„Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“
Ein Satz, der uns jedes Mal bei der Öffnung der Loge zu Gehör kommt. Und mit dem ich mich nie richtig anfreunden konnte. Aber warum nicht?
Vielleicht habe ich eine Abneigung gegen Freiheit? Nein, das kann es nicht sein. Vielleicht habe ich eine Abneigung gegen Gesetze? Hmm, ganz ohne Gesetze geht es dann leider auch nicht. Das kann es also auch nicht sein. Aber was ist es dann? Vielleicht ist es auch die Kombination aus beiden Worten.
Es braucht Gesetze, um frei sein zu können. So zumindest verstehe ich die Aussage dieses Satzes. Vielleicht habe ich den Satz auch einfach nur nicht richtig verstanden?
Der Satz, den der Stuhlmeister bei jeder Logenöffnung sagt und mit dem Ziehen des Schwertes untermalt, steht nicht für sich alleine. Sondern er ist der Schlusssatz eines Gedichtes von Johann Wolfgang von Goethe. Dem Gedicht „Natur und Kunst“.
Was aber hat „das Gesetz“ mit Natur und/oder Kunst zu tun?
Zum besseren Verständnis lese ich das vollständige Gedicht einmal vor:
Natur und Kunst.
Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen,
Und haben sich, eh‘ man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß sich zusammen raffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Für mich hört sich doch schon ganz anders an. Da geht es gar nicht um ein Gesetzt im juristischen Sinne. Da geht es um die Gesetzmäßigkeiten zwischen Natur und Kunst. Genauer genommen geht es um die Selbstbeschränkung, um seine eigene Entwicklung zu fördern.
Um nicht zu ausschweifend zu werden, werde ich mich auf die letzte Strophe des Gedichtes beschränken. Ganz im Sinne des Gedichtes selbst.
Wer Großes will, muß sich zusammen raffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Was will uns Goethe damit sagen und was hat das mit uns zutun?
Also mal ganz von vorn:
Bei der Eröffnung legt der Stuhlmeister das Logenschwert mit dem Worten: „Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ auf den Meistertisch. Es liegt verbindend über den „Alten Pflichten“ und dem Hausgesetz.
Das Schwert liegt aber nicht auf dem Altar, auf dem die Bücher des Heiligen-Gesetzes liegen.
Wir haben also auf der einen Seite die Bücher des Weltlichen-Gesetzes und auf der anderen Seite die Bücher des Heiligen-Gesetzes. Und das Auflegen des Schwertes zusammen mit dem Ausspruch ist verbunden mit den Weltlichen-Gesetzen. In sofern ist der Ausspruch: „Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ an dieser Stelle schon stimmig.
Aber hat dass Goethe mit seinem Gedicht wirklich gemeint? Ich glaube nicht! Ich glaube, es geht dabei um den Konflikt zwischen Innerer- und Äußerer-Freiheit. Um uns dieser Thematik anzunähern sollten wir die beiden Begriffe vielleicht erst einmal definieren.
Als äußere Freiheit bezeichnet mal allgemein hin die Freiheit, nicht eingesperrt zu sein, sich frei bewegen zu können und frei sprechen zu dürfen. Auch das freie Forschen und sich seine Weltanschauung frei aussuchen zu können, sowie die freie Berufswahl fallen unter die äußere Freiheit. Dies sind alles Freiheiten oder auch Einschränkungen die unseren Alltag oder auch unsere gesellschaftliches Leben beeinflussen. Wenn ich diese, wenn auch nur grobe Definition, von äußerer Freiheit auf den initialen Satz beziehe, dann zwingt sich mir die Frage auf: Ob ein Gesetzt Freiheit gibt oder nimmt? Ist nicht ein Gesetz immer eine Einschränkung der äußeren Freiheit? Und sei es auch die Einschränkung der Freiheit anderer, um mich nicht zu beschränken?
Ist selbst ein so universelles Gesetz wie der Artikel 1 unseres Grundgesetztes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
eine Freiheit für mich oder eine Beschränkung für die Anderen?
Der im ersten Satz aufgeführte Anspruch:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Wird dadurch erreicht, dass dem Staat oder genauer genommen der staatlichen Gewalt, Freiheit entzogen wird. Der Staat kann mit den Menschen nicht machen was er möchte sondern MUSS immer deren Würde gewährleisten. Das Gesetz, zumindest im juristischen Sinne trägt also keine (äußere)-Freiheit in sich sondern nur die Beschränkung. Sei es nun meine oder sie der anderen.
Aber wie sieht es denn mit der inneren Freiheit aus?
Die innere Freiheit oder auch manchmal Freiheit zweiten Grades genannt bezieht sich, wie der Name schon sagt, auf das eigene Innere, das selbst.
Innere Freiheit ist ein Zustand des Geistes
Es bedeutet Entscheidungen frei von äußeren Einflüssen treffen zu können. Und damit sind nicht nur die Einflüsse der äußeren Freiheit gemeint sondern auch die in einem selbst, z.B. durch Ängste oder die Meinungen anderer. Sich frei zu machen von den Beeinflussungen anderer ist eine Sache aber sich frei zu machen von der Beeinflussung durch einen selbst, dass ist etwas völlig anderes. Der Beeinflussung durch andere, sei es die Werbung im allgemeinen oder einzelne Personen im besonderen, kann man häufig mit der eigenen Aufgeklärtheit, gesundem Menschenverstand und einem guten Bauchgefühl etwas entgegensetzen.
Bei der Beeinflussung durch sich selbst wird es aber deutlich schwieriger. Sich frei zu machen von Ängsten, Wünschen oder auch Erfahrungen ist eine große Aufgabe die nur jeder einzelne von uns, ganz alleine mit sich selbst und für sich selbst lösen kann. Und was noch schwerer ist als diesen Zustand zu erlangen, ist, ihn beizubehalten. Das ist nämlich eine Lebensaufgabe.
Aber wenn wir hier die ganze Zeit über Freiheit und die Überwindung von Beschränkungen, seien es innere oder äußere, sprechen. Warum sagt Goethe dann in seinem Gedicht:
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Wir wollen doch die Beschränkung überwinden.
Vielleicht gibt es da ja noch eine dritte Stufe von Freiheit. Die Freiheit nicht jede seiner Freiheit auszuleben, sei es aus ethischen, moralischen oder auch ganz banalen Gründen. Auch zu erkennen, dass Freiheiten in Abhängigkeit zueinander stehen.
z.B. wenn man die Freiheit des reisen nutzen möchte kann es passieren, dass man seine Abhängigkeit von dem Geld, das man zum reisen benötigt erhöht. Oder wenn man die Freiheit bewusst zu wenig zu Schlafen zu weit ausreizt, dass man dann in seiner Entscheidungs-Findung in eine Abhängigkeit von der dann allgegenwertigen Müdigkeit gerät.
Ich glaube, Goethe plädiert für:
Die freiwillige Selbstbeschränkung der äußeren Freiheit, zur Förderung der inneren Freiheit.
z.B. im Job, Personen denen gegenüber man weisungsbefugt ist, nicht immer die Arbeit aufzubrummen, die man selber nicht machen möchte, sondern sie gefälligst selbst zu erledigen.
Meine Brüder, ich habe seit ca. zwei Monaten einen Azubi neben mir sitzen und weiss daher wie groß die Versuchung ist. Aber ich bemühe mich es nicht zu tun, da ich weiss, dass diese Arten von Arbeit der fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung des Azubis nicht förderlich sind. In diesem Fall verzichte ich auf einen Teil meiner äußeren Freiheit um die innere Freiheit des Azubis zu fördern.
Das ganze kann natürlich auch bei sich selber anwenden, z.B. durch den bewussten Verzicht auf Konsumgüter um dem Mantra des Konsum-Wettrüstens das uns von der Industrie und Werbung suggeriert wird entgegen zu wirken.
Wollte Goethe uns vielleicht folgendes damit sagen:
Wer Großes will, sei es in der Natur, der Kunst oder auch im Alltag der muss sich zusammen raffen und hart dafür arbeiten. Sich selbst beschränken in seiner äußeren Freiheit und vielleicht sogar thematisch einschränken um seinen Geist voll auf das Ziel auszurichten und Entwicklung zuzulassen.
Um das Gesetz zu erkennen, dass gegensätzliche scheinende Dinge wie Natur und Kunst eigentlich ganz nah bei einander liegen. Dafür muss man seinen Geist sehr wohl zusammen raffen und sich auf die wichtigen Dinge im Leben beschränken. Dann klappt das auch mit der Meisterschaft. Zumindest im maurerischen Sinne.
Nun schließe ich meine Zeichnung in dem Vertrauen, dass auch in dieser Loge die gegensätzlichen Meinungen und Auffassungen am Ende ganz nah bei einander liegen.