Humanität und Freimaurerei

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Hoffnungen im Hinblick auf neuere Forschungsergebnisse

Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist nicht durch Humanität, sondern durch Aggresivität geprägt worden. Durch die explosionsartige Vermehrung des Menschen in der Neuzeit ist aber eine grundlegende Änderung seines Verhaltens notwendig. Wir Freimaurer bemühen uns im kleineren Kreise etwas Positives zu bewirken – in uns und um uns. Daß wir dabei nicht auf verlorenem Posten stehen müssen, möchte ich aufzeigen.

Der Mensch, ein Geschöpf dieser Erde unter Billionen anderen, hat es verstanden, sich alles, was da kräucht und fleucht untertan zu machen. Ja, er beutet auch schon vieles aus, was tausende Meter unter der Erdoberfläche ruht, wie Erz, Gas, Öl und Wasser. Er hat den Mond besucht, schickt Sonden zu Mars und Venus, er kennt die Struktur der Atome und sendet Sprache, Töne und Bilder über den ganzen Erdball. Seinen technischen und biologischen Kenntnissen sind auch in der Zukunft kaum Grenzen gesetzt, denn er ist in der Lage, sich die Erfahrungen der Generationen zuvor anzueignen, die schriftlich, seit wenigen Jahren auch computertechnisch, niedergelegt wurden. Dies umsomehr, als zur Zeit mehr Menschen auf allen Gebieten forschen und tätig sind, als in der Vorzeit überhaupt unseren Erdball bewohnten.

Was aber unsere moralischen und sozialen Probleme betrifft, hinken wir deutlich hinterher. Das ist auch verständlich, denn diese sind genetisch in seinem Inneren verankert. Man experimentiert mit verschiedenen, auch den ausgefallensten Wirtschaftssystemen und Regierungsformen. Eine wirksame und humane Bevölkerungskontrolle ist nicht in Sicht. Die Erschöpfung der natürlichen Vorräte schreitet munter fort. Trotz aller Friedensbemühungen kommt es immer wieder zu neuen Konflikten. Auch heute noch verehrt man aggressive Eroberer und Massenmörder (Darius, Dschingis Khan, Napoleon, im 500sten Gedenkjahr der Eroberung Amerikas auch Kolumbus und viele andere) mehr, als duldsame Geisteshelden.

Die Menschheitsgeschichte ist doch hauptsächlich Kriegsgeschichte. Ohne seine Aggresivität wäre der Mensch heute nicht das, was er geworden ist und erreicht hat. Aggressivität dient zur Erhaltung des einzelnen Individuums, ob Tier oder Mensch, bzw. der Familie, des Stammes und auch der Art. Die Entwicklungsgeschichte des Menschen zeigt auf, daß sie den Umständen angepaßt war, daß er, wie auch abgeschwächt höhere Wirbeltiere, lernfähig ist. Neuere Forschungen der Anthropologie zeigen auf, daß der Mensch um seine Lagerstätten nicht nur tierische, sondern auch menschliche Schädel und Skelettknochen zerschlug, um das Opfer verzehren zu können. Dies wurde an verschiedensten Fundorten auf der Erde deutlich. Die oft vorgebrachte These vom friedfertigen Jäger und Sammler ist nie bewiesen worden. Der Mensch in der Vor- und Steinzeit war also Jagdwild des Menschen. Durch die Entwicklung vom Steinkeil zu immer wirksameren Waffen wurde er nicht nur für die Umwelt, sondern auch für seine Art zum gefährlichsten Gegner. Dieser Kampf ums Überleben hat die Individuen gefördert, die gegenüber anderen nicht nur körperlich, sondern auch intelligenzmäßig überlegen waren. Größere Aktivität, Zähigkeit und Rücksichtslosigkeit unterstützten sein Fortkommen. Durch die Zunahme seiner Zahl kam es zu immer größeren Gruppen und Stämmen. Die Expansion erzeugte zunehmend Konflikte, wie schon durch die frühesten geschichtlichen Überlieferungen belegt ist. Viele territoriale Eroberungen endeten in einem Genozid der Unterlegenen (Amerika, Australien): Völkermord – ein grausliches Wort -, das bis in unsere Zeit aktuell ist. Die innerartliche Grausamkeit bewirkte, daß sich der Homo Sapiens über die ganze Erde ausbreitete, wobei sich die weiße Rasse infolge ihrer Zahl und technischen Überlegenheit besonders auszeichnete.

Bevor es zu dieser Gegebenheit kam, hatte sich das menschliche Gehirn aufgrund der äußeren Anforderungen in entwicklungsgeschichtlich erstaunlich kurzer Zeit verdreifacht. Durch Selektion und genetisch programmierte Verhaltensstrategien kam es zu dem, was der Mensch heute darstellt. Denken wir an die Eroberungs- und Beutekriege, an die Sklaverei, die Kriege im Namen Gottes, an die über hundert Millionen Toten der beiden Weltkriege, Hitler, Stalin, den Genozid in Kambodscha und an Jugoslawien in der neuesten Zeit. Es kann einem aber auch angst und bange werden, wenn man sich die zunehmenden Grausamkeiten in den Slums der Großstädte und die Unterdrückung der Menschen in vielen Staaten ins Gedächtnis ruft. Wir sind heute in der Lage, uns selbst auf mancherlei Art zu zerstören. Auch nach der Verschrottung vieler Atomwaffen bleiben noch genügend übrig, die Menschheit auszulöschen. Können wir als mit Vernunft ausgestattete Wesen unsere Dysfunktionen (Dysfunktion: gestörte Tätigkeit eines Organs) auf die Dauer kompensieren oder scheitern wir an unseren genetisch geprägten Eigenheiten? Ist der biblische Satz: „Macht euch die Erde untertan“ zu ergänzen mit der Feststellung: „Und zerstört euch selbst und alles andere“? Der Mensch wird technisch immer fortschrittlicher und erfahrener, bleibt aber in seinen Genen und in seiner Grundsubstanz seit Tausenden von Jahren gleich.

Warum also die Hoffnung auf Humanität?

Ich will hier nicht anklagen oder resignieren, sondern Hoffnungen aufzeigen. Viele Beispiele belegen, daß der Mensch in der Lage ist, aggressive Instinkte zu kompensieren. Ist nicht die Tötungshemmung, die jedes Raubtier zur Arterhaltung besitzt, angeboren? Die Entwicklung der Brutpflege, die Eltern-Kind-Bindung vertieft die Zuwendung auch der Erwachsenen zueinander. Mit der Freundschaft und Liebe zum andern ist auch das Gute im Menschen gewachsen. Im Gegensatz zu den aggressiven Mensch in der Geschichte gab es auch immer selbstlose Helfer und Prediger. Aus unzähligen Beispielen sei nur auf Jesus, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, auf den polnischen Priester, der für ein jüdisches Kind in die Gaskammer ging, hingewiesen.

Erkenntnisse aus der menschlichen Gehirnforschung sind es, die Hoffnungen erwecken. Sie zeigen uns, daß unser Gehirn in seiner Feinstruktur in ständiger Umwandlung begriffen ist und daß diese nicht nur von den Genen allein gestaltet wird. Während der ganzen Lebenszeit läuft ein Lernprozeß mit, eine sogenannte Konditionierung des Zentralen Nervensystems, der für die Ausbildung dieser Feinstruktur maßgeblich ist. Sie kann das Gute in uns bahnen und damit zu einem humanen, zwischenmenschlichen Verhalten beitragen.

Bei der Ausbildung des menschlichen Gehirnes entstehen nach und nach die Verknüpfungsmuster zwischen den Nervenzellen. Welche Verbindungen überdauern, ergibt sich aus der Erregungsaktivität der einzelnen Neurone. Durch ständig laufende Informationen entsteht ein korrektes Verknüpfungsmuster. Versuche bei Katzen und anderen Tieren zeigten, daß Lernprozesse im weitesten Sinne des Wortes und Erfahrungen während des ganzen Lebens Anzahl, Verteilung und Wirkstärke von Synapsen (also die Verbindungen) mitbestimmen. Wenn Nervenzellen andere Nervenzellen wiederholt aktivieren, arbeiten diese auch dauerhaft effizienter als vorher. Intensive Lernprozesse verstärken präexistente Verbindungen und können sogar zur Entwickung neuer Schaltstellen führen. Ganze Fasersysteme und Verzweigungen von Nervenzellen können sich unter dem Einfluß wiederholter Aktionsreize bilden. Diese, als Plastizität bezeichnete Eigenschaft des Zentralen Nervensystems, ist eine erfahrungsabhängige Reifung und organische Umbildung unseres Gehirnes durch neuronale Aktivität, steht also unter dem Einfluß von Lern- und Erfahrungsprozessen.

Das menschliche Gehirn hat so die Möglichkeit, die Erfüllung eines Triebzieles zurückzustellen und durch die Entspannung moralisches Handeln zu ermöglichen. Diese einzigartige Fähigkeit unseres Zentralen Nervensystems ermöglicht es dem einzelnen, in einem ständigen Lernprozeß sein Gehirn im Sinne eines harmonischen zwischenmenschlichen Zusammenlebens strukturell zu wandeln und damit menschliche Aufgeschlossenheit dauerhaft zu bahnen. Diese Möglichkeit gibt uns Hoffnung! Der Mensch bekommt dadurch die Chance, die allzuoft auf Konflikt eingestellten erbbedingten Ursachen seines Fühlens und Handelns zu erkennen und in für unsere heutige Zeit notwendige Überlebensprogramme abzuwandeln. Das menschliche Gehirn, dieses einzigartige Organ in uns, ist die prägende Kraft, der Ursprung aller unserer Gedanken und Gefühle. Es ist der Ort, an dem die bewußten und unbewußten Entscheidungen menschlichen Handelns gefällt werden. Es ist die Quelle, aus der ständig Genialität und Gestaltungskraft in positiver Richtung fließen können, wenn sie enprechend geprägt wird.

Es ist das menschliche Gehirn, dieser wunderbare Mechanismus in uns, das durch seine Plastizität und wandelbare Struktur Hoffnung gibt für eine humane Welt. Hoffnung gibt es auch für uns Freimaurer. Wir brauchen nicht kleinmütig zu werden ob unserer kleinen Zahl im Vergleich zur ganzen Menschheit. Wie sich zeigt, geht eine dringend notwendige Bewußtseinsänderung in uns nicht von anscheinend großartigen politischen und wirtschaftliche Problemen aus, sondern in erster Linie nur von ganz persönlichen engen zwischenmenschlichen Bildungsprozessen. Sie prägen das frühkindliche und auch das Gehirn im späteren Leben bis ins Alter zum brüderlichen, humaneren Fühlen. Der enge Bruderkreis, die einzelne Loge, die gesamte Freimaurerei als auch die Zusammenarbeit aller Menschen, die guten Willens für die Ziele der Humanität sind, können so aufgrund der hier dargestellten Zusammenhänge hoffnungsvoll mithelfen, Unmenschlichkeit und Chaos für die Zukunft zu verhindern.

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