40 Jahre ein Lehrling

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In diesem Jahr gehöre ich dreißig Jahre unserem Bunde an. Wenn ich von 40 Jahren eines Lehrlings-Lebens spreche: Der Anstoß kam aus unserer Gemeinschaft, als einer unserer jüngeren Brüder Zweifel daran äußerte, ob er schon die Reife für seine Beförderung zum Gesellen habe. Ich wußte mich damals wohl mit allen Brüdern einig, als ich ihm versicherte, daß wir, gleich welchen Alters und welchen Amtes in der Freimaurerei, doch alle unser Leben lang Lernende bleiben, solange wir zu denken imstande sind. Sonst gehörten wir ja kaum zur Gattung des Homo sapiens.

Laßt uns das Gute sehen, es loben.
Laßt uns dem Schicksal danken,
daß es selbst in diesem aufgewühlten Jahrhundert
der Vernichtungslager und der Gulags
doch noch viel Gutes gibt und gab.
Es ist manchmal nicht zu glauben.

Vor genau dreißig Jahren wurde ich Freimaurer. Vor fast genau vierzig Jahren – deshalb der Titel dieser Zeichnung – wurde ich ein Lehrling.

Die Zeitläufe wollten es, daß ich kurz vor Ende des Krieges in britische Gefangenschaft kam. Die Aufklärungs-Offiziere der Londoner Coldstream-Guards wollten viel von mir wissen. Aus der Befragung wurde, weil ich jede Aussage über das erlaubte Maß hinaus verweigerte, schnell das, was man Gespräche nennen kann. Einige der britischen Offiziere, das fiel mir als erstes auf, nannten einander gelegentlich „Bruder“, wenn sie in kleinem Rahmen miteinander sprachen. Bei einem der Gespräche fragte ich sie offen: „Was für Brüder seid Ihr eigentlich?“. Die Antwort war ungenau, doch für den Sohn eines Freimaurers leicht verständlich: „Unsere Brüder halten uns eben als Brüder“. Meine Antwort damals: „Dann wäre ich ja, wenn bei uns die Dinge anders gelaufen wären, auch einer Eurer Brüder. Mein Vater war Freimaurer.“ Von dieser Minute an mußte ich mich nicht mehr als Kriegsgefangener fühlen; ich selbst war so etwas wie ein Bruder.

Als der Orlog zuende gegangen war, lag ich mit einigen Verwundungen in einem amerikanischen Lazarett. Ein Arzt im Range eines US-Captains erfreute sich beim Anblick meiner noch bei mir befindlichen Kamera. Er wollte den Preis wissen. Ich forderte 50 Dollar. Er sagte OK, er werde am nächsten Tag mit dem Geld wiederkommen. Wenige Stunden später kam der Erlaß, daß alle Kameras der deutschen Patienten an die Amerikander abzuliefern seien. Als der Captain am nächsten Morgen kam, gab ich ihm unter Hinweis auf den Befehl den Apparat. „Hier haben Sie ihn, ich muß die Kamera ja ohnehin abgeben. Werden Sie glücklich damit.“ Seine Reaktion war sehr spontan: „Hier sind die 50 Dollar, wie wir gestern verabredet haben. Verstecken Sie sie gut, werden Sie glücklich damit.“ An der linken Hand des Captains sah ich den Ring mit unserem Symbol.

Das waren zwei Ereignisse, die mich vor nunmehr vierzig Jahren zum Denken mahnten über die Königliche Kunst, zu einem Lehrling machten, der ich bis heute geblieben.

Die Freimaurerei kann stolz sein auf ihre Geschichte und auf ihre Männer, die – so oder so – Geschichte machten. Nur zu oft höre ich, wenn ich dieses Thema anspreche, das Abwinken: Das seien alte Klamotten, wir lebten heute und nicht in der Vergangenheit. Schön, es ist heute nicht von großer Wichtigkeit, ob einstmals Friedrich der Große, der Marschall Blücher, George Washinton und Kaiser Franz I. von Österreich Brüder unseres Bundes waren. Aber schon beeindruckender ist, finde ich, das Erlebnis des preussischen Königs Friedrich Wilhelm III., der 1814 in der Hauptstadt Frankreichs von einer russischen Feldloge in unseren Bund aufgenommen wurde. Was für Gründe gibt es, unseren jungen Brüdern vorzuenthalten, daß es Denker gab und Dichter wie Schlegel, Gellert, Lessing, Klopstock, Schröder und Lavater, die unserem Bunde und seinen Aufgaben dienten. Und Männer wie Goethe, Wieland, die Humboldts, Herder, Fichte, Kleist, Heine; und die Staatsmänner von Hardenberg und vom Stein, zwei Männer, deren Gradlinigkeit, Erkenntnis und hartem Einsatz es doch weitgehend zu verdanken ist, daß aus zum Teil doch recht dunkler Vergangenheit ein freier Bürgerstand in unserem Lande sich entwickeln konnte. Und Gustav Stresemann und Aristide Briand, die nach dem Ersten Weltkrieg mit brüderlichem Händedruck den allseits erfofften wahren Frieden ermöglichten. Und einen Mozart, einen Sibelius.

„Beispiel ist ein großer Redner.“

Statt über Großes und Große in der Freimaurerei zu schweigen sollten wir jedem Lehrling ein Büchlein in die Hand drücken mit all diesen und viel mehr Namen und Begriffen und ihm sagen: „Du bist in guter Gesellschaft, Du kannst stolz sein darauf.“

„Ein bißchen Liebe und Güte von Mensch zu Mensch ist besser als alle Liebe zur Menschheit“
(R. Dehmel)

Wie normaler weise ein Freund dem Freunde, ein Vater seinem Sohn, ein Bruder seinem Bruder hilft, so soll auch ein Bruder unseres Bundes seinem Bruder mit Rat und Tat behilflich sein, wann immer es ihm möglich ist und wo immer er es verantworten kann. Als ich kurz nach dem Kriege als Beauftragter der deutschen Zeitungsverleger und als dpa-Repräsentant Verhandlungen zu führen hatte mit den Chefs der Nachrichten-Agenturen in Europa und Übersee, da waren mir, dem Mann aus Deutschland, fast alle Türen verschlossen. Als man realisierte, daß da ein Bruder aus Hamburg gekommen war, standen die Türen weit offen.

Wir sollten stets daran denken können, daß sich die Freimaurerei nicht ohne Grund die Königliche Kunst nennt. Ich habe es gelernt und immer wieder so nachdrücklich erlebt: Unsere Brüder in aller Welt sind mit uns verbunden in der Verehrung des Großen Baumeisters aller Welten, den unser Bruder Goethe einst so menschlich und so meisterlich durch seinen Dr. Faustus ehren konnte: Gott – wer ist es? – „Herz, Glück, Liebe, Gott, Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut.“

Es gibt und vor allem gab es Organisationen und Systeme, die die Freimaurerei nicht nur ablehnen, sondern verbannen und verfolgen. Und so fällt es jemandem, der an so vielen seiner Stationen in der Welt das Glück der brüderlichen Verbundenheit und der brüderlichen Liebe kennenlernen durfte bis in seine alten Tage, die ein gutes Stück Weisheit und Erkenntnis beinhalten, so fällt es diesem Bruder schwer, einen anderen Bruder zu verstehen, der seiner Toleranz so weiten Spielraum gibt, daß er bereit ist, um irgendeines angeblichen oder wirklichen humanitären Zieles willen notfalls die Welt zu akzeptieren, in deren Grenzen jede Art von Freimaurerei schon im Anfang und auf Anhieb verboten, verfolgt und vernichtet wird. Macht ohne Nächstenliebe macht gewalttätig, Hoffnung ohne Nächstenliebe macht dumm.

„Leben bedeutet immer: dem Höheren,
der Vollkommenheit entgegen zu streben,
sich emporschwingen und versuchen,
den Gipfel zu erreichen“,
sagte Boris Pasternak.

Und:

„für einen guten und edlen Menschen
ist nicht nur die Liebe zum Nächsten
eine heilige Pflicht, sondern auch
die Barmherzigkeit gegen die
vernunftlosen Geschöpfe“,
schrieb vor 300 Jahren Isaac Newton.

Wir alle leben und dienen der Königlichen Kunst, die so vieles beinhaltet. Es ist Gück und große Freude, Freimaurer sein zu können. Stärken wir uns an unserer weltweiten brüderlichen Gemeinschaft.

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