Liebe Brüder,
ich möchte heute über ein Thema sprechen, welches uns nach Meinung unserer Großloge fortwährend beschäftigen sollte. Das Projekt „10.000“, also die Bemühung, es auf 10.000 reguläre Freimaurerbrüder innerhalb der deutschen Grenzen zu bringen.
Nun habe ich ja grundsätzlich gar nichts dagegen, viele Brüder zu haben… und doch wirkt der das Projekt vorstellende Aufruf von Br. Axel Pohlmann in der „Humanität“ Ausgabe vom April/März 2008 eher verstörend als motivierend auf mich.
Und bevor jemand auf die Idee kommt, wir Brüder sollten uns doch zwecks Mitgliedervermehrung mit unseren Logenblättern in der Hand, Zeugen Jehovas mit ihren Wachtürmen gleich, an die Bahnhöfe stellen, erlaube ich mir, ein paar grundsätzliche Fragen zu stellen.
Wie kommt eine Loge zu Mitgliedern?
Was suchen Suchende?
Warum bin ich in einer Freimaurerloge?
Vor einiger Zeit veranstaltete unsere Loge einen auch für unsere Verhältnisse sehr munteren Gästeabend, bei dem uns dieser Artikel „Projekt 10.000“ zur Grundlage diente. Ein Wort zu hierbei zu unseren Gästeabenden: Unsere monatlichen Gästeabende werden im Schnitt von 10 Gästen besucht, mit denen wir zusammen entweder Zeichnungen oder aber in Freimaurerkreisen kursierende Texte diskutieren, solange sie nicht gegen die Arkan-Disziplin verstossen-selbstverständlich, aber die „Humanität“ ist ja auch für Profane erreichbar.
Nun, unsere Gäste waren der quasi einhelligen Meinung, dass sie niemals weiter an den Besuch einer Loge gedacht hätten, wenn sie diesen Artikel der „Humanität“ gelesen hätten, ohne uns kennen gelernt zu haben. Genau genommen handelt es sich ja um drei Artikel. Auf die Statements des Vertreters der Großloge, Br. Pohlmann und auf die darauf folgende Warnung der Redaktion der Humanität will ich näher eingehen…:
Da ist zum Ersten die Aufforderung unseres Bruders Pohlmann an die Logen, sich verstärkt um die Erhöhung unserer Mitgliederzahl zu kümmern: „Der Bund der Freimaurer ist seiner Struktur nach nicht darauf ausgelegt, sich in kleinste Formen zurückzuziehen“, heißt es im Text. Und es wird uns die Schönheit der Zahl „10.000“ vorgezeigt. „Hauptsache mehr Mitglieder!“ Diese herausgelesene Devise schreckte unsere Gäste ab und hinterlässt bei mir und meinen Brüdern ein ungutes Gefühl. Warum, lieber Bruder Pohlmann, sollen wir wachsen? „Weil eine große Mitgliederzahl ein Reservoir für Beamte und Grossbeamte bildet.“ Wir sollen also wachsen, weil das die Struktur des Freimaurerbundes stärkt. Ist mit Struktur hier eigentlich „Institution“ gemeint? Mir persönlich sind die Strukturen des Freimaurerbundes schon stark genug, ich finde es gibt zu viel Struktur und zu wenig Lebendigkeit und Liebe. Und weil mich starke und erstarrte Institutionen abschrecken, bin ich Freimaurer und nicht Kirchenmitglied.
Wir sollen wachsen, so Bruder Pohlmann, um wieder gesellschaftlich wahrgenommen zu werden. Ist damit nicht eher gemeint, dass die Großloge gesellschaftlich wahrgenommen werden will? Die Freimaurerei wird wahrgenommen über und durch den einzelnen Freimaurer, der in seiner Gesellschaft wirkt. Jeder Versuch, als „Verein der Freimaurer“ wahrgenommen zu werden, widerspricht meiner Auffassung nach den Grundprinzipien der Freimaurerei.
Der Freimaurer hat niemanden, der für ihn spricht – das hat er selbst zu erledigen. Und das ist auch gut so.
„Eine Loge kann gar nicht groß genug sein, -sie kann nur zu klein sein!“ – So Bruder Pohlmann. Dem halte ich entgegen: Eine Loge sollte höchstens 40 Mitglieder haben, die sich untereinander kennen und flexibel genug sind, die Arbeit in den Ritualen abzuwechseln, damit es nicht zu einer unseligen Hier-die Beamten- dort die Kolonne Haltung kommen kann.
Der Artikel Br. Pohlmanns schließt mit der Bemerkung, dass niemand einen Schlüssel hat zu einer Tür, auf der steht „wie man Mitglieder gewinnt“ und dass die Großloge Anstöße dazu in verschiedene Richtung geben will, aber auch auf Anstöße angewiesen ist.
Das ist ein hilfreicher Schluss. Mein Anstoß soll dazu sein: „Wehe uns, wenn wir dazu kommen, uns über Mitgliederzahlen zu definieren!“ Schade um die deutsche Freimaurerei, wenn sie unter Vernachlässigung des inneren Wachstums nach äußerem Wachstum schielt! Und ich glaube nicht, dass man aus den gern erwähnten hohen Vorkriegsmitgliederzahlen unbedingt auf die Lebendigkeit der Vorkriegs-Freimaurerei schliessen kann. Eine Loge wird wachsen, wenn die Brüder sich Gästen gegenüber so offen, interessiert und liebevoll verhalten, wie sie es untereinander tun. Eine Loge, die diese Lebendigkeit nicht besitzt, wird sich Gästen gegenüber so vorbehaltvoll, misstrauisch und eitel verhalten, wie die Brüder untereinander.
Dann folgt im „Humanität“-Text die Stellungnahme der Redaktion der „Humanität“: „Keine Voreiligen Aufnahmen! Zuerst den Charakter eines Suchenden prüfen!“ heißt es da. Dazu werden gleich drei Charaktere illustriert, die Aufnahme in unseren Bund finden könnten, wenn man sie nicht zuvor entlarvt: „Der Querulant, der Intrigant und der Denunziant“. Drei warnende, abschreckende Beispiele also, was einer Loge passieren kann, wenn sie nicht vorher ordentlich den Charakter des Suchenden geprüft hat. Da frage ich mich – was für ein Menschenbild sitzt denn hinter einer solchen Beschreibung? Der Schreiber scheint von vornherein anzunehmen, dass Suchende eher eine Gefahr für die Loge sind. Warum hat er keine positiven Beispiele gewählt?
Schaut in Eure Herzen! Liebt ihr eure Logenbrüder? Wenn nicht – kann kein Kulturprogramm, keine öffentliche Konzertveranstaltung, kein Werben mit großen Namen und glorreicher Vergangenheit davon ablenken, dass die Loge im Sterben liegt. Es heißt bei uns „Jugend zieht Jugend an“ Das wird unserer Loge als wachsende Loge mit einem Durchschnittsalter von Mitte dreissig gern gesagt – aber ich glaube eher, dass Lebendigkeit Lebendigkeit anzieht. Offenheit: Offenheit; Misstrauen: Misstrauen; Intrigantentum: Intrigantentum.
Ich habe häufig erlebt, dass in anderen Logen nach dem „Programm“ die Brüder sogleich auseinander stieben, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben. Das ist traurig. Und wenn solches auch auf Gästeabenden so passiert – was wundert Ihr euch, wenn die Gäste dann ausbleiben! Das Zusammensitzen nach den Gästeabenden, der Umgang der Brüder untereinander – gerade nach dem offiziellen Programm ist für den Gast doch sehr wichtig. Hier hat er Gelegenheit, die Charaktere der Freimaurer zu prüfen. Wenn wir dem Gast nicht auf gleicher Ebene begegnen – begegnen wir ihm überhaupt nicht!
Also;, was suchen Suchende? Ist es nicht das Wichtigste, dass wir uns DAS klarmachen? Was hat uns denn seinerzeit an die Pforte des Tempels geführt? Gesellschaftliche Anerkennung? Die Hoffnung auf ein Netzwerk von hilfreichen Brüdern? Das Kultur- und Öffentlichkeitsprogramm der Freimaurerlogen? Die Suche nach einem lustigen Vereinsleben?
Sollte es einer dieser Gründe gewesen sein, dass wir anklopften? Nun, wird es dem Suchenden nicht mehrfach gesagt bei der Aufnahme, dass diese Gründe nicht gelten, um Freimaurer zu werden? Wird uns nicht im Ritual deutlich gemacht, dass es sich bei der Freimaurerei um einen Mysterienweg handelt, dass der Anfang der Freimaurerei der Beginn eines persönlichen spirituellen Weges hin zur Selbsterkenntnis ist? Und nicht weniger als das! Machen wir das im Vorraum des Tempels einem Gast bzw. Suchenden deutlich genug?
Oder haben wir Angst, uns lächerlich zu machen als Mysterienbund und bieten den Suchenden nur noch das dar, was sich ihm in jedem Verein, der mit Humanismus, Kultur und gepflegtem Austausche werben kann, ebenfalls bietet? Ist uns die Rede von und über Selbsterkenntnis zu einem Teil unseres bürgerlich- angenehmen Kulturprogrammes verkommen? Die freimaurerischen Symbole zu nett- exotischen Dingen, mit denen man sich schmücken kann?
Nun ist natürlich das Grundproblem der Mystik, dass sie nicht wirklich mitteilbar, sondern nur selbst erfahrbar ist. „Wer‘s nicht erfühlt, wird‘s nicht erjagen!“, wie Goethe sagt. Was können wir also einem Gast im Vorfeld zeigen? Dass wir die Unterschiedlichkeit der menschlichen Wege aushalten können. Dass wir keine allgemeine Wahrheit im Angebot haben, keine Weltformel hin durch die verschiedenen Grade sukzessive weitergeben können, sondern dass wir die Verschiedenheit der sich bemühenden Menschen aushalten können – Dass nicht Angst und Vorurteil das Erste ist, mit dem wir einem Menschen begegnen, sondern Aufgeschlossenheit und Vertrauen. Schauen wir in unsere Herzen – uns werden Menschen so begegnen, wie wir glauben, dass sie uns begegnen. Wie denken wir von anderen Menschen?
Wir „Rauhen Steine“ sprechen auf unseren Gästeabenden (und auch sonst) über Religion und Politik. Ich musste mir schon ein ums andere Mal von Brüdern anderer Logen anhören, dass das unter Freimaurern VERBOTEN sei! Was ist denn das für eine engstirnige Auslegung des Hinweises in den alten Pflichten, dass ein Freimaurer sich nicht über Politik und Religion streiten solle? Da liegt doch der Unterschied! Toleranz im toleranten Rahmen ist unsere Aufgabe.
Mit offenen Händen die Meinungen und Standpunkte der anderen anhören- Nicht mit zusammengeballten Fäusten, in denen ich meine Wahrheit festhalte! Offenheit und Interesse des Freimaurers wirbt für die Freimaurerei. Eine Loge, in der das lebt, wird wachsen. Eine Loge, die stattdessen mit Äußerlichkeiten wirbt, hat keine Zukunft.
Ich schaue auf die 15 Suchenden, die im Laufe der letzten vier Jahre bei uns angeklopft haben. Was suchten sie? Einen durchorganisierten Verein, in dem bürgerliche Idylle gespielt wird? Einen Spiegel des täglichen Existenzkampfes um Geld, Ehre und Sieg? Sicher nicht. Natürlich haben uns in dieser Zeit auch Brüder unsere Loge verlassen. Weil sie den Kontakt zu uns verloren hatten, weil sie fortzogen und/oder sich anderen Logen anschlossen. Die Freimaurerei bleibt ein Angebot. Und im Zweifelsfalle gilt der eigene spirituelle Weg mehr als die „Nibelungentreue“ zu einer Loge.
Nun, ich glaube, dass Suchende aus ihrer Sehnsucht heraus zu uns kommen, weil sie Hilfe, Anleitung und Austausch auf ihrem Wege zur Selbsterkenntnis suchen. Etwas, dass sich in unseren Ritualen mitteilt, nicht jedoch durch die Institution Großloge.
Es geht um Selbsterkenntnis; Nicht um Icherkenntnis, nicht um Entwicklung unserer Eitelkeit, nicht um das Gefühl, einer geheimnisvollen Institution anzugehören, nicht um das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, nicht um Ritterspiele und Ränge. Erkenne Dich Selbst: Das Wort, dass uns in die Mitte des Tempels führt; Ahnen wir noch, was damit gemeint sein könnte?
Liebe, Vertrauen und Toleranz sind der Grundstein und der Schlussstein unserer Bruderschaft
Es geht um ein Weniger – nicht um ein Mehr auf dem spirituellen Wege. Es geht nicht darum, sich zu bemühen, anständiger, netter, toleranter zu sein und sich auf diesem Wege zu bemühen, vollkommener oder vollkommen zu werden. Das ist nicht mit „innerer Wandlung“, wie sie in unseren Ritualen genannt wird, gemeint. Es geht nicht darum, uns Rundungen der Vollkommenheit auf unseren rauhen Stein zu legen, sondern es geht doch darum, die Kanten der Unvollkommenheit abzuschlagen – um die Vollkommenheit unseres göttlichen Selbst freizulegen. Darum geht es, Vorurteile abzubauen – nicht darum, neue, und seien es auch gut gemeinte, zuzulegen.
Unsere Rituale haben die Kraft, uns in die ersten Schritte auf einem spirituellen Weg einzuführen. Uns Brüdern bleibt nur die Aufgabe uns gegenseitig auf diesem Wege, der für jeden ein höchst persönlicher Weg ist, liebevoll zu begleiten.
Ich persönlich halte die Stärkung der Freimaurerischen Institution nach Außen dem Zwecke der Freimaurerei schadend. „Freimaurerei war immer“ und sie wird so lange sein, wie es Suchende gibt. Lessing sagte nicht „Großloge und Institution war immer“. Wenn unsere Großloge sich mit dem Anspruch, Stellvertreter für die deutschen Freimaurer zu sein, anschickt, eine wahrnehmbarere Rolle im gesellschaftlich politischen Leben unseres Landes anzustreben, glaube ich, dass damit das Wesentliche der Freimaurerei, ihr eigentlicher Daseinsgrund, aus den Augen verloren wird. Hoffentlich nicht auch schon aus dem Herzen…
Es geht nicht um die Stärkung der Freimaurerei als Institution. Als Freimaurer kann ich nur durch mein Beispiel wirken. Ich brauche keinen Stellvertreter. Dass Suchende bei uns anklopfen ist natürlich mein Wunsch. Freimaurerei kann sich für einen Suchenden zu einem Weg zur Selbsterkenntnis herausstellen. Ein Weg- unter vielen Wegen. Die Freimaurerei, wie ich sie verstehe, ist eine Schule zur Selbsterkenntnis, für jeden Suchenden, der bereit ist, sich auf die Reise zu seinem Selbst zu machen. Als Freimaurer bin ich gleichermassen Lehrer und Schüler.
Eine Freimaurerei, die das Vertrauen darein verloren hat, dass es Suchende gibt, und bereit ist, ihre spirituelle Kernaussage zu verwässern in der Hoffnung, dadurch mehr Mitglieder und gesellschaftliche Wahrnehmung zu bekommen, ist wie: „Lasst uns die Schule schließen – Machen wir lieber einen Kindergarten auf!“
Nur, auf diesem Gebiet gibt es schon genug „Kindergärten“… Eine Freimaurerei, der Institutionalisierung und Mitgliederzahlen wichtiger sind als ihre Spiritualität, ist nur ein weiterer überflüssiger Verein.
* * *