Ehrwürdiger Meister, meine lieben Brüder,
ich möchte euch heute von meinen Gedanken erzählen – davon, woher ich komme, wer ich bin und wohin ich gehe.
Und wenn nun der eine oder andere von euch hofft, endlich die Wahrheit zu erfahren, dann muss ich ihn leider enttäuschen. Nicht, dass ich sie nicht wüsste, die Wahrheit, aber aus Sicherheitsgründen habe ich mich zum Schweigen verpflichtet.
Nun gut…
Woher also komme ich, wer bin ich und wohin gehe ich?
Über die Fragen – woher komme ich und wohin gehe ich – habe ich mir lange Zeit meines Lebens Gedanken gemacht.
Ja, ich bin bis nach Indien gereist, wo ich glaubte, die Antwort, nach der ich suchte, finden zu können. Da war eine Unruhe in mir, eine quälende Stimme, die immer wieder fragte: Woher kommst du eigentlich? Da war ein Gefühl, das mich seit meiner Kindheit begleitete, etwas, dass ich nicht wirklich erklären kann, vielleicht das Gefühl, am falschen Platz zu sein.
Ich hoffte also, meine Antwort in Indien, in einer Palmenblatt- Bibliothek zu bekommen.
Vor etwa 30 Jahren, ich war vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, sah ich eher zufällig im Weltspiegel einen Bericht über Indien. Da zu dieser Zeit mein Interesse, andere Länder und Kulturen kennenzulernen, immer stärker wurde, schaute ich mir diesen Bericht aufmerksam an. Er zeigte einen Hindupriester in einem Tempel, wo Tausende von Palmenblättern aufgerollt und nach einem bestimmten System abgelegt sind. Der Priester erzählte, dass jedes dieser Palmenblätter mit der Geschichte eines Menschen vom Anbeginn bis zum Ende seines Zyklusses beschrieben sei. Von Menschen, die irgendwann einmal kommen werden, weil sie wissen wollen, woher sie kommen und wohin sie gehen. An diesen Bericht erinnerte ich mich im letzten Jahr, auf der Beerdigung meiner Mutter.
Drei Monate später reiste ich nach Indien.
Voller Euphorie und Zuversicht machte ich mich auf die Suche nach meinem Palmenblatt. Ich war mir sicher, endlich meine Antwort zu bekommen. Aber desto näher ich an mein Ziel kam, umso mehr stellte meine innere quälende Stimme mir neue Fragen:
Ist es gut zu schummeln?
Die Prüfungen, die das Leben einen stellt, und ihre Antworten darauf zu wissen?
Zu meinen, den Großen Baumeister gar austricksen zu können?
Oder war es nur die Angst, unbequeme oder gar grausame Antworten zu bekommen?
Ich weiß es bis heute nicht!
Wie dem auch sei – so dicht vorm Ziel, wollte, ja konnte ich nicht aufgeben. Endlich angekommen und – glaubt mir – mit einem Herzschlag bis unterm Kinn, bat ich den Priester, mir mein Palmenblatt zu holen und vorzulesen. Ziemlich gelangweilt und in seiner Mittagspause gestört, erklärte er mir, dass es im Moment nicht möglich wäre, zur Bibliothek zu kommen und ich frühestens in zwei bis drei Monaten einen Termin bekommen könnte. Da er mir auch unmissverständlich versicherte, dass es keine Frage des Geldes sei, sondern es ihm im Moment wirklich nicht möglich wäre, verließ ich ihn und ging wieder in die profane Welt Indiens zurück. Befreit von jedem Druck, glücklich in meinem Herzen, hat doch das Schicksal mir diese quälende Frage beantwortet.
Nein, ich muss jetzt nicht wissen, woher ich komme, wohin ich gehe, ich will nicht dem Großen Baumeister in die Karten sehn, will meine Zukunft nicht wissen, will Liebe und Leid, Glück und Unglück annehmen, wann immer es kommt, und mich der Verantwortung stellen.
Wenn meine Zeit gekommen ist, wird der Große Baumeister aller Welten mir die Frage – woher komme ich und wohin gehe ich – beantworten. Bis dahin – und ich hoffe er lässt sich noch ein wenig Zeit – denke ich, habe ich hier auf der Erde eine Aufgabe.
Da ist die dritte Frage: Wer bin ich?
Und ich höre die Worte des Meisters vom Stuhl, bei meiner Aufnahme in die Freimaurerei: „Erkenne dich selbst!“
Wer bin ich?
Zuerst einmal einer von 7 Milliarden Menschen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mal bin ich Bettler, mal Edelmann, mal König, mal Narr!!! Vielleicht ist die Antwort wirklich so einfach, so banal. Ich denke schon: Von jedem steckt etwas in mir – wer ich am Ende bin, entscheidet ihr. Mein Wesen, mein Grundgerüst, wurde mir in die Wiege gelegt; die Astrologen meinen, es anhand der Sternenkonstellation vom Tag meiner Geburt erkennen zu können – und mal ehrlich: Wer von uns liest nicht hin und wieder sein Horoskop?
Dieses Wesen, dieses von Gott gegebene >> ICH << kann ich nicht ablegen.
Geprägt durch meine Herkunft, mein Umfeld und meine Erziehung hat sich Schritt für Schritt mein Charakter gebildet.
Dies ist mein rauer Stein, daran muss ich arbeiten, mein ganzes Leben. Was also ist meine Aufgabe hier auf der Erde Muss ich für Sünden aus vergangenen Leben büssen? Komme ich wieder, bis alles bezahlt ist? Darf ich nur an den einen Gott glauben, damit ich ins Paradies komme?
Oder ist doch alles nur ein Zufall, und mit dem Tod zu Ende Auch diese Frage bleibt offen, bis zu meinem letzten Atemzug.
So bleibt mir nur mein Glauben. Wie heißt es bei Victor Hugo so trefflich:
>> Zu glauben ist schwer, nichts zu glauben ist unmöglich. <<
Mit diesem, mit meinem Glauben, bin ich allein. Denn niemand vermag in meine Seele zu sehen. Und so muss ich dieses, mir gegebene Leben – leben – muss meinen Weg gehen und will an meinem Palmenblatt schreiben!!!
Es fing alles im Jahre 1964 an und man sagt sich heute noch, dies sei ein goldener Jahrgang gewesen.
Nun ja, ich lasse es mal so stehen. Meine Erinnerung fängt erst ein paar Jahre später an.
So beginnt mein mir bewusstes Leben erst im Alter von vier vielleicht schon drei Jahren.
Alles war so einfach, so wunderbar: Ich liebte die Märchen der Gebrüder Grimm, war fasziniert von Hauffs Geschichten aus dem Orient und schlief ein bei den Liedern, die meine Mutter für mich sang. Vielleicht ist diese Zeit, wo noch Feen und Elfen zu einem kommen, das Paradies auf Erden. Noch ohne Schuld und rein im Herzen. Aber schon da!!!
Doch schnell, vielleicht zu schnell, wurde mir dieses Paradies zu langweilig. Da draußen nicht weit, gleich hinterm Haus, nur kurz über die kleine Straße und ich schau auch bestimmt erst nach rechts und dann nach links – tschüss – da ist der Park, hier beginnt das Leben, hier sind die unzähligen Abendteuer, die nur auf mich warten. Hier bin ich eins mit meinen Helden, hier bin ich Robin Hood, D´Artagnan oder Zorro.
Hier werden die großen Schlachten für Recht und Gerechtigkeit geschlagen. Nur meine Eltern konnten irgendwie nicht nachvollziehen, dass ich genauso war wie die und wir uns nun mal mit solchen Sachen wie das Zimmer aufzuräumen oder gar abzuwaschen nicht aufhalten konnten.
Allein meine Überzeugungskraft reichte nicht aus und so lernte ich auch Aufgaben zu übernehmen, die ich hasste. Aber genau dieser Drang nach Freiheit, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, neuen Herausforderungen, kein „Das- geht- nicht“, ohne es gewagt zu haben, immer auf der Suche nach den richtigen Antworten, ist der Weg, den ich gehen will, vielleicht gehen muss.
So haben sich im Laufe der Zeit natürlich meine Vorbilder geändert, doch die Ideale sind geblieben. Auf meinem Weg, der Suche zu meinem Ich, zu meinem Selbst. Am Anfang schien der Weg recht einfach – hatten die Erwachsenen doch immer eine passende Antwort und meine Eltern sowieso immer Recht. Lange ging das natürlich nicht gut, irgendwann, als meine Fragen unbequemer komplizierter wurden … und ich mich nicht mehr mit einem „Weil es eben so ist!“ zufrieden gab, hieß es: „Na ja, er ist in der Pubertät.“ Oder: „Werd du erstmal erwachsen, so alt wie ich.“ Solche Sprüche ärgerten mich und so hieß es auf einmal, ich wäre aufsässig und sehr kompliziert.
Vielleicht ist es auch so gewesen. Vielleicht ist man, wenn man sich nicht anpassen will, nicht wie eine Marionette an Fäden hängen will, wenn man Dinge, die einem unlogisch oder als unwahr erscheinen in Frage stellt, kompliziert und aufsässig. Ich habe diese Rolle gern angenommen. Es ging auch nicht anders. Ich glaube, das gehört zu meinem Wesen, zu meinem >>Ich<< – das kann ich nicht ablegen. Und so ist es auch eine logische Folge, dass ich wohl ein gläubiger Mensch bin, aber mit den konfessionellen Religionen nichts anfangen kann. (Da ist mir einfach zu viel „ weil es eben so ist!“ drin) Oh ihr Moralisten, ihr Heuchler, sagt ihr mir nicht, was gut oder böse ist. Ich brauche auch hier meinen Spielraum, muss Fragen stellen, die nur dem Großen Baumeister und mich etwas angehen. Ich muss doch zuerst bei mir nach der Wahrheit suchen, muss ehrlich zu mir selbst sein. Nur dann kann ich auch ehrlich zu meinen Mitmenschen sein. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich immer ehrlich war oder bin. Das wäre ja schon die erste Lüge, ich meine auch nicht die Flunkereien und kleinen Lügen, die einem im Alltag weiter helfen. (Böse Zungen behaupten sogar, ich wäre ein Meister darin.) Ich meine die>> Big Points<< die über Liebe, Vertrauen und Freundschaft entscheiden, und da bin ich mir sicher, das geht nur über die Wahrheit, über Ehrlichkeit, nur wenn ich ehrlich zu mir selber bin, kann ich es auch zu anderen sein. Dazu gehört aber auch, unangenehme Wahrheiten zu akzeptieren, damit umzugehen. Bereit sein zu lernen, sich zu korrigieren.
Denn meinen Weg, auf der Suche zu meinem Selbst, gehe ich ja nicht allein. Viele Menschen begleiten mich. Einige weniger lange, andere fast mein ganzes Leben. Es kommen neue dazu und manche verändern sogar mein Leben. Nicht allen kann ich es recht machen, das will ich auch gar nicht, wie auch. Aber alle sind ein Spiegel für mich, zeigen mir meine Fehler, meine Irrtümer, oder bestätigen mich. Nur durch sie kann ich den Weg zu meinem Selbst, zu meinem Ich finden.
Dies ist der Weg, den ich geh, aber weiß >> Ich << nun, wer ich bin? Ich bin einer von sieben Milliarden Menschen, nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Für jeden von euch ein anderer, jeder hat sein Bild von mir, und so steckt wohl am Ende doch von allem etwas in mir!!!
Für den einen bin ich Bettler, ein armer Wicht, ein Spinner- den verstehen wir nicht. Für den anderen ein Edelman, ein Freund, der hilft, einer, der auch vergibt. Für manchen vielleicht ein König – doch der liegt mir nicht. Am liebsten ist mir der Narr, ja der Narr, ich glaube der passt …
Und da, wo ich herkomme, meine lieben Brüder, geht es sogar zu mich.
Ehrwürdiger Meister, meine lieben Brüder,
ich möchte meine Zeichnung mit einem Zitat von Victor Hugo beenden:
>> O du Ideal ! Du allein bist! <<
>> Das Unendliche ist. Es ist da.
Wenn das Unendliche kein Ich hätte, wäre das Ich seine Grenze;
es würde nicht unendlich sein; mit anderen Worten, es würde nicht sein.
Nun ist es aber. Es hat also ein Ich.
Dies Ich des Unendlichen ist GOTT. <<
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