John Rawls – Theorie der Gerechtigkeit

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Wie sollen Einkommen und Reichtum, Macht und Möglichkeiten verteilt werden? Welche Prinzipien sollen zur Anwendung kommen?

Mit seinem 1970 erschienenen Werk Eine Theorie der Gerechtigkeit“ liefert Rawls eine umfassende politische Philosophie voller Antworten auf diese Frage.

Laut Rawls soll die Verteilung Gerechtigkeitsgrundsätzen folgen. Diese werden am Besten aus einem hypothetischen Gesellschaftsvertrag hergeleitet. Die Bedingungen dieses Vertrages werden in einer Situation vollständiger Gleichheitausgehandelt: Hinter dem Schleier des Nichtwissens.

Hierbei handelt es sich um ein Gedankenexperiment von Rawls. Hinter dem Schleier wissen die Individuen nichts über ihre gebürtigen Vorteile, noch in welcher sozioökonomischen Situation sie sich wiederfinden werden, wenn der Schleier gelüftet wird. Kurz gesagt weiß keiner wie stark, schön, schlau oder mächtig er sein wird.

Welche Grundsätze würden hinter dem Schleier gewählt werden?

Würden die Menschen sich für den Utilitarismus entscheiden? Dieser strebt in der politischen Philosophie Jeremy Benthams „Das Größte Glück der größten Zahl an.

Rawls Antwort hierauf ist ein klares „Nein.“ Die Menschen wissen sobald der Schleier gelüftet wird und das reale Leben beginnt, würde jeder Einzelne von ihnen respektiert und mit Würde behandelt werden wollen. Wenn sich herausstellt, dass sie einer Minderheit angehören sollten, würden sie als solche nicht unterdrückt werden wollen. Deswegen würden sich die Menschen gegen den Utilitarismus entscheiden und stattdessen mit dem ersten Grundsatz ein System gleicher Grundfreiheiten für alle verabschieden. Menschenwürde, Recht auf Leben, Handlungsfreiheit, Meinungs- und Gewissensfreiheit

Die Menschen würden nicht das Risiko eingehen wollen, als Mitglied einer unterdrückten oder verfolgten Minderheit zu enden. Dies führt sogar soweit, dass ein System gewählt würde, durch welches die Tyrannei durch die Mehrheit ausgeschlossen wird. Dies hat im Übrigen auch fürdemokratische Staatsformen bestimmte Implikationen, was den politischen Willensbildungprozess betrifft.

Um auf die Utilitaristen zurückzukommen, so übersehen diese nach Rawls, das Individuen Grundansprüche an das Leben stellen, die sie hinter dem Schleier geltend machen würden. Keiner würde seine Würde oder Freiheit eintauschen, bloß um seine ökonomische Situation zu verbessern. Der erste Grundsatz ist also ein System von Grundfreiheiten.

„Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.“(1. Grundsatz)

Der zweite Grundsatz beschäftigt sich mit der Frage wie soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten verteilt werden sollen. Noch einmal: keiner weiß, wo er steht, wenn der Schleier gelüftet ist, also ob er reich, arm, krank oder gesund ist.

Dem könnte mit einem Prinzip begegnet werden, welches die vollständige Gleichheit zwischen den Menschen herbeiführt. Damit würde zumindest Verteilungsgerechtigkeit herrschen. Nach dem Lüften des Schleiers sind die Menschen aber verschieden. Tatsächlich unterscheiden sie sich in ihren natürlichen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Bedürfnissen. Besonders problematisch ist die langfristige Betrachtung, wenn es etwa zu mehreren Generationenwechseln kommt. Dann manifestieren sich die Unterschiede über Generationen hinweg, sodass sich die Gesellschaft wieder in ein „Oben und Unten“ aufteilen lässt.

Nach Rawls sollen wir deswegen soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten akzeptieren. Diese jedoch begrenzt auf solche die zu jedermanns Vorteil sind. Hierbei ging es ihm gerade um diejenigen, die am schlechtesten gestellt sind. Erforderlich ist also ein System, welches etwa Einkommensunterschiede deswegen erlaubt, da hiervon auch die schlechter gestellten profitieren. Verdient jemand also besonders viel Einkommen, so deswegen, da er durch seine Tätigkeiten auch den Anderen der Gesellschaft dient. Das System setzt nun voraus, dass Anreize geschaffen werden, sodass bestimmte Leute bestimmte Tätigkeiten ausüben. Die Möglichkeit an eine solche Tätigkeit zu kommen muss jedoch wiederum jedem offenstehen. Dieses nennt er das Prinzip der Chancengleichheit. Die im Voraus angesprochenen Ungleichheiten werden nach dem sogenannten Differenzprinzip verteilt. Gemeinsam bilden sie den zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz, bei dem jedoch (b) vor (a) steht.

„Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, daß (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, daß sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.“(2. Gerechtigkeitsgrundsatz)

Gibt es Einwände dagegen, dass die beiden Prinzipien hinter dem Schleier des Nichtwissens gewählt würden?

Ein Argument, dass typischerweise ins Feld geführt wird lautet, dass Rawls den Individuen risikoaverses Verhalten unterstellt. Vielleicht sind Menschen jedoch risikofreudig hinter dem Schleier des Nichtwissens, in der Hoffnung oben zu landen.

Dem entgegnet Rawls jedoch mit einem moralischen Argument.

Die Verteilung sollte nicht auf Faktoren beruhen für die Menschen keinen Verdienst geleistet haben. Die Verteilung sollte nicht vom Zufall abhängen oder willkürlich sein.“

Es geht für Rawls hier um einen moralischen Sollensanspruch. Die Verteilung soll so erfolgen, dass sie gerecht sei. Ungleichheiten ergeben sich lediglich daraus, dass sich jemand ein „Mehr“ verdient gemacht hat. Um dies zu verdeutlichen – was also gerecht sei – führt er  einen Vergleich mit anderen Systemen durch.

Ein Feudalsystem widerspricht offensichtlich den Forderungen Rawls. Die Verteilung ist durch Geburt bedingt ein Aufstieg ist nicht möglich. Historisch betrachtet war der Wille aller die Jobs zu öffnen. Jeder kann so viel arbeiten wie er will, sich bewerben wo er will um für die Gemeinschaft zu arbeiten. Hier durch werden gerechte Ergebnisse erzielt.

Für Rawls ist dieser liberale Ansatz eine Verbesserung zum Feudalsystem, die Ergebnisse werden aber immer noch beeinflusst von Faktoren beeinflusst, sodass die Ausgangsbedingungen nicht fair sind. Bildung, Sozialisation, akademischer Hintergrund der Eltern. Von dem moralischem Standpunkt Rawls aus betrachtet starten die Menschen unter willkürlichen Bedingungen.

Nachdem Rawls damit ein Liberales Staatsmodell abgelehnt hat, ließe sich der Leistungsstaat in das Feld führen. Dieser richtet Institutionen ein, die jeden zu dem gleichen Ausgangspunkt bringt. Gleiche Bildungschancen, Unterstützung von sozial schwachen Familien, sowie besondere Förderung von Schulen in armen Stadtteilen oder strukturell-bedingt benachteiligten Gegenden.

Auch das geht Rawls nicht weit genug. Unterstellt, dass damit nun die sozialen Ungleichheiten ausgeglichen würden, lägen weiterhin Unterschiede von Geburt an vor. Die Unterstellung ist daneben auch problematisch, da Individuen unterschiedlich aufwachsen und sich immer Unterschiede in den Umweltbedingungen ergeben werden.

In einer Leistungsgesellschaft wird es also Individuen geben, die zufälligerweise an die Anforderungen besser angepasst sind und deswegen einen Vorteil haben.

Deswegen fehlt es für den Vorteil, der lediglich darauf beruht am moralischen Anspruch.

Eine Möglichkeit ist es, denen die Vorteile haben es zu erschweren die Früchte hieraus zu ziehen. Für eine Gesellschaft wäre dies aber ein Verlust an Ressourcen. Es wäre auch widersinnig aufgrund von Gerechtigkeit den Kuchen zu verkleinern, den es zu verteilen gäbe. Moralisch sei dies nicht zu rechtfertigen. Eine vollkommene „levelling equality“ ist damit auch nicht gewollt.

Den Menschen sollen die Früchte bleiben, die sie aus ihren Vorteilen ziehen können. Auch wenn es auf Zufall beruht. Die Bedingungen hierfür müssen aber so sein, dass sie denen dienen, die am schlechtesten gestellt sind. Das bedeutet es wäre in Ordnung, würde jemand € 30.000.000,- verdienen, weil er ein guter Fußballspieler ist, aber nur wenn ein Teil davon an die geht, die nicht so gut Fußballspielen. Denn, auf das Ganze hat der Sportler in dem Beispiel keinen moralischen Anspruch.

Das Training eines Profi-Sportlers ist sicher nicht leicht. Ebenso verlangen eine lange Ausbildung in einem Betrieb oder ein intensives Studium viel von den Menschen ab. Es gibt Zeiten, in denen sich Einzelne gegenüber anderen dadurch einen Vorteil verschaffen können, dass sie mehr Belastungen auf sich nehmen. Es kann nur gerecht sein, ihnen dann die Früchte zu lassen. Hiergegen ließe sich noch einwenden, dass auch die Bereitschaft sich anzustrengen sozial determiniert ist.

Für Rawls geht es aber nicht um die Vermeidung von Zufällen per se, sondern er spricht sich vor Allem gegen moralische Willkür aus. Jeder soll von der Ausübung der Talente profitieren. Die Früchte gebühren, aber nicht denen allein die Talente haben. Einen moralischen Anspruch haben sie keinen.Welches Talent vorteilhaft ist bestimmt sich letztlich nach der Gesellschaft und danach welche Leistungen sie honoriert (Für viele Beispiele empfehle ich „Malcolm Gladwell: Outliers“).Hierauf hat derjenige, der in eine Gesellschaft hineingeboren wird noch keinen Einfluss gehabt.

Es wird immer Menschen geben, die anderen Voraus sind, ohne dass sie es sich „besonders“ verdient hätten. Als Gesellschaft müssen wir uns die Frage stellen, ob und in welchem Umfang es gerecht ist, dass über dieses Kriterium die Verteilung von Vorteilen abgewickelt wird. Somit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage angekommen.

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