Wenn ich über Okkultismus in unserem Kreis rede, so deshalb, weil die Freimaurerei mit dem Okkultismus oft in Beziehung oder gar mit ihm gleichgesetzt wird. Da diese beiden Begriffe miteinander überhaupt nichts zu haben, würde sich eine Stellungnahme erübrigen, wenn es nicht so wichtig wäre, sich mit dem modernen Okkultismus auseinanderzusetzen; man kommt dabei zu sehr interessanten Erkenntnissen, die ich aufzeigen möchte.
Okkultismus ist am besten zu übersetzen mit dem Wort Aberglauben. Während die meisten Menschen aber unter Okkultismus etwas Geheimnisvolles verstehen, dessen Ursachen nicht zu erkennen sind, an dem aber etwas Wahres daran sei, versteht man landläufig unter Aberglauben etwas, was nicht den Tatsachen entspricht, also falsch ist. Mit meiner Zeichnung möchte ich deutlich klarstellen, daß die Gleichstellung dieser beiden Begriffe richtig ist.
Jeder von uns kommt mit Magie und Aberglauben in Konktakt. Gegenwärtig gelangt der Aberglauben zu neuer, nahezu mittelalterlich anmutender Hochblüte. Das zeigt, daß der moderne Mensch, von der exakten Wissenschaft enttäuscht, sich wieder dem nicht Definierbaren, Übersinnlichen, Geheimnisvollen zuwendet, obgleich doch die Aufklärung schon diese Entwirrung in den Ansichten der Menschen bringen konnte.
Viele Menschen haben einen Hang zur Mystik. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, wenn dies zur Verinnerlichung dient und zum Befassen mit geistigen und ethischen Gedanken. Auch wir Freimaurer sind ja keineswegs frei davon. Schlecht aber ist es, wenn dies zu Parawissenschaften führt. Der heutige Mensch fragt sich, vom Glauben nicht mehr so stark geprägt, welchen Sinn das Dasein eigentlich hat. Da auf diese Frage eine klare, allgemeingültige und naturwissenschaftliche oder überhaupt wissenschaftliche Antwort nicht gegeben werden kann, sucht ein Teil der Menschen Schutz bei dem, der mehr verspricht und der ihm Antwort gibt. Sensible Menschen, die ein starkes Gefühl für Schuld und Sühne besitzen, fühlen sich früher oder später unverstanden, durch andere zurückgesetzt und überrundet. Sie verlangen nach einer Erklärung, nach Anerkennung und Belohnung. Dies versprechen Glaubensgemeinschaften, aber auch Parawissenschaften, die auf einfache Fragen auch einfache Antworten geben.
Der Okkultismus ist wieder modern. Die sprachliche Ausdrucksform hat sich geändert. Statt Hexerei heißt es heute wissenschaftlich klingend „Psychokines“. Das Wörtchen PSI deckt heute wissenschaftlich auch den größten Unsinn und die unglaublichste Geldschneiderei. Institute für Parapsychologie geben den Verfechtern dieser abstrusen Ideen auch noch die Möglichkeit, sich auf diese zu berufen und sich ein Mäntelchen exakter Wissenschaftlichkeit umzuhängen. Der Okkultismus ist wahrscheinlich die größte religiöse Sekte unserer Zeit. Alle übersinnlichen Erscheinungen, die entweder als sinnliche Täuschung oder bewußter Betrug aufgeklärt wurden, werden negiert oder schnell vergessen.
Der Mensch des 20. Jahrhunderts sehnt sich nach einem letzten Rest des Geheimnisvollen. Niels Bohr, der Nobelpreisträger für Physik von 1922, nagelte sich ein Hufeisen an die Haustür. Von einem Besucher erstaunt befragt, ob er denn an so etwas glaube, antwortete er „natürlich nicht“. Aber ich habe mir sagen lassen, es soll auch Glück bringen, „wenn man nicht daran glaubt“. Wenn man den Aberglauben so betreibt – und wer von uns ist nicht auch in irgendeiner Weise abergläubisch ohne es manchmal zu wissen – so ist dagegen nichts einzuwenden. Schlecht wird die Sache nur, wenn man seine Zukunft oder seine Gesundheit darauf aufbaut. Ich bin kein sturer Tatsachenmensch. Ich habe Hunderten das autogene Trainig beigebracht und viele Patienten durch Hypnose von Leiden befreit. Wenn man die Reaktionsweisen der menschlichen Nervensubstanz kennt, kann man so handeln, ohne an übersinnliche, geheimnisvolle Kräfte zu glauben, die es nicht gibt.
Das Thema ist so gewaltig und umfangreich, daß ich nur schlaglichtartig einige Gebiete beleuchten kann.
Die Astrologie:
Sie ist wohl der am weitesten verbreitete, finsterste Aberglaube. Obwohl sie seit Jahrtausenden praktiziert wird, ist nie der Beweis ihrer Richtigkeit gelungen, sondern auf 1000 Male das Gegenteil. Trotzdem ist die Astrologie unausrottbar. Die Tatsache, daß berühmte Politiker, Geschäftsleute, Verleger und Schauspieler Astrologen bemühen und Horoskope anfordern, wird von einfältigen Menschen als Gütezeichen angesehen. Ich habe hier nicht die Zeit, auf diesen Unsinn einzugehen. Als Arzt interessiert es mich nur besonders, daß die Sternenkonstellation für den Menschen Bedeutung haben soll, die zur Zeit der Geburt vorhanden war, wobei nur 10 Planeten und die Tierkreiszeichen Gültigkeit haben. Alle anderen Milliarden Sterne des Himmels nicht.
Die Zeit der Geburt ist aber von sehr vielen zufälligen Faktoren abhängig. Die Hebamme oder der Arzt kann sie manipulieren und die Wehentätigkeit ist dafür maßgeblich. Viel verständlicher wäre es doch, die Zeugung, nämlich den Zeitpunkt der Vereinigung von Samenzellen und Ei mit übersinnlichen Attributen auszustatten, die ca. neun Monate vor der Geburt liegt. Sie ist die Zeit der Komposition der schicksalsträchtigen Erbmasse, die Vermengung der Chromosomen. Dieser Zeitpunkt steht aber mit der Geburt in keinem zeitlich gesicherten Zusammenhang, da es verschieden lange Tragzeiten gibt. Sogar gesetzlich anerkannt vom 181igsten bis 302ten Tage. Aber davon hatten die alten Verkünder der Astrologie natürlich noch keine Ahnung. Die Genetik und die Medizin haben gegen die Astrologie den letzten vernichtenden Schlag geführt. Das stört die Astrologen aber überhaupt nicht.
Wünschelrute und Erdstrahlen:
Erdstrahlen, d. h. Ausstrahlungen aus der Erde, die bei Mensch, Tier und Pflanzen Krankheiten oder anderes bedingen, gibt es nicht,wie schon so oft bewiesen wurde, daß man müde wird, immer wieder daraufhinzuweisen. „Abschirmgeräte“ bringen gutes Geld, sind aber in jeder Beziehung völlig wertlos. In das gleiche Gebiet gehören auch alle Wünschelrutengänger. Das Phänomen der Wünschelrute ist längst geklärt und hat mit Wasser, Öl, Gold oder anderen Adern in der Erde nichts zu tun.
Augendiagnose (Irisdeuterei)
Schon im alten China wurde sie betrieben, indem man die Farbe der Iris mit verschiedenen Krankheiten gleichsetzte. Die neuzeitliche Irisdiagnose basiert auf der Beobachtung eines Heilpraktikers, daß bei einem Vogel, der sich ein Bein brach, im Auge plötzlich ein Schatten aufgetreten sei. Die Augendiagnose legt den Körper abbildlich in die Iris, also in die Regenbogenhaut, den vorderen Teil des Auges, deren Öffnung die Pupille bildet. Jeder Bezirk in der Iris ist einem Körperteil zugeordnet. Ich habe mich als junger Arzt für diese Pseudo-Wissenschaft interessiert und einen Kurs mitgemacht. Es hat sich dabei nichts ergeben, das auch nur annähernd etwas mit exakter Diagnosefindung oder neuer Behandlungsmöglichkeit zu tun hätte. Für Leute, die keine Ahnung von Anatomie, Physiologie und anderen echten medizinischen Disziplinen haben, ist dies natürlich eine willkommene Möglichkeit, fehlendes Wissen und Können durch unbeweisbares Geschwafel zu ersetzen. Etwas anderes sind natürlich echte Augenleiden oder bestimmte Allgemeinerkrankungen, die man aus der Besichtigung und Untersuchung des Auges erkennen kann. Dies aber hat mit Irisdiagnose überhaupt nichts zu tun.
Homöopathie und Akupunktur
gehören, vor allem wenn sie von Scharlatanen betrieben werden, auch in diese Kathegorie. Dieses Thema ist einfach zu umfangreich, um hier darauf eingehen zu können.
Die okkulten Ausstrahlungen des Menschen, die Psychophotographie und ähnliche Phänomene gehören, wie bewiesen, ebenfalls ins Reich der Fabel.
Außersinnliche Wahrnehmungen:
Hierzu gehören Telepathie, Hellsehen und Präkognition.
Telepathie:
Übertragung seelischer Vorgänge von einer Psyche (Mensch oder Tier) zu einer anderen, ohne Vermittlung der Sinnesorgane.
Hellsehen:
Außersinnliche Wahrnehmung eines objektiven Sachverhaltes, von dem sonst niemand Kenntnis hat.
Präkognition:
Unerklärliches Vorherwissen eines zukünftigen Ereignisses.
Der Glaube an außersinnliche Wahrnehmungen ist im Volksglauben wohlerhalten. Diesen Aberglauben aber durch „wissenschaftliche Forschungsergebnisse“ salonfähig zu machen, d. h. die Parapsychologie habe in vorurteilsloser, wissenschaftlicher Untersuchung die Existenz „rätselhafter paranormaler Informationen nachgewiesen, blieb dem 20. Jahrhundert vorbehalten. Die mit PSI-Kraft Begabten hätten wenigstens einmal im Lotto mehr leisten müssen als andere – leider ist dieses nicht der Fall. Falsche Propheten, Hellseher, Wahrsager, Artisten, die Tiere rechnen lassen usw., können immer nur durch Mogeln Eindruck schinden. Auch mediale Detektive, also übersinnlich begabte Detektive, haben noch nie einen Mord, eine Kindesentführung oder andere Verbrechen aufklären können. 300 Hellseher haben im Fall des bekannten Düsseldorfer Lustmörders Kürten den Täter durch „außersinnliche Wahrnehmungen“ entdecken wollen – jeder hat andere Angaben gemacht – keiner die richtigen.
Psychokinese und Zauberei
sind im Variete gern erlebte Kurzweil; kein aufgeklärter Mensch wird auf die Idee kommen, darin einen echten Zauber zu sehen. Gedankenleser gehören in die gleiche Kategorie. Daß trotzdem sogar „Gelehrte“ hinter längst bekannten Taschenspielertricks echte Hexerei vermuten, ist nur ein Beweis für die Bildungskatastrophe unserer Zeit. Okkultgläubige Einfaltspinsel entfachten eine psychische Epidemie an, als der Artist Uri Geller Eßbestecke verbog. Tischgabeln, wie sie Geller benutzte, sind in jedem besseren Zaubereiartikelgeschäft zu haben.
Tischrücken ist noch immer nicht nur beliebt, sondern wird auch als überirdisch tatsächlich geglaubt. Als man ein berühmtes „Medium“ mittels Blitzlicht überraschend knipste und ein einfacher Holzstab zwischen den Knien des Mediums und dem Tisch die Tischbewegungen als Gaunerei entlarvte, entblödete sich ein bekannter englischer Parapsychologe nicht, dies als „psychische Rute“ zu deuten.
Spuk
als Forschungsobjekt ist auch heute noch gang und gäbe, Gläser zerspringen, Haushaltsgegenstände fliegen durch die Luft, Porzellan zerschellt und was es sonst noch alles gibt. Alles, längst als Humbug erwiesen, feiert aber immer wieder fröhlich Urständ. Wie gesagt, das alles wird von unglaublich vielen Menschen tatsächlich geglaubt, wie auch der Totenglaube, daß ein Kontakt zu Verstorbenen möglich sei. „Jeder sieht die Gespenster, die er verdient“.
Wir streifen durch den Irrgarten des Okkultismus am Faden der Naturwissenschaft. Es ist dort nichts zu finden, was die Erkundung lohnt, es sei denn die Erkenntnis, daß am Okkulten nichts dran ist. Von den zahlreichen parawissenschaftlichen Theorien konnte nicht eine einzige wahrscheinlich gemacht oder gar bewahrheitet werden. In seinem monomanischen Bestreben, einen verborgenen Sinn hinter den Dingen zu erlangen, erweist sich der Okkultismus als geistiges Hinterweltlertum und als verkappte Religion. Er ist damit in unserer Zeit mit seinem Absolutheitsanspruch eine Gefahr für die körperliche und geistige Volksgesundheit. Die Vergangenheit zeigt uns eindringlich, wie Wahnvorstellungen und Lügenmärchen durch Scheingelehrte als unbestreitbare Naturtatsachen hingestellt werden. Auch in der Politik gibt es Beispiele. Die Hexenverfolgungen haben aufgezeigt, daß nichts folgenlos bleibt. Während dreier Jahrhunderte wurden Hunderttausende in Verliese geworfen, bestialisch gemartert und verbrannt. Die Henkerlisten verzeichneten oft Hunderte von Opfern an einem Tag. Alte und junge Frauen wurden lebendig geröstet. Jeder Widerstand prallte an der abergläubischen Dummheit ab.
Ist die Gefahr wirklich vorüber? Wir dürfen dessen nicht allzu sicher sein. Wie ich aufgezeigt habe, ist der alte Zauber- und Aberglaube keineswegs ausgerottet und feiert bei vielen Gelegenheiten fröhlich Auferstehung. Ein großer Teil des Volkes glaubt nach wie vor an das Walten okkulter Kräfte, und in der parapsychologischen Lehre von der Psychokinese feiert der ganze Hexenwahn wieder Auferstehung. Die Hoffnung, daß der Glaube an die Magie mit fortscheitender Erkenntnis der Naturgesetze schwinden werde, hat sich nicht bewahrheitet. Durch die Hilfe der prookkultischen Massenpresse, durch UFO-Filme und andere moderne Gruselmärchen werden Millarden wissenschaftlich ungebildeter Menschen verunsichert und in die falsche Bahn gelenkt. Eine zunehmende Kritiklosigkeit verhindert nüchterne Sebstbesinnung, Vorsicht und Vernunft.
Wir wollen den Okkultisten ja gern ihren Aberglauben lassen. Der Glaube ist frei, auch der Glaube an Blödsinn. Wer jedoch in Umkehr der Aufklährung solchen Glauben wieder als „Wissenschaft“ unter die Leute bringt, macht sich der Volksverdummung schuldig.
Als Freimaurer haben wir uns von falschen Vorurteilen befreit – seien wir auch auf dem von mir behandelten Gebiet ein Vorbild.