Anmerkung: Es gibt von Lessing kein 6. Gespräch „Ernst und Falk, Gespräche für Freymäurer“, noch wird ein solches vermißt. Dieses 6. Gespräch ist Lessings Gesprächen 1-5 nachempfunden.
ERNST UND FALK, GESPRÄCHE FÜR FREYMÄURER
VORREDE EINES DRITTEN:
Vor einiger Zeit fiel mir in einem Antiquariat eine alte vergilbte Schrift in die Hände, die mit „Ernst und Falk – sechstes Gespräch“ überschrieben war. Eine Verfasserangabe fehlte. Obwohl es ausgeschlossen ist, daß diese Schrift identisch ist mit der immer noch nicht aufgefundenen gleichnamigen Schrift Bruder Lessings, scheint sie mir doch interessant und nützlich zu lesen.
ERNST UND FALK – SECHSTES GESPRÄCH
ERNST:
Wir haben uns auf deinen Vorschlag nun im Morgengrauen auf dem Petersplatz getroffen. Um diese Zeit ein ungewöhnlicher Treffpunkt für ein freimaurerisches Gespräch.
FALK:
Den Grund wirst du noch erspüren.
ERNST:
Von der Ferne werden vom Wind Gregorianische Gesänge herübergetragen.
FALK:
Papst Gregor ließ sie um 600 n. Chr. sammeln. Ähnlich könnten die Gesänge in Salomos Tempel geklungen haben.
ERNST:
Betrachtet man auf dem Petersplatz die zwei Säulengänge aus 284 Säulen, die ihn wie Arme umfassen, hat man den Eindruck, daß hier der Säulengang zwischen Pyramide und Taltempel Anregung gegeben hat.
FALK:
Und in der Platzmitte erhebt sich ein hoher heidnischer Obelisk, der im Jahr 37 n. Chr von Heliopolis nach Rom gebracht wurde. Unter Papst Sixtus-V. wurde er im Jahre 1586 von Demenico Fontana zusammen mit neunhundert Arbeitern aufgestellt.
ERNST:
Alfarano, ein bescheidener Meßdiener, zeichnete im Jahr 1571 die alte unter Kaiser Konstantin errichtete Basilika.
FALK:
Der konstantinische Bau war innerhalb eines präzisen geometrischen, maßstabsgerechten und zahlensymbolischen Schemas ausgeführt worden. Man folgte dabei der Lehre des Pythagoras und der Gnostiker, die wahrscheinlich der Historiker Eusebios überliefert und Konstantin vorgeschlagen hatte. Alfrano berichtete von dem Symbolismus des Portikus vor der Fassade und behauptete, daß zehn Pfeiler das Mosaikzelt vor dem Tabernakel bedeuten und an die Säulen vor dem Tempel Salomons erinnern.
ERNST:
Wir sind schon mitten im freimaurerischen Gespräch. Eine Frage bewegt mich schon länger: Ist die Freimaurerei als Geheimbund oder geheime Gesellschaft einzuordnen?
FALK:
Ja und nein, das hängt von der Definition ab. Bei einem Geheimbund werden Mittel, Absicht und Ziele geheimgehalten, was für die Freimaurerei nicht zutrifft. Andererseits besteht die Freimaurerei aus Organisationen mit eingeschränktem Mitgliederkreis zur Übermittlung und zum Studium von Lehren mittels Symbolen, Ritualen und stufenweiser zeremonieller Einweihung, die aus esoterischen Gründen in Teilbereichen eine Ausschaltung der Öffentlichkeit erfordern. Eine Bezeichnung als geschlossene initiatorische Gesellschaft trifft das eigentliche Wesen erheblich besser.
ERNST:
Mit welchen Worten würdest du den Vorgang und Wirkung der Initiation beschreiben?
FALK:
Es handelt sich hierbei nicht um die Vermittlung von Geheimnissen, sondern um die Herbeiführung einer Einweihung bzw. Bewußtseinserweiterung. Diese Bewußtseinserweiterung kann nicht durch Worte beschrieben, sondern nur erlebt werden. Ein Teil des angeborenen kollektiven Unterbewußtseins wird durch die Initiation selektiv zugänglich gemacht.
ERNST:
Die Voraussetzungen für die wirkungsvolle Einweihung liegt also in einem selbst?
FALK:
Ja, und es muß daher zwangsläufig immer eine Summe von nur fiktiv Eingeweihten geben. Die Riten der Einweihung selbst geben mit der Mitteilung der Symbole nur den Schlüssel zum Symbolisierten wieder.
ERNST:
Wer ist dann ein Eingeweihter?
FALK:
Ein im echten Sinn des Wortes Eingeweihter kann für sich die Kryptographie der Symbole in Klarschrift übersetzen und zur Grundlage seines Handelns machen. Mit anderen Worten: Eingeweihte werden sich an Haltung und Handeln erkennen.
ERNST:
Du führst die Symbole als Mittelpunkt der freimaurerischen Arbeit an!
FALK:
Ja, denn die Symbole stehen im Schnittpunkt zweier Seinsebenen. Sie entführen den Geist über die Grenzen der endlichen werdenden in das Reich der unendlich seienden Welt; sie erregen Ahnungen, sind Zeichen des Unsagbaren; sie sind der bildliche Ausdruck einer Idee, eines Gedankens oder eines festgehaltenen Gleichnisses und formen durch Verinnerlichung den Menschen.
ERNST:
Wie kann man ihre Wirkung einem Außenstehenden beschreiben?
FALK:
Bei der Erklärung des Symbolischen, bei der Übertragung in die Sprache der Begriffe, bleibt immer ein unübersetzbarer Rest. Ihre Wirkung kann nicht verstanden, sondern allenfalls erlebt werden. Zum wirksamen Gebrauch der Symbole ist es nicht erforderlich, daß man sie versteht; eine Wirkung ist auch zu verzeichnen, wenn man sich nur mit ihnen beschäftigt und über sie nachdenkt.
ERNST:
Wenn mir freimaurerische Symbole begegnen, habe ich das Bedürfnis mit ihnen und über sie zu schweigen.
FALK:
Das Schweigen ist für den Menschen ein Urerlebnis, ein Mysterium. Im heiligen Schweigen wird etwas hervorgerufen, was mit sprachlichen Mitteln nicht zu erreichen ist. Es ist ein Zeichen von Ehrfurcht, für Erfülltsein und sorgt für Konzentration. Der Mensch gewinnt mit ihm Zugang zu anderen Seinsebenen. Die Wirkung der Symbole auf den initiierten Menschen wird so im Schweigen vertieft.
ERNST:
Schweigen ein Mysterium?
FALK:
Meist sind Mysterien Ausdruck kosmischer Urerfahrungen. Mysterium, nur mit dem abstrakten Begriff Geheimnis als eine mit dem Verstand unzugängliche Wahrheit wiedergegeben, beschreibt nur den kultischen Bereich. Die Initiation gibt Zutritt zu diesem Erfahrungsbereich. Mysterium nicht für Kulthandlung, sondern für geistige Erfahrung stehend, lenkt den Blick auf literarische Mysterien in Form esoterischer Literatur.
ERNST:
Du erstaunst mich! Es scheint alles miteinander verknüpft zu sein.
FALK:
Ja, das Symbol führt weiter zum Mythos, denn Mythos ist die in Worte eingekleidete Exegese des Symbols. Das mythische Bewußtsein trennt nicht Bild von Reflexion. Sie bilden für dieses ein ungeschiedenes Ganzes. Aber es können sich auch die Gestalten und Geschehnisse, die im Mythos beschrieben werden, in Symbole verwandeln. Das nachmythologische Denken bewahrt das Mythische in einem „nur symbolischen“ Sinn auf.
ERNST:
Die Fortsetzung dieser Reihe führt weiter zum Ritual.
FALK:
Ein Ritual ist eine logisch und psychologisch geschickte Zusammenstellung von feierlichen Handlungen, Symbolen und begleitenden, magisch wirksamen Worten zwecks Durchführung einer sakralen Zeremonie. Innerhalb der Zeremonie erfolgt der Aufbau des Rituals stufenweise bis zu einem gewissen Höhepunkt, um dann in umgekehrter Reihenfolge auf den Nullpunkt zurückgeführt zu werden.
ERNST:
Ein Ritual formt den Menschen durch seine häufige und regelmäßige Wiederholung, wobei der initiierte Mensch zu seinem eigenen Zuschauer wird.
FALK:
Seine Magie und Wirksamkeit beruht auf metaphysischem Erglauben und psychologischem Erkönnen. Daher ist es für die Wirksamkeit eines Rituals belanglos, ob man es versteht. Der Geist des freimaurerischen Rituals beruht auf der esoterischen Erfahrung, daß es gewisse Wahrheiten gibt, die zu tief sind, als daß Worte oder Begriffe sie ausdrücken könnten. Allein die Symbole können eine stumme Andeutung davon geben. Beklagenswert sind daher die Bestrebungen, die es zuweilen in der Freimaurerei gibt, die Rituale zu ändern, „weil sie niemand mehr versteht“.
ERNST:
Die Rituale werden mit Geheimhaltung umgeben. Jegliche Geheimhaltung erweckt Interesse und provoziert die Frage, was denn da eigentlich geheimgehalten werde.
FALK:
Sie erstreckt sich durch das Gelöbnis auf die in den Einweihungsritualen vermittelten Erkennungsmittel, auf die Ritualtexte, auf die besonderen Umstände der Initiation und auf Zugehörigkeit anderer Brüder zum Bund.
ERNST:
Und doch kann man alles in zahllosen Verräterschriften finden.
FALK:
Ja aber die Geheimhaltung ist eine Voraussetzung esoterischer Schulung. Die Tugend der Verschwiegenheit unterstützt die erwünschte oder erforderliche Steigerung psychischer Kräfte.
ERNST:
Wo liegt das wahre Geheimnis der Freimaurerei verborgen?
FALK:
Es ist das Geheimnis des persönlichen inneren Erlebens und Empfindens einer Kulthandlung, die an den Neophyten der einzelnen Grade als einer abgestimmten, der Weihe zugänglichen Seele vollzogen wird. Da dieses Geheimnis nur subjektiv erlebt wird, ist es praktisch nicht objektiv in Worte zu fassen.
ERNST:
Wie unterscheiden sich dann Geheimnis und Mysterium von einander?
FALK:
Esoterisch unterscheidet sich das Geheimnis vom Mysterium dadurch, daß das erstere gewollt geheimgehalten wird, während das letztere nicht erklärt und beschrieben werden kann. Das Geheimnis der Freimaurerei ist daher ein Mysterium.
ERNST:
Aus profaner Sicht wurde das Geheimnis der spekulativen Freimaurerei zu einem Verdachtsgrund: War sie nicht die Verwahrerin eines geheimnisumwitterten Depositums aus dem Orient, eines Depositums „okkulter Wissenschaften“? Besaß sie etwa gar das große Arkanum?
FALK:
Verstärkt wurde dieser Verdacht noch von den Anno 1723 erschienenen Konstitutionen Andersons. Geheimnisvoll deutete er hier die Existenz einer gewissen metaphorischen „Geometrie“ an, über die man Genaueres erst „nach Öffnung der Loge“ sagen dürfte.
ERNST:
Wobei die Zünfte offensichtlich Geheimwissen und symbolische Bräuche pflegten.
FALK:
Die Wahrung ihrer Geheimnisse hing mit ihrem Broterwerb zusammen. Schon der Lehrling mußte geloben, Zeichen und Griff – sie werden Gruß, Wort und Handschenk genannt – „bei Verlierung des Steinmetzen-Handwerks“ geheimzuhalten. Zu den Geheimnissen der Meister gehörte u. a. der „gerechte Steinmetz-Grund“, d. h. die Grundregel für das Konstruktionsverfahren.
ERNST:
Der Geist des maurerischen Geheimnisses war im operativen Bereich in hohem Grade moralisch. Er lag in dem Recht auf Arbeit. Seine strenge Wahrung konnte keineswegs das Mißtrauen der Kirche noch der weltlichen Obrigkeit erwecken: Es handelte sich um das Berufsgeheimnis.
FALK:
Geheimhaltung konnte aber auch Schutz sein. In den vergangenen Jahrhunderten konnten sich Mitglieder esoterischer Gemeinschaften nur mittels strikter Geheimhaltung vor der Verfolgung durch die katholische Kirche bewahren.
ERNST:
Auch so mancher revolutionärer Gedanke löste Verfolgung aus und bedurfte der Geheimhaltung.
FALK:
Ja, das Gleichheitsideal ließ sich nur im geheimnisgeschützten Logenraum realisieren. Ein Geheimnis, was von von jedem Mysterienwesen unabhängig gewesen ist.
ERNST:
Ist die Freimaurerei nicht die durchaus geheime Kunst des rechten Lebens?
FALK:
Du hast recht. Diese königliche Kunst kann im tiefsten Sinne auch nicht gelehrt werden, weil keine schöpferische Kunst gelehrt werden kann. Dem großen Geheimnis des Lebens und der Lebenskunst, welches ein Geheimnis ist, das uns alle umschließt und mit dem kosmischen verbindet, muß der Freimaurer nachforschen.
ERNST:
Wer versucht, mit dem menschlichen Intellekt die Allgewalt dieses Geheimnisses durchdringen zu können, der wird, je weiter er in seinen Bemühungen voranschreitet, immer mehr einsehen, daß er sich von der letzten Erkenntnis deshalb immer weiter entfernt, weil er mit wachsender Erkenntnis immer mehr zu der Einsicht kommt, „ich weiß, daß ich nichts weiß“.
FALK:
Diese tiefen Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Geheimnis schrecken den Profanen.
ERNST:
Da sind noch die Geheimschriften zu erwähnen.
FALK:
Die Gnostiker aller Zeiten und Kulturen suchten und fanden ihr „Fahrzeug“, ihre „Arkandisziplin“, ihre „Chipher“ – sei sie nun Zahlenmystik, Astrologie, Alchemie, Kreuzrittertum, mystische Religion oder Konter-Religion, Minnesang — oder Geheimschrift!
ERNST:
Da von effektiver Geheimhaltung mittels Chiffren keine Rede sein konnte und zahlreiche führende Freimaurer dies sogar erkannt haben mußten, bleibt als einziger Sinn, den das Chiffrieren in der Freimaurerei haben konnte, die Annahme, daß dies zu rituellen Zwecken geschah.
FALK:
Die Rituale lösten überhaupt Argwohn bei der katholischen Kirche aus, da sich an einigen Stellen Anklänge an in der Bibel verschlüsseltes Wissen und an Herätiker ausmachen lassen.
ERNST:
Der alte Eid unterstreicht dieses: „Ich schwöre und gelobe aus freien Stücken, angesichts des Allmächtigen Baumeisters aller Welten und dieser ehrbaren Versammlung von Freimaurern, feierlich und aufrichtig, daß ich niemals eines der Geheimnisse der Freimaurerei, die mir anvertraut wurden, jemand anderem als einem guten und erwiesenen Freimaurer oder einer regulären Loge mitteilen werde – daß ich es niemals niederschreiben, zeichnen, in Stein meißeln oder in Kupfer stechen werde, und daß ich auch niemals einen Buchstaben von mir geben werde, der zur Enthüllung dieser Geheimnisse führen könnte. Widrigenfalls mir die Kehle durchgeschnitten und die Zunge herausgerissen werden möge, und ich im Sand des Meers zu begraben sei, damit Ebbe und Flut mich davontragen in ewige Vergessenheit.“
FALK:
Die Kirche konnte nicht glauben, daß ein so furchtbarer Eid durch etwas Geringeres als durch einen ebenso furchtbares Geheimnis gerechtfertigt sein könnte. Und so schleuderte Papst Clemens-XII. seine Bulle ‚in eminenti‘ gegen die Freimaurer.
ERNST:
Doch sage mir nun etwas über das nach deiner Meinung in der Bibel verborgene Wissen.
FALK:
In einer Weissagung Jesajas ist gesagt: „Mit den Ohren werdet ihr hören und werdet es nicht verstehen; und mit sehenden Augen werdet ihr sehen und werdet es nicht wahrnehmen“ (Math. 13.14 u. Jesaja 6.9). Es gibt ein Verschlüsselungverfahren, bei dem Geheimes vermengt mit anderen Dingen offen vorliegt. Trotzdem kann nur der Eingeweihte aufgrund der Vermengung das Geheimnis erkennen. Man könnte als Bestätigung der Anwendung das Wort: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat“ (Math 13.12) anführen.
ERNST:
Ich ahne schon, du vermutest unsere Rituale als Schlüssel? Da die alten Maurer lesen, schreiben und damit die Bibel lesen konnten, müßte dann eine Suche nach dem geheimen Wissen in der Bibel erfolgreich gewesen sein.
FALK:
Vielleicht liegt in den Ritualen die Bibel für ein Geheimnis auf, nur daß wir es heute nicht mehr wissen.
ERNST:
Laß uns mit „Feuer, Flammen und Rauch“ beginnen!
FALK:
In der schon erwähnten Weissagung Jesajas spielt eine „glühende Kohle“ eine Rolle. Das Alte Testament ist geprägt vom Gegensatz ethischer und zerstörerischer Gott. Wir stoßen einmal auf den jüdischen Vulkangott mit dem Charakterbild eines Dämons, der bei Nacht umgeht und das Tageslicht scheut.
ERNST:
Andererseits wird vom universellen Gott berichtet, dessen ethische Seite seines Wesens betont ist. Hier empfinde ich Ähnlichkeit mit dem ägyptischen Sonnengott Aton, bei dem alles Mystische, Magische und Zauberische ausgeschlossen ist.
FALK:
Anstatt ‚Jahve‘ mußte im jüdischen Ritual ‚Adonai‘ gesprochen werden. Es werden zwei Quellschriften für den Hexateuch (1.- 5. Buch Mose und Buch Josua) angenommen; die eine benutzt den Gottesnamen ‚Jahve‘, die andere ‚Elohim‘. ‚Elohim‘ zwar, nicht ‚Adonai‘, aber die verschiedenen Namen könnten auf zwei urprünglich konkurierende Götter hinweisen.
ERNST:
So könnte auch das Grab, symbolisiert durch den Sarg, nicht nur Wiedergeburt sondern auch den Gegensatz beider Götter symbolisieren.
FALK:
Kein anderes Volk des Altertums als das ägyptische hat soviel getan, um den Tod zu verleugnen, hat so peinlich vorgesorgt, eine Existenz im Jenseits zu ermöglichen, und dem entsprechend war der Totengott Osiris, der Beherrscher dieser anderen Welt, der populärste und unbestrittenste aller ägyptischen Götter. Die altjüdische Religion hingegen hat auf die Unsterblichkeit voll verzichtet; der Möglichkeit einer Fortsetzung der Existenz nach dem Tode wird nirgends und niemals Erwähnung getan.
ERNST:
Der Dualismus dieser beiden Götter, der Gegensatz zwischen Licht und Finsternis, zieht sich durch die ganze Bibel.
FALK:
Auch beim Bau des salomonischen Tempels ist dieser Gegensatz zu verspüren. Entgegen der Weisung Gottes (5. Mose 27, 5-6) wurde ihm hier ein Prunkaltar gebaut, der in der Art den Baal-Tempeln glich. Den Tempel errichteten phönizische Architekten. Die Priesterschaft wurde damit beschwichtigt, daß beim Bau des Hauses Steine verwendet wurden, die man schon im Steinbruch fertig behauhen hatte; Hämmer, Meißel und sonstige eiserne Werkzeuge waren beim Bau des Tempels nicht zu hören. Damit wurde zumindest die Forderung: „Du darfst nicht mit Eisenwerkzeug daran arbeiten“ eingehalten.
ERNST:
Die Säule ‚Boaz‘ vor dem Tempel gibt auch Anlaß zu Spekulationen.
FALK:
‚Möglicherweise symbolisiert die Säule Boaz den Gott Baal, was Jahwe-Anhängern nicht bekannt werden durfte. Eine diesbezügliche Andeutung findet sich in 1. Könige 18,21: „Ist der Herr Jahwe, so wandelt ihm nach; ist’s aber Baal, so wandelt ihm nach“.
ERNST:
Das Symbol des ‚Flammenden Sterns‘ kommt mir in den Sinn. Vielleicht ist er ein Überbleibsel einer kosmischen Katastrophe.
FALK:
Die Darstellung des ägyptischen Sonnengottes als runde Scheibe, von der Strahlen ausgehen, die in menschlichen Händen enden und unser Zirkel-Symbol scheinen sich zu verzahnen. Als Deutung unseres Zirkel-Symbols wird gesagt: „Das Leben des Menschen bewegt sich in einem Kreis, als dessen Mittelpunkt die Maurer den Allmächtigen Baumeister aller Welten erkennen und verehren“. Der Meister trug früher den Zirkel als Zeichen.
ERNST:
Machen wir einen Sprung zum Neuen Testament.
FALK:
Als erster begegnet uns Johannes der Täufer. Er ist der einzige Heilige der Katholischen Kirche, dessen Geburtstag (24. Juni) wie auch Todestag (29. August) gefeiert wird. Die übrigen Heiligen müssen sich mit einer Würdigung begnügen.
ERNST:
Er ist auch Schutzpratron der Maurer.
FALK:
Es ist auch eine Konkurenz zu Jesus zu beobachten. Jesus, der selbst nie taufte, hat sich von Johannes taufen lassen und ihn den „Größten vom Weibe Geborenen“ genannt. Aus diesen Worten folgerten christliche Splittergruppen, die bis ins zweite Jahrhundert nach Christus existierten, daß Jesus sich Johannes untergeordnet habe und Johannes der wahre Messias gewesen sei.
ERNST:
Jesus bildete mit seinen Jüngern einen Männerbund.
FALK:
Einen Bund, in dem es auch geheime Zeichen gab. Die Emmaus-Jünger erkannten Jesus erst an der Art, wie er das Brot brach (Luk 24,30-34).
ERNST:
Auch das Herrenmahl hat eine geheimnisvolle Ausstrahlung.
FALK:
Beim Abendmahl machte Jesus den Kelch mit Wein zum Symbol seines heiligen Blutes. Dies hat viele Generationen zu Überlegungen angeregt. In vielen frühen Handschriften von Gralsdichtungen wird dieser als ‚Sangraal‘ oder ‚Sangreal‘ bezeichnet. Vermutlich war eine dieser Formen die ursprüngliche, die man später falsch trennte, so daß aus ‚Sang Raal‘ bzw. ‚Sang Real‘ irrtümlicherweise ‚San Graal‘ bzw. ‚San Greal‘ wurde. In heutiger Schreibweise nichts anderes als ‚San Royal‘, d. h. königliches Blut.
ERNST:
Jesus war von Beruf Zimmermann. Schon im alten Ägypten trug der Architekt den bescheidenen Titel ‚Medech‘, Zimmermann, wahrscheinlich ein Relikt aus der Zeit der Holzarchitektur. Da zur Zeit Jesu der Herodianische Tempel im Bau war, konnte er durchaus an diesem mitgebaut haben. So läßt sich auch der hohe Bildungsstand Jesu erklären.
FALK:
Ja und mehr noch: Im Neuen Testament wird Jesus häufig als Eckstein bezeichnet. Hat nicht er als erster symbolisch den Salomonischen Tempel im Menschen gebaut und damit die Gegensätze des Alten Testaments aufgehoben?
ERNST:
„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“.
FALK:
Von den Manichäern wurde Jesus als ‚Sohn der Witwe‘ bezeichnet, ein Terminus, den auch wir Freimaurer benutzen. Die Manichäer erklärten Jesus für menschlich – oder, wenn überhaupt göttlich -, so nur im symbolischen oder metaporischen Sinn.
ERNST:
Die Katharer entwickelten sich aus den Manichäern.
FALK:
Und die Katharer benutzten wie die Freimaurer bei ihrer Initiation das ‚ewige Wort‘ des Johannesevangeliums (Joh 1.1-3).
ERNST:
Dieses alles könnte beim Papst Clemens-XII. die Überzeugung hervorgerufen haben, daß Freimaurer Häretiker seien.
FALK:
Ja, denn in einem geheimen Schreiben an einen unbekannten Empfänger äußerte Papst Clemens-XII. die Überzeugung, die Freimaurerei beruhe auf einer Häresie: Nämlich der Leugnung der Gottessohnschaft Jesu.
ERNST:
Wir Freimaurer hatten aber anscheinend inzwischen diese Zusammenhänge vergessen. Wenn der Papst uns nun direkt mit diesen Vorwürfen konfrontiert hätte, wären uns vielleicht diese ganzen Einzelheiten wieder in den Sinn gekommen.
FALK:
Spekulationen! nichts als Spekulationen um die Wahrheit! Aber: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz. – Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatz, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: Wähle! ich fiele mit Demut in seine Linke und sagte: Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für Dich allein“.
ERNST:
Die Sonne geht auf und der Wind trägt den Schall von Glocken herüber.
FALK:
Die Glocken klagen um die Toten und rufen die Lebenden!
* * *
Benutzte Literatur:
- Duden-Lexikon in drei Bänden, 2. Auflage 1965
- Der Neue Brockhaus, Lexikon und Wörterbuch in fünf Bänden, Ausgabe 1974
- Horst E. Miers: Lexikon des Geheimwissens, Bauer Verlag, Ausgabe 1970
- Eugen Lennhoff-Oskar Posner, Internationales Freimaurer-Lexikon, Almathea-Verlag, Nachdruck Ausgabe 1932
- Dieter A. Binder, „Die diskrete Gesellschaft“, Edition Kaleidoskop, 1988
- Manfred Lurker, „Wörterbuch der Symbolik“, Kröner Verlag
- Klaus Horneffer, Freimaurerei-Idee und Wirklichkeit, Humanität 6.1990
- Jürgen Holtorf, „Die verschwiegene Bruderschaft“, Heyne Verlag, 5. Auflage 1988
- Echrich Ludendorff, „Vernichtung der Freimaurerei duch Enthüllung ihrer Geheimnisse“, Selbstverlag, 7.-26. Auflage
- Gotthold Eprahim Lessing „Ernst und Falk“ Freimaurergespräche mit einer Einführung und Erläuterungen von Wolfgang Kelsch, Bauhütten Verlag Hamburg
- Hans Biedermann, „Das verlorene Meisterwort“, Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums, Wilhelm Heyne Verlag München, Heyne Sachbuch 01/7289 – 1986/1988
- G. Steinmetz, „Das Geheimnis der Bruderkette“, eine Hörfolge über Ursprung und Ziel der Freimaurerei, Bauhüttenverlag GmbH Frankfurt am Main
- Bernhard Wein, „Die Bauhütten und ihre Entwicklung zur Freimaurerei“, Bauhüttenverlag Hamburg 1977
- August Horneffer, „Die Freimaurerei“, dritte bis auf die Gegenwart fortgeführte Auflage, Reclam Verlag Stuttgart, 1948
- „Stern von Bethlehem, Ursprung, Wesen und Ziel der Freimaurerei“, Opera Verlag, Nachdruck von 1981
- Eduard B. Wüseke, „Freimaurerische Bezüge Zur Barocken Emblematik“, Bauhütten Verlag Münster, 1990
- Quellenkundliche Arbeiten, Quator Coronati Bayreuth, Nr. 5, „Die freimaurerischen Geheimschriften“, Geschichte und Entschlüsselung von Alfred Engel Trenton U.S.A., 1972
- Martin Gardner, Kryptographie
- Alec Mellor, „Logen, Rituale, Hochgrade“ Handbuch der Freimaurerei, Sonderdruck 1985
- Franz Carl Endres, Das Geheimnis des Freimaurers, Bauhüttenverlag, Münster, 10. Auflage 1990
- Carl Schneider, „Die antiken Mysterien in ihrer Einheit und Vielfalt“, Bauhüttenverlag 1979
- Franz Carl Endres, „Die Symbole des Freimaurers“, Bauhütten Verlag Hamburg 1977
- Günter Pflanzl, „Die Bruderschaft der Freimaurerei“ Herausgeber Freimaurerloge „Zur Weltbruderkette im Vest“ i. O. Recklinghausen, 1986
- George Goyon: „Die Cheops Pyramide“ Geheimnis und Geschichte, Weltbild Verlag, Augsburg 1990
- Immanuel Velikovsky, „Das kollektive Vergessen“ Verdrängte Katastrophen der Menschheit, Umschau Verlag 1985
- Sigmund Freud, „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“, Fischer Taschenbuchverlag 1975
- Manfred Barthel, „Was wirklich in der Bibel steht“, Econ Verlag, 1987
- Archäologisches Lexikon zur Bibel, Kunstverlag Edition Praeger, München-Wien-Zürich, 1972
- Der Neue Brockhaus (5 Bd.) 1974, Band 3
- Lexikon zur Bibel, R. Brockhausverlag Wuppertal, 3. Auflage der Volksausgabe 1974
- Duden Fremdwörterbuch 1960
- Kleines Lexikon zur Bibel, Oncken Verlag Wuppertal und Kassel, 1987
- Bibel, Altes und Neues Testament
- Lincoln-Baigent-Leigh, „Der Heilige Gral und seine Erben“, Bastei-Lübbe, 3. Auflage 1990
- Henry Charles Lea, „Geschichte der Inquisition im Mittelalter“, Greno Verlag, Nördlingen 1987
- Forum Masonicum e.V. Bonn, Die ethischen Werte im Ritual I, 1986
- Günther Schneider, Musik der Meister – Meister der Musik; eine abendländische Musikgeschichte, Bertelsmann 1977
- Ennio Francia, Die Peterskirche in Rom, Pawlak Verlagsgesellschaft, 1989