Feuer, Wasser, Erde, Luft – so treten die vier Elemente dem Suchenden auf seiner Wanderung entgegen. Man könnte diese vier Elemente als eine gedankenlose Floskel gebrauchen, denn sie sind uns von jeher vertraut und geläufig. Tatsächlich aber haben sie hohen symbolischen Wert, denn sie schlagen eine Brücke über 2400 Jahre hinweg in die Zeit, als das abendländische Denken seine ersten Schritte unternahm. Es ist das jene Zeit, die Karl Jaspers die Achsenzeit nennt und über die er sagt: „Der Mensch vermochte es, sich der ganzen Welt innerlich gegenüberzustellen. Er entdeckte in sich den Ursprung, aus dem er sich über sich selbst und die Welt erhebt. Es geschah hier das Offenbarwerden dessen, was später Vernunft und Persönlichkeit hieß.“
Es ist das die Zeit der sogenannten Vorsokratiker, jener Philosophen also, über die Friedrich Nietzsche sagt:
Jedes Vok wird beschämt, wenn man auf eine so wunderbar idealisierte Philosophengesellschaft hinweist, wie die der altgriechischen Meister Thales, Anaximander, Heraklit, Parmenides, Anaxagoras, Empedokles, Demokrit und Sokrates. Alle jene Männer sind ganz und aus einem Stein gehauen. Zwischen ihrem Denken und ihrem Charakter herrscht strenge Notwendigkeit. Es fehlt für sie jede Konvention, weil es damals keinen Philosophen- und Gelehrtenstand gab. Sie alle sind in großartiger Einsamkeit als die einzigen, die damals nur der Erkenntnis lebten. Sie alle besitzen die tugendhafte Energie der Alten, durch die sie alle Späteren übertreffen, ihre eigene Form zu finden und diese bis ins Feinste und Größte durch Metamorphose fortzubilden. Denn keine Mode kam ihnen hilfreich und erleichternd entgegen. So bilden sie zusammen das, was Schopenhauer im Gegensatz zu der Gelehrten-Republik eine Genialen-Republik genannt hat: ein Riese ruft dem anderen durch die öden Zwischenräume der Zeiten zu, und ungestört durch mutwilliges lärmendes Gezwerge, welches unter ihnen wegkriecht, setzt sich das hohe Geistergespräch fort.
Empedokles ist der Vater der vier Elemente, und wer immer von ihnen spricht, wird, wenn er auch zu hören bereit ist, auf diese „Phiolosophengesellschaft“ hingewiesen. Damit hat ihr Auftreten im Ritual einen hohen symbolischen Wert.
Wie die vier Elemente in die Freimaurerei gekommen sind, ist nicht ganz klar. Zunächst hat Aristoteles sie von Empedokles übernommen. Damit war ihre Kenntnis bis ins späte Mittelalter gesichert. Eine Hauptrolle spielten sie aber auch in der Alchemie, deren Gegenstand vor allem in der Suche nach der Quintessenz bestand, also nach dem 5. Element, welches zu den 4 vorhandenen Elementen hinzukommen mußte, um die große Umwandlung zu bewirken, den Weg zum Gold, zum Allheilmittel, zur Macht schlechthin.
Weiterhin finden sich die vier Elemente bei den christlichen Mystikern wie Jacob Böhme und den Rosenkreuzern. Diese wiederum waren den älteren Freimaurern eng verbunden, so daß damals viel Rosenkreuzertum in die Freimaurerei eindrang.
Es ist nun im einzelnen zu untersuchen, in welcher Form und mit welcher Bedeutung die vier Elemente dem Menschen gegenübertreten. Denn es kann nicht überzeugen, wenn pauschaul im Ritual gesagt wird, die Reise des Suchenden gehe „durch die vier Elemente“. Vielmehr haben sie offensichtlich einen verschiedenartigen Charakter und nicht die gleiche Bedeutung für den Menschen.
Was zunächst die Reihenfolge der Elemente betrifft, so ist nicht zu erkennen, warum das Feuer an erster Stelle steht. Einen logischen oder sachlichen Grund hierfür gibt es nicht. Vermutlich liegt es daran, daß die Griechen das Feuer dem Gott Zeus, also dem Göttervater, zugeordnet hatten und damit gezwungen waren, es an die erste Stelle zu setzen.
Überzeugender und sachlich gerechtfertigt erscheint es dagegen, mit der Erde zu beginnen. Von der Erde sagt das Ritual: „Von ihr ist unser Körper genommen und in ihren Schoß kehrt er zurück.“ Nach einem uralten Bilde aus grauer Vorzeit ist die Erde die große Mutter, aus deren Schoß wir entspringen und die uns am Ende auch wieder verschlingt. Das ist natürlich nur ein Bild, aber in der Wirklichkeit lebt der Mensch auf der Erde und nährt sich von ihr. Seine Existenz ist an die ihre unmittelbar gebunden und ohne sie nicht denkbar. Sie ist sein Anfang und sein Ende und, bezogen auf die Wanderung des Suchenden, ihr Ausgangspunkt und ihr Ziel.
Logisch und sachlich schließt sich an die Erde zunächst die Luft an als das Element, welches den Menschen atmen und damit leben läßt. Er lebt vom ersten bis zum letzten Atemzuge; wenn er keine Luft mehr bekommt, muß er sterben. Auch sie ist also, genau wie die Erde, das, was den Menschen leben läßt.
Damit steht fest, daß die Elemente Erde und Luft dem Menschen freundlich gestimmt sind, sie halten ihn am Leben, dienen ihm und versagen sich nie.
Ganz anders dagegen verhält es sich mit den Elementen Feuer und Wasser, die dem Menschen grundsätzlich ambivalent gegenübertreten; sie können ihm also gleichzeitig Freund und Feind sein, ihm helfen oder ihn vernichten. Daher findet in der Zauberflöte die Wanderung der Suchenden auch nur durch diese beiden Elemente in der Höhle des Feuers und des Wassers statt.
Fragt man nun nach der symbolischen Bedeutung der vier Elemente, so stößt man auf eine derartige Menge von Deutungen aus dem Reiche der Kabbala, der Alchemie, des Rosenkreuzertums und der ägyptischen Weisheitslehren, daß es einen vernünftigen Freimaurer nur grausen kann. Hier sei daher nur genannt, was vernünftig und keineswegs abwegig erscheinen muß.
Danach verkörpert die Erde das Dunkle, das Triebleben, die Instinkte des Menschen. Es ist der alte Adam, den es zu beherrschen und zu veredeln gilt. Es ist das, was ihn auf seiner Wanderung in die Irre führen möchte, in die Dunkelheit der Triebe und Sinne. Das Zeichen der Erde ist das nach unten gerichtete Dreieck.
Demgegenüber steht die Luft als Sinnbild des Geistes, der Sehnsucht nach dem Licht, des moralischen Aufschwungs, der Öffnung für die Transzendenz. Sie ist das Element der Vernunft, der Nächstenliebe, kurz, der Veredelung des Menschen. Ihr Zeichen ist das nach oben gerichtete Dreieck.
Es darf aber nun keineswegs angenommen werden, daß diese beiden Elemente nun ständig miteinander kämpfen und daß vielleicht das eine oder das andere jemals endgültig siegen könnte und dürfte. In Wirklichkeit sind auch diese beiden Elemente ambivalent. Denn die Erde bedeutet ja auch das Kräftige, das Dauerhafte, das Bodenständige und das Wachsen und Gedeihen.
Umgekehrt symbolisiert die Luft auch den ungehemmten Forscherdrang mit allen Konsequenzen, die verhängnisvolle Intellektualität und die Lebensfeindlichkeit der Abtötung des Fleisches. Es kommt daher darauf an, daß beide Elemente in ihren guten Eigenschaften miteinander eine Verbindung eingehen, zur Freude und höheren Gestaltung des Lebens. Es müssen also die beiden Dreiecke zu jenem sechszackigen Stern zusammengefügt werden, in dem es kein Oben und Unten mehr gibt und dessen Gesamtsumme größer ist als die Summe der einzelnen Teile.
Was nun die Symbolik der Elemente Feuer und Wasser angeht, so sei hier verwiesen auf die Lehren, die sich aus der Zauberflöte ergeben. Dieser Oper ist ja keineswegs, wie oft angenommen wird, eine Freimaureroper, sondern eine Lehre in allgemeiner Menschlichkeit, die nur darum für Freimaurer besonders gut verständlich sein sollte, weil zahlreiche freimaurerische Begriffe in ihr verwendet werden. Dabei müssen sich freilich die Brüder Freimaurer gerade durch sie darüber belehren lassen, daß die Freimaurerei nur eine Vorstufe zu einer höheren Menschlichkeit sein kann. Denn Sarastro, der oberste der Priesterkaste, hat zwar das Reich der Königin der Nach, der Dunkelheit und der Rache besiegt. Er hat darüber jenes höhere Reich des Geistes, des Lichtes, aber auch der Männerherrschaft errichtet. Er weiß, daß das nicht die letzte Stufe der Menschlichkeit, also die höchste Entwicklung sein kann und darf, solange das Weibliche ausgeschlossen bleibt. Daher hat er Pamina, die Tochter der Königin der Nacht, aus dem Reich der Dunkelheit entführt, damit sie gemeinsam mit Tamino ein neues, höheres Menschenbild verwirklichen kann.
In diesem Zusammenhang sind die Elemente Feuer und Wasser die symbolischen Andeutungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Beide Suchenden, Mann und Frau, müssen zugleich mit dem anderen durch das Reich beider Geschlechter wandern, um jeweils das Entgegengesetzte zu verstehen, zu bejahen und sich aneignen zu können. Es ist das alte Bild vom animus und anima, von den beiden getrennten Hälften, die wieder zusammenfinden müssen, wie uns Plato berichtet hat.
Nun aber vollends die Flöte selbst, die Zauberflöte? Wie uns Pamina sagt, ist sie dadurch entstanden, daß ihr Vater einst während eines Gewitters die Flöte aus dem Stamm einer Eiche geschnitzt hat. Sie ist also allen vier Elementen zugehörig: Aus einer Eiche, das ist die Erde. Während eines Gewitters, das ist zugleich Sturm, Regen und Feuer (Blitz).
Als Instrument der Musik aber gehört sie doch wohl unzweifelhaft in das Reich der Kultur, des Geistes, der Luft! Aber verursacht sie nicht auch gleichzeitig echte Sinnenfreude? Kann sie uns nicht gleichermaßen aufreizen zu Begeisterung und Angriff? Und kann sie uns nicht zuletzt in Tränen und Trauer treiben? Tatsächlich kann sie das alles bewirken, tatsächlich ist sie allen vier Elementen zugehörig.
Und nun zu Goethe, zu Dr. Heinrich Faust! Er hat soeben seinen Osterspaziergang beendet und sitzt in seinem Studierzimmer. Der schwarze Hund, der ihm beim Spaziergang zugelaufen ist, wird ihm lästig. Er beginnt zu bellen, zu heulen, fängt an zu wachsen, bekommt feurige Augen und zeigt ein schreckliches Gebiß. Faust aber, der die schwarze Kunst bei seinem Vater von Grund auf erlernt hat, macht sich sofort daran, der Höllenbrut auf den Leib zu rücken:
Erst zu begegnen dem Tiere,
brauch‘ ich den Spruch der Viere:
Salamander soll glühen
Undene sich winden,
Sylphe verschwinden,
Kobold sich mühen.
Da haben wir also unsere vier Elemente wieder, bezeichnet mit ihren alchemistischen Namen: Salamander ist das glühende Feuer, Undene ist die Wassernixe, Sylpe ist die Luft-Elfe und Kobold muß sich im Inneren der Erde um deren Schätze mühen.
Faust fährt fort:
Wer sie nicht kennte,
die Elemente,
ihre Kraft
und Eigenschaft,
wäre kein Meister
über die Geister.
Mit allem Respekt und in aller Bescheidenheit sei daher als Schluß und Motto dieser Abhandlung frei nach Goethe der Satz gewagt:
Wer sie nicht kennte, die Elemente, der wäre kein Meister.
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