Die Arbeit an sich selbst

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„Du mußt an Dir arbeiten!“ – wer hätte nicht schon einmal diesen gutgemeinten Rat gehört oder, – was deutlich häufiger ist, – zu sich selbst gesagt. An sich arbeiten – eine an sich deutliche Aufforderung, etwas zu schaffen oder zu verändern, wird komplex, wenn man sie näher hinterfragt. Warum soll ich an mir arbeiten?

– Soll ich an mir arbeiten, um etwas Konkretes, wie z. B. ein bestimmtes berufliches Ziel, zu erreichen oder etwas Abstraktes, etwa mein Verhalten zu ändern?

– für wen leiste ich diese Arbeit, für mein Wohlbefinden, für die Familie, für die Gesellschaft o. ä.?

– Wann ist die Arbeit abgeschlossen, wie kann ich feststellen, ob die Arbeit vollständig geleistet wurde?

– Welchen Lohn kann ich erwarten, wenn ich die Arbeit erfolgreich beendet habe?

Motive, Ziele, aber auch Methoden, Werkzeuge, Zeithorizonte und eventuell mögliche Erfolgskontrollen sind so unterschiedlich, so individuell auf die jeweilige Arbeit bezogen, auf den an sich Arbeitenden anzupassen, daß wir uns dem Thema nur schrittweise nähern können. Zunächst einige Zielkategorien, die mit der Arbeit an sich selbst möglicherweise erreicht werden sollen. Aus meiner Sicht sind zu unterscheiden:

1. Konkrete Ziele
wie z. B. im beruflichen, sportlichen oder privaten Umfeld etwas ganz Bestimmtes zu erreichen – sei es eine bestimmte berufliche Position, eine sportliche Zielmarke oder einen bestimmten finanziellen Status.

2. Abstrakte Ziele
wie z. B. gewünschte Verhaltensänderungen, Änderungen in der Denkweise, – Stichwort „Positives Denken“ o. ä.

3. Transzendente Ziele
Sie sind in ihrem Abstraktionsgrad weit entfernt von den vorgenannten Kategorien. Sie beschäftigen sich mit Fragen der Weltanschauung, der Frage nach dem Sinn des Lebens, der Stellung – der Bestimmung des Menschen im unfaßbaren Raum des Universums.

Selbstüberwindung, Motivation, Zielbewußtsein, Beharrungsvermögen, das Vermögen Frustrationen und Rückschläge hinnehmen zu können, dürften bei allen Zielkategorien mit unterschiedlicher Intensität und Ausprägung erforderlich sein. Große Unterschiede bestehen in der Zieldefinition und in der Motivation, etwas an sich zu erarbeiten oder zu verändern.

Konkrete Ziele nach o. g. Rasterung sind vom Motiv her relativ klar faßbar: Anerkennung, Gestaltungsspielräume im beruflichen Umfeld, Macht, monetärer Reichtum, finanzielle Absicherung etc. sind nur einige Impulsgeber z. B. im beruflichen Umfeld sich bestimmte Ziele zu setzen, an sich zu arbeiten. Auch im sportlichen Umfeld spielen einige der letztgenannten Motive eine Rolle, wobei hier der sportliche Ehrgeiz sowie der Wunsch, die eigenen physischen und psychischen Grenzen auszuloten, hinzuzufügen ist.

Wesentlich bei den konkreten Zielen ist es, daß man sie fassen und messen kann. Es ist möglich, klare Meilensteine zu definieren und Standortbestimmungen durchzuführen. Man kann Vorbilder haben, an denen man sich messen kann, man kann die Ziele visualisieren, d. h. sich vorstellen, wie es ist, wenn man sein Ziel erreicht hat. Von dieser Arbeit an sich selbst leben viele Berufszweige unter dem Stichwort „Neurolinguistische Programmierung“. Die Methodik, diese Ziele zu erreichen, ist zwar individuell unterschiedlich, doch häufig erprobt. Die Zielkorridore sind durch sichtbare Teilerfolge abgesteckt, berufliche Hierarchien, sportliche Bestmarken oder das gut gefüllte Bankkonto sind Leuchtfeuer bei der Arbeit an sich selbst.

Die Arbeit an sich selbst im Sinne der o. g. Definitionen bei der abstrakten Zieldefinition ist schon weitaus schwieriger durchzuführen. Das beginnt bereits bei der eindeutigen Motivbestimmung, z. B. ein bestimmtes Verhalten zu ändern. Fühlt man sich von innen heraus unwohl, ein bestimmtes Verhalten zu leben oder wird das Verhalten von außen, von der Sozialisation sanktioniert. Im positiven Regelfall entsteht der Wunsch zur Arbeit an sich selbst daraus, den sich selbst gesteckten Werten zunehmend besser gerecht zu werden, unabhängig davon, ob der Wertmaßstab in einem selbst gewachsen ist oder ob die Sozialisation ihn vorgegeben hat. Die Wertmaßstäbe sind abstrakter, individueller und fließender als bei der erstgenannten Kategorie – mehr Toleranz, mehr Mitmenschlichkeit, weniger Eitelkeit, mehr Brüderlichkeit, mehr Gelassenheit, mehr Nächstenliebe sind relativ. Die für diese Arbeit erforderlichen Werkzeuge sind sehr viel komplizierter als die bei der ersten Kategorie; sie heißen z. B. Selbsterkenntnis, Kritikfähigkeit und Liebe. Die Meilensteine sind deutlich schwieriger zu bestimmen, Erfolgskontrollen – wenn überhaupt – fließend. Im Gegensatz zur ersten Gruppe setzen sie maßgeblich auf die Reflektion einer gutmeinenden, möglichst objektiven Gemeinschaft. Nur die Gemeinschaft, sei es die Familie, gute Freunde oder auch die Loge sind in der Lage, die Veränderungsarbeit zu beurteilen und Ratgeber bei der weiteren Arbeit an sich zu sein.

Kommen wir zur letzten Zielhierarchie und der damit verbundenen Arbeit, – den, wie ich sie genannt habe, transzendenten Zielen. Während bei den vorgenannten Zielen noch eine halbwegs greifbare, auch von Dritten nachvollziehbare Motivation mit gewünschter Veränderungsarbei zugrundeliegt, setzen die transzendenten Ziele ein, wenn auch unbestimmtes, Verlangen voraus, eine Erkenntnis, das Lich sehen zu wollen. Der Lohn der damit verbundenen Veränderungsarbeit besteht weder in monetären Ergebnissen noch primär darin, gewollte Verhaltensmuster ad acta zu legen, sondern darin, dem Geheimnis des Lebens, dem Sinn des Lebens näher zu kommen. Diesem in der Zielhierarchie am oberen Punkt anzusiedelnden Verlangen hat sich die Freimaurerei verschrieben. Nur das Motiv, Erkenntnis zu erlangen, ist greifbar, ist vorhanden; der Lohn für diese Arbeit, insbesondere im profanen Umfeld, ist nicht bekannt; – es wird also eine Arbeit geleistet, von der man nicht weiß, wann sie fertiggestellt ist, wie sie am Ende aussieht. Nein – es ist anzunehmen, daß man diese Arbeit nie fertigstellen wird – hier zählt einmal mehr die Leitlinie „Der Weg ist das Ziel“.

Bei dieser anspruchsvollen Arbeit benötigt man anspruchsvolle, bewährte Instrumente, verläßliche Begleiter und den möglichst ungetrübten Spiegel der Bruderschaft, der Loge. Die Meilensteine dieser Arbeit sind die Reflektionen der Brüder, ist aber auch der zunehmende Wunsch des Maurers mit seiner Arbeit fortzufahren – ohne daß er weiß, wohin die Reise in die Erkenntnis geht.

So wird aus dem Rat „Du mußt an dir arbeiten“ das Verlangen „Ich will an mir arbeiten“.

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