahre der Anstrengung, welche ich mir immer und immer wieder aufgebürdet habe. Um mich nach Tagen des Müßiggangs wieder auf die Spur zu bringen.
Indikator des Ungleichgewichtes war mir, besonders als Kind aber durchaus auch noch heute ein diffuses, sowohl körperlich als auch psychisch vernehmbares Gefühl, für das mir spontan das Wort „Unzulänglichkeit“ in den Sinn kommt. An welchen Wahrnehmungen habe ich genau gefühlt, dass ich gewissermaßen aus der Spur war? Offensichtlich weniger durch eine nüchterne Bilanz, sondern mehr durch eine Emotion. Genauer beschrieben fühlte es sich an wie eine Enge, eine Angst nicht ausreichend Luft zu bekommen, ein Erleben zutiefst niedergedrückter Stimmung, eine umkonkrete Angst, bis zu einer Angst die beim „Untergang“ entstehen mag, Angst zu fallen, Furcht davor es nicht zu schaffen…
Mensch werde wesentlich, kann heißen sich von negativen Gefühlen frei zu machen und an die Stelle von Diffusion Klarheit zu setzen. Gewissermaßen das Fenster zu putzen um die „Wirklichkeit“ in einem anderen Licht betrachten zu können, daraus nüchterne Schlüsse ziehen zu können. Als Metapher für diese Klarheit könne ich auch vom beschreiten des rechten Weges sprechen.
Als hilfreich und zugleich praktische Übung zum „Fenster putzen“ möchte ich folgende Übung, die ich in den frühen Jahren meiner Sinnsuche oder Selbsterfahrungsgruppen – Praxis häufig durchgeführt habe kurz darstellen:
Ich habe mich an einen ruhigen Ort gesetzt, die Augen geschlossen (und mir folgende Bilder vorgestellt)… und mich in folgende Imagination begeben.
Ich habe mir vorgestellt, was mit mir in der Absolutheit des Daseins geschehen würde, wenn ich alles loslassen müsste, was mir wertvoll und wichtig sei im Leben, all das dessen Verlust mir unendlich großen Schmerz bereiten würde, alle materiellen Werte, meine Arbeit, meine Liebste, meine Freunde. Ich habe dabei versucht mich mental so nah wie möglich an diese Fiktion heranzuarbeiten um zu erfahren wie sich das anfühlen mag und was es mit mir machen würde. Damit habe ich mich auf das r e d u z i e r t was dann noch von mir übrig bleiben würde, wenn die großen überflutenden Emotionen abgeklungen wären und mich doch noch, trotz größter Entbehrungen, als Person sehen konnte, die das IHR gegebene Leben leben will.
Mensch werde wesentlich! muss nicht unbedingt dazu führen, den Extremen des Daseins begegnen zu wollen.
Es mag sein, dass ich auf der Suche ganz still werde und mich meines Lebens erfreue. Konkrete Antworten muss es nicht unbedingt geben. Vermutlich erfreuen sich deshalb die meisten Mitmenschen im Großen und Ganzen eines relativ ausgeglichenen Gemütes und friedlichen Daseins.
Transformation, Wandlung und Verwandlung ist die Blickrichtung des Meisters. So verstehe ich die Idee des 3 Grades. Schweigen ist daneben eine der praktischen Tugenden, „schau über Dich“kann auch bedeuten, „überwinde die Grenzen deines Egos“, Löse Dich, wenn es darauf ankommt, von den Anhaftungen Deines ego-inspirierten Daseins. Aber dies kann nur dann gelingen, wenn das Fenster wirklich klar ist.“Selbstlosigkeit“ kann m.E. gelingen, wenn ich die Wesensgründe meiner Person kenne, weniger wenn ich mich einem aufgesetzten Programm (z.B. der Disziplin) opfere, ohne mir meiner „verborgenen“ Beweggründe klar, immer wieder von neuem, klar zu werden. Das EGO wird mich, sollte ich gewissermaßen das „Fensterputzen“ vernachlässigen sabotieren. Meine Brüder werden spüren, dass mir Authentizität und innere“Wahrheit“ fehlt…
Meine Gedanken zu unserem Thema sind lediglich ein kleiner wie immer höchst subjektiver Beitrag.
Doch am Ende noch einmal zurück zur Idee von Selbstdisziplin, allgemeiner Disziplin und an mancher Stelle auch Askese. Ich spreche bewußt von Selbstdisziplin, weil ich davon überzeugt bin, dass diese von Innen und aus freiem Entschluss entstehen sollte. Warum nur?
Erzwungen Selbstdisziplin ist keine Selbstdisziplin sonder Unterwerfung und bisweilen sogar Selbstaufgabe. In den wenigsten Fällen wird dieser Zwang durch physische Gewalt durchgesetzt. Der Einfluß familiärer und gesellschaftlicher Prägung, von Erziehung und Sozialisation, steuert Gedanken, Handlungen und Gefühle unentwegt. Angst hält die meisten bei der Stange und ist soweit verinnerlicht, dass sie gar nicht an die Schwelle des Bewusstseins gelangt. Ein Mensch unterwirft sich nicht aus freien Stücken sondern nur wenn er um seine Existenz, sein Leben, fürchten muss.
Auch wenn der Meister besonders hat an sich arbeitet, sollte er bei dieser Arbeit den feinen Unterschied zwischen Disziplin und Selbstdisziplin, im Umgang mit der eigenen Person und mit seinen Brüdern erkennen (lernen)…
Nun, wenn ich einen Blick auf meine Taten und Werke richte werde ich im ersten Moment wenig erblicken. Habe ich in meinem bisherigen Leben etwas erschaffen, das den etwas hochtrabenden Begriff des „Werkes“ tragen könnte? Dies müsste schon etwas sein, das über mich hinausweist und was von Dauer sein sollte.
Doch wenn ich mich näher damit befasse kommt mir in aller Bescheidenheit schon etwas in den Sinn.
Meine beiden Söhne H. und J.
Diese wurden ganz bewußt in die Welt gesetzt und mit elterlicher Liebe gehegt und gepflegt. Da sie vermutlich und so will ich hoffen, mein Dasein überdauern werden, kann ich auch annehmen, dass Sie über meine Existenz hinaus weisen werden.
Ich habe ferner noch folgendes Werk vollbracht: Ich habe während der Zeit meiner Adoleszenz, zwischen dem 17ten und dem 20ten Lebensjahr unzählige Briefe an meine Liebsten geschrieben. Ich kann nicht nur von der Liebsten sprechen, sondern muss an dieser Stelle leider den Plural verwenden, kann Euch aber beruhigen, dass es eine serielle Abfolge eben jener Liebsten gab und keine Parallelen.
Eine meiner Verflossenen hat mir bei einem späteren Treffen gesagt, das dies und namentlich der Inhalt meiner Briefe wohl nachhaltigen Eindruck hinterlassen habe.
Ich möchte Euch jetzt nicht länger mit weiteren Werken malträtieren. Sicher fiele mir noch das ein oder andere ein…Wer sagt eigentlich das Werke immer gut und großartig sein müssen?
Bei dem Gedanken an die Spuren meines bisherigen Lebens stellt sich mir folgende Frage: Wie gestalte ich die mir verbleibende Zeit? Werde ich etwas für mein Glück und das Glück meiner Liebsten zum können, welches in Anbetracht der Begrenztheit meiner Mittel und dies meine ich sohl physisch als auch mental, mich überdauern wird und will ich das überhaupt?
DAS Wesentliche an sich existiert m.E. nicht.
Vielmehr existiert eine je individuelle Wesentlichkeit.
Warum, fragt sich der geneigte Zuhörer?
Weil sich das Wesentliche als zu entdeckende Aufgabe des Daseins im Laufe der Entwicklung entblößt, besser aufdeckt! es ist Lebensaufgabe jedes Menschen.
Für den einen mag es die Entwicklung von Lebensmut und Kraft sein, für den anderen die Überwindung materieller Armut, für den nächsten wiederum die Transformation von Angst und Minderwertigkeitsgefühlen in Zuversicht und Freude.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen eine abenteuerliche und glückliche Lebensreise als Freimaurer auf der ewigen Suche nach dem „Wesentlichen“.
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