Kann Freimaurerei ein menschlicher Ausweg aus der Ellenbogengesellschaft sein

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In der letzten Zeit höre und lese ich in den Medien viel über die neue „Ellenbogengesellschaft“, das Wort des Jahres 1982.

Ich möchte versuchen, in dieser meiner ersten Zeichnung herauszufinden, ob wir alle uns „in unserem Lande“ dorthin entwickelt haben und weiterhin werden. Zunächst möchte ich versuchen, den Begriff „Ellenbogengesellschaft“ zu hinterfragen und zu beleuchten, denn wenn man darüber spricht, hört man ihn nur allzu oft als Schlagwort fallen, und es ist dann jedem selbst überlassen, was er sich darunter vorstellt.

Ellenbogen-Jemand ist derjenige, der die Ellenbogen benutzt, um nach vorne zu kommen, Karriere zu machen, sozialen Aufstieg zu erreichen ohne Rücksicht auf sein Umfeld. Jemand, der rücksichtslos alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten nutzt, um materiellen und persönlichen Vorteil zu ziehen. Seine Mitmenschen, Kollegen und Angestellten interessieren ihn nur so lange, wie er sie als Werkzeug für den eigenen Vorteil nutzen kann. Er ist ein ausschließlich materiell orientierter Mensch, ein Egoist; jemand, der seine Ellenbogen benutzt, um vorwärts zu kommen. Diese Charaktere müßten dann, bezugnehmend auf das Wort „Ellenbogengesellschaft“, auf alle Bürger und Bürgerinnen zu reflektieren sein. Das würde bedeuten, daß ein Wertewandel in unserer Gesellschaft stattgefunden hat, der jedem den Materialismus als Maxime setzt. Menschliche Tugenden wie Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Redlichkeit sowie Nächstenliebe sind damit unwichtig, ausgeschaltet. Jeder ist dann sich selbst der Nächste, denn in einer Welt, wo nur noch Materialismus und Egoismus zählt, ist auch kein Platz für Toleranz. Somit identifiziert sich jeder nur noch über Geld und Beruf. Die Karriere wird zur Droge und die Firma wird Familienersatz. Diesen gesellschaftlichen Zwängen unterworfen, wird der Mensch zum Egoisten und Materialisten, was aber wiederum auch einen Eingriff in unsere individuelle Gefühls- und Gedankenwelt bedeutet. So manipuliert, kann von persönlicher Autonomie und Freiheit des Menschen keine Rede mehr sein. Es sind somit primär die vorgegebenen gesellschaftlichen und kulturellen Wertmaßstäbe, die uns in unserem Denken, Fühlen, und Verhalten im Leben treiben. Bei globaler Betrachtung des Menschen in seinen individuellen Gesellschaftssystemen mögen diese Wertmaßstäbe unterschiedlich sein, aber die Motivation des Menschen, ein möglichst hochangesehenes Mitglied seiner Gesellschaftsstruktur in seinem Land zu sein oder zu werden, dürfte weltweit gleich sein. Dadurch bedingt, sind wir alle Zwängen und Pflichten bzw. normiertem Verhalten unterworfen, was der einzelne oft gar nicht erfüllen kann, wenn es über seine persönlichen Möglichkeiten geht.

Die Ursachen unserer Entwicklung dürften ausschließlich in der wirtschaftlichen Situation Westeuropas, den politischen Systemen und in der Manipulation durch die Medien zu suchen sein. Weltweite wirtschaftliche Rezession, steigende Arbeitslosigkeit, ein immer gnadenloser werdender wirtschaftlicher Konkurrenzkampf fordern dem arbeitenden Menschen immer mehr Leistungsbereitschaft ab. Durch die stärker werdende Globalisierung werden in Westeuropa immer mehr Arbeitsplätze abgebaut. Selbst Fachleute können heute nicht abschätzen, wie sich die Wirtschaft global in der nächsten Dekade entwickeln wird. Angesichts der immer weiter expandierenden globalen elektronischen Vernetzung wird der Markt für die Wirtschaft transparenter, da Finanztransaktionen ins Ausland vereinfacht sind, um Steuern zu sparen. Waren können per Knopfdruck global im Internet am billigsten eingekauft werden. Selbst Arbeitstätigkeiten werden heute schon über das Internet an sogenannte Billiglohnländer vergeben und auch dort ausgeführt. Nun könnte man der Meinung sein, angesichts boomender Börsen, die ja ein Qualitätsindex für die Wirtschaft sind, daß ein Zuwachs an Arbeitsplätzen zu erwarten ist, doch der Schein trügt. Ging es im 19. Jahrhundert noch um die maximale Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, reagieren heutzutage die Börsen eher wohlwollend auf Rationalisierungen. Die zunehmende Automation ersetzt Arbeitsplätze, und immer mehr niedrig qualifizierte Arbeitsplätze werden in das billigere Ausland verlegt, was bedeutet, daß hierzulande die Menschen auf die Arbeitslosenwartebank geschickt werden. Neuesten Erkenntnissen zufolge hat Deutschland die globale technologische Führung verloren und ist gezwungen, Softwarespezialisten aus Dritte-Welt und Schwellenländern ins Land zu holen. Man sieht auch hier, wie rasant sich die Welt verändert hat. Ein jahrzehntelang technologisch führendes Deutschland hat die Zukunft verschlafen. Entwicklungsländer haben die technisch-innovativ führende Elite gebildet, und es wird bewußt, welche Herausforderungen uns die bereits begonnene Zukunft stellt. Oder stecken wir bereits in der sogenannten Globalisierungsfalle?

Das Konkurrenzprinzip, das im Wirtschaftsleben seinen Platz hat, wirkt sich zerstörerisch auf die Gesellschaft aus, wenn es zum Antrieb aller menschlichen Handlungen wird. Eine menschliche Gesellschaft basiert nicht auf dem Übertrumpfen und Ausschalten des Schwächeren, des Gegners, sondern auf dem Formulieren und Durchsetzen gemeinsamer Ziele. „Die Verwechslung des Gemeinwesens mit einem Markt, auf dem sich nicht Bürger sondern Wirtschaftssubjekte tummeln, zerstört dieses Gemeinwesen“ schreibt der französische Soziologe Thureau. Durch Propaganda und Manipulation der Medien wird im Menschen die Meinung gebildet. Die Werbung lebt ihm vor, was er kaufen muß, um „in“ zu sein, wie man auszusehen hat und sich verhalten muß, um „dazu“ zu gehören. Fernsehen ist auf Schlagzeilen und Sensationen aus, weil nur noch die Einschaltquote zählt. In diesem synthetisch erzeugten, manipuliert-suggerierten Weltbild, wo nur Konsum, Erfolg, Macht und makellose Schönheit zählen, sieht sich der Mensch gezwungen, konform zu gehen oder verachtet zu werden. Da nun der Leistungsdruck, zunehmende Arbeitslosigkeit und die daraus resultierenden Existenzängste immer größer werden, benimmt sich der Mensch seinen Mitmenschen gegenüber immer rücksichtsloser und egoistischer. Nun muß man sich zunächst fragen, wie es eigentlich sein kann, daß wir uns derart verhalten.

Blickt man in der Geschichte zurück, so stellt man fest, daß es den meisten Menschen, bedingt durch die jeweiIigen historischen gesellschaftlichen Strukturen, nicht möglich war, sozialen Aufstieg zu erlangen, da die individuelle Rangordnung dogmatisch festgelegt war – im Mittelalter durch die Zünfte, die Ständegesellschaft, den Absolutismus.

Nun könnte man der Meinung sein, seit der Französischen Revolution, die ja unter dem Motto Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit stand, wären die formalen Bedingungen für gesellschaftliche Gleichheit und humanitäres Miteinander gestellt worden. Angesichts der jüngsten Vergangenheit jedoch mit Faschismus und Kommunismus, wo aus blinder Ideologie Millionen von Menschen getötet wurden, hat die Geschichte bewiesen, daß der Mensch nichts dazu gelernt hat. Es ist die Machtgier, die Menschen von je her ins Unglück treibt.

Die elementaren Bedürfnisse der Menschen sind primär die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Wohnen, um Schutz vor den Einflüssen der Natur zu finden. Erst wenn diese gestillt sind, ist der Mensch überhaupt in der Lage sachlich zu denken, Nächstenliebe zu empfinden und Kultur zu entwickeln. Bedingt durch soziale Systeme ist zumindest in den westlichen Ländern der Welt größtenteils dafür gesorgt, daß die elementaren Grundbedürfnisse gewährleistet sind. Der Mensch jedoch, der Steinzeit mittlerweile entkommen, will stets mehr erreichen, als nur die Naturbedürfnisse zu befriedigen, denn der moderne Mensch hat einen Anspruch auf gewisse materielle Sicherheit und Kultur. Die meisten Menschen haben sich allerdings zu materiellen Egoisten entwickelt und sind bereit, ihre Mitmenschen auszuschalten. Einige sind sogar imstande zu töten.

Um dieses Verhalten zu verstehen, muß man wissen, wie unser Gehirn strukturiert ist. Laut Professor Hoimar v. Dithfurt besitzen wir drei unabhängig voneinander funktionierende „Gehirne“, die in bestimmten Situationen auch getrennt handeln können. Wir haben einmal das „alte Gehirn“, das unsere reptilische Vergangenheit repräsentiert, wir haben ein weiterentwickeltes „limbisches Gehirn“ als unser Säugetier-Erbe, und wir haben das „neue Gehirn“, die Großhirnrinde, die als spezifische Evolutionsleistung der Primaten angesehen werden kann und bei uns Menschen die bisher höchste Entwicklungsstufe erreicht hat. Jedes dieser Gehirne hat spezifische anatomische und biochemische Merkmale, eine eigene Weise zu denken, eigene Wertvorstellungen und Verhaltensweisen. Die detaillierte Erklärung der drei Gehirne würde hier zu weit führen, ist aber in angegebener Fachliteratur nachzulesen. Entscheidend ist es zu wissen, daß das „alte Reptilien-Gehirn“ in bestimmten Streßsituationen die völlige, Iähmende und negative Kontrolle über uns einnimmt. Wann immer unser limbisches Gehirn und unsere Großhirnrinde in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind – sei es durch Alkohol, Drogen, Streß, Krankheit, Alter, einen starken Glauben, eine feste Überzeugung oder übermäßige Verliebtheit – geraten unsere Seelenhaltung und unser Verhalten unter den Einfluß unseres reptilischen Erbes. Die Hauptmerkmale unseres reptilischen Daseins sind: Selbstsucht, Ichbezogenheit, Rücksichtslosigkeit, Tücke, Verschlagenheit. Argwohn, Gefühllosigkeit, Grausamkeit, Kaltblütigkeit, Starrheit, Hartnäckigkeit, Beharrlichkeit, Wettbewerbsdenken, Anmaßung, Territorialverhalten, Isoliertheit, Intoleranz, Aggressivität und Gewalttätigkeit, mangelnde Fürsorglichkeit, kurzsichtiges Nutzdenken, Opportunismus, Oberflächlichkeit und Eitelkeit.

Das reptilische Gehirn ist auch für jedes ritualisierte, stereotype Verhalten verantwortlich. Indem sie die Funktionen der Großhirnrinde und des limbischen Gehirns beeinträchtigen, drängen uns Streß oder chronische Angst in zwanghafte seelische und körperliche Verhaltensweisen, die im Einklang mit unserem urtümlichsten Erbe stehen. Unsere zwanghafte Neigung, uns mit Statussymbolen zu umgeben, uns zu schmücken mit technischen Geräten, Luxusgütern, Tätowierungen oder ähnlichem, um unsere augenblickliche Wichtigkeit herauszustreichen, ist ein typischer Ausdruck unseres reptilischen Wesens, das sich jedesmal dann äußert, wenn wir uns – vor allem in unserem wahnhaften Selbstbild und unseren überzogenen Ansprüchen – bedroht fühlen. Je größer unser Ehrgeiz und unsere Vermessenheit, desto größer die Angst, daran gehindert zu werden, unsere angemaßten Ziele zu erreichen.

Reptilien scheuen den Körperkontakt, sie halten Abstand. Es ist diese angeborene Berührungsangst, die sie zu ihrem ausgeprägten Territorialverhalten treibt. Wenn wir uns bedroht fühlen, fallen wir auch in dieses atavistische Verhalten zurück (mein Haus, meine Stadt, meine Nation!). Wurde ein Reptil von einem Rivalen besiegt oder hat es sein Territorium verloren, wird es depressiv oder impotent. Viele Menschen reagieren auf Niederlagen oder den Verlust ihres Vermögens, das für sie die Funktion eines „beweglichen Herrschaftsgebietes“ bzw. eines Territoriums erfüllt, mit einem Rückfall in reptilische Verhaltensweisen.

Das „säugetierische“ oder limbische Gehirn entstand „auf“ dem Reptiliengehirn unter dem Druck von dessen Frustrationen, Irritationen und Ängsten. Die wichtigsten Leistungen des limbischen Gehirns sind: Geselligkeit, Gruppenverhalten, Familiensinn, Brutpflege, Neugier und Forscherdrang, Gedächtnis und Lernfähigkeit, Lautbildung und Wahrnehmung, Kommunikation und Spiel, Bedürfnis nach Körperkontakt und seelische Nähe. All diese „limbischen Fähigkeiten“ vermindern die Frustrationen, Irritationen und Ängste. Dank des „geselligen limbischen Gehirns“ treten an die Stelle des gewalttätigen, rücksichtslosen Rivalitätsverhaltens des reptilischen Einzelgängers Kooperativität und Gruppenverhalten. Geselligkeit, Kooperation und Brutpflege sind nicht lediglich abstrakte Funktionen des limbischen Gehirns, sondern „Bedürfnisse“ dieses Organs, so wie rücksichtsloser Egoismus und gewaltsam ausgetragenes Rivalitätsverhalten „Bedürfnisse“ des Reptiliengehirns sind. Wenn Tiere oder Menschen mit einem hochentwickelten limbischen Gehirn ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihre Nachkommen zu verteidigen, so ist dies kein Anzeichen von Selbstlosigkeit, sondern lediglich die Befriedigung eines „limbischen Bedürfnisses“. Der Angstruf eines Tierjungen oder Säuglings übt einen speziellen Reiz auf das für den Brutpflegetrieb zuständige Zentrum des limbischen Gehirns aus. Was wir als Selbstaufopferung der Mutter zugunsten ihres Jungen/Kindes interpretieren, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer Triebbefriedigung, der Befriedigung des durch den Angstruf ausgelösten „Bemutterungsbedürfnisses“. Diese – beim Menschen besonders hoch entwickelten – Bedürfnisse des limbischen Gehirns rufen eine nervöse Reaktion hervor, die wir als Emotion bezeichnen. Diese Emotion setzt nervöse Energie frei, die benötigt wird, um die zur Befriedigung des Bedürfnisses erforderlichen Aktivitäten durchzuführen.

Die zusätzliche humane Entwicklung des limbischen Gehirns wurde auf irgendeine Weise durch die spezifischen Frustrationen und Ängste angeregt, denen unsere Vorfahren in der afrikanischen Savanne ausgesetzt waren. Ohne besondere Spezialisation und ohne angeborene, natürliche Angriffs- und Verteidigungswaffen ausgestattet, mußte unsere Art andere Fähigkeiten entwickeln, um im Überlebenskampf gegen spezialisiertere und gefährliche Tiere bestehen zu können. Der Mensch war deshalb gezwungen in Rudeln und Horden umherzuschweifen. Das humane Gehirn enthält die Zentren und Bedürfnisse für die Bewältigung typisch menschlicher Empfindungen und Verhaltensweisen: Freundschaft, Zuneigung, Mitleid, Sympathie, Einfühlungsvermögen, Barmherzigkeit, Milde, Großzügigkeit und fürsorgliche Rücksichtnahme gegenüber Kranken, Kindern und Alten.

Unser hochentwickeltes limbisches Gehirn befähigt uns einander, vor allem emotional, zu verstehen. Hier sind unsere positiven humanitären Eigenschaften beheimatet, hier lagern unsere Emotionen, hier können wir Nächstenliebe entwickeln und unser persönliches Glück empfinden, aber erst mit dem In-Erscheinung-Treten des Geistes vollzog sich ein einschneidender Richtungswechsel in der Entwicklungsgeschichte unserer Spezies. Anstatt von Vernunft, unserem gesunden Menschenverstand, geleitet zu werden, geriet unser Verhalten immer mehr unter den Einfluß von aus Wunschdenken entstandenen Überzeugungen, Ideologien, abergläubischen Wahnideen und Vorurteilen. Der Unterschied zwischen beiden Instanzen ist, daß die Vernunft ihre Grenzen hat und diese nur selten irrationale Exzesse zulassen, während die Tätigkeit des Geistes von Natur aus dazu neigt, sich ins Maßlose auszudehnen, das Individuum mit sich fortzureißen und in die Katastrophe zu stürzen.

Der Geist erfand seine eigene Vernunft, seine eigene Logik und seine eigenen Wertmaßstäbe.

Die Entwicklung des Geistes nahm evolutionsgeschichtlich gesehen einen neuen „verhängnisvollen Weg“ vor zehntausend Jahren während der „neolithischen Revolution“. Ackerbau und Viehzucht wurden maßgeblich von der Frau erfunden. Damit hat sie bewiesen, daß sie ein besser entwickeltes limbisches und humanes Gehirn hat, und in der Regel weniger von der Welt des Geistes negativ beeinflußt wird als der Mann. Nur ein Gehirn mit gut funktionierenden Zentren für Hege, Pflege und liebende Fürsorge konnte auf die Idee kommen, Pflanzen und Früchte zu züchten und Tiere zu domestizieren. Durch die Einführung von Ackerbau und Viehzucht gewann der Mensch – aber vor allem der Mann – Freizeit. Bis dahin dürfte die Beschaffung der Nahrung durch Jagen und Sammeln Ganztagsbeschäftigung gewesen sein. Diese freie Zeit nutzte der Mann, namentlich während der Phase der Adoleszenz, um die Phantasiebildungen seines neuen Gehirns auszuspinnen und zu vervollkommnen. Je mehr Freizeit wir haben, desto mehr geben wir uns bekanntlich Tagträumen hin. Vernarrt in die Traumgebilde seines Geistes, sträubte sich der Mann dagegen, erwachsen zu werden, und zog es stattdessen vor, seine Halbwüchsigenmentalität ein Leben lang beizubehalten. Es ist demnach der Mann, den es zu ändern gilt!

Die große Frage, die sich mir als Freimaurer stellt, ist, ob Freimaurerei mit dem Humanitätsideal den Mann zum besseren Menschen erziehen kann und damit vielleicht einen Ausweg aus der Ellenbogengesellschaft anbietet, denn wir Freimaurer stellen ja einen Spiegel der Gesellschaft dar und sind somit auch direkt betroffen.

Ich denke, die Frage kann nicht endgültig mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden, denn mit der Aufnahme in die Loge kann zunächst einmal nur die formale Rahmenbedingung geschaffen werden, an sich zu arbeiten, um vielleicht irgendwann sich selbst zu überwinden und dann ein besserer Mensch zu sein. Nun dürfte dieser Weg dahin wohl der schwierigste sein, denn es sind doch ziemliche Hürden zu nehmen. Der persönliche Charakter des Menschen, der genetisch festgelegt ist, kann nicht verändert werden. Psychologische Inkompetenzen, bedingt durch falsche Erziehung in der Kindheit, spielen genauso eine Rolle wie die gegenwärtige familiäre und materielle Situation. Auf der anderen Seite hat auch jeder Mensch Stärken, und die gilt es nach meiner Auffassung zu fördern. Hier ist meiner Meinung nach der Ansatzpunkt zur Lösung des Problems. Wird ein Mensch individuell gefördert, bekommt er neues Selbstbewußtsein, wächst über sich hinaus und kann damit vielleicht ganz neue Selbsterkenntnisse und Einsichten bekommen, die er vorher gar nicht erfaßt hat. Das brüderliche Gespräch gibt ihm die Möglichkeit, sich zu spiegeln und somit sich selber besser zu erkennen.

Blickt man jedoch die letzten Jahrhunderte zurück, so haben sich auch Freimaurer, abhängig von der jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Situation, politisch opportun verhalten und Minderheiten diskriminiert. Allerdings waren es auch Freimaurer, die menschliches Elend erkannt und durch materielle sowie persönliche Hilfe beseitigt haben; deren humanitäre Projekte und Einrichtungen so pragmatisch umgesetzt waren, daß sie die Jahrhunderte überlebt haben und heute zu selbstverständlichen Einrichtungen geworden sind. Es zeigt sich also, daß Freimaurer letztendlich Menschen sind, die nach humanitären Idealen streben und sicherlich Großes geleistet haben aber die auch an menschlichen Schwächen scheitern können und die somit noch weit entfernt vom Ideal sind. Andererseits haben sie aber gewisse humanitäre Landmarken gesetzt. Freimaurer können nicht die gesellschaftlichen Strukturen verändern, weil sie selber Teil der Gesellschaft sind. Freimaurerei ist auf den einzelnen Menschen gerichtet und kann somit nur individuell wirken. Jedoch kann die daraus resultierende mentale Wandlung und Haltung sich positiv auf das persönliche Umfeld auswirken.

Es stellt sich uns nun die Aufgabe, die Freimaurerei in der Öffentlichkeit trotz zahlreicher Vorurteile besser darzustellen, um Männer zu überzeugen, unserem Bund beizutreten. Dann wäre zumindest ein kleiner Schritt getan, um Männer humaner zu machen und damit einen menschlichen Ausweg aus der Ellenbogengesellschaft zu finden.

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Literatur:

Branko Bokun
Das neue Matriachat
Menschliche Auswege aus der Ellenbogengesellschaft
Ariston Verlag Genf/München 1994
ISBN 3-7205-1813-2

Philippe Thureau-Dangin
Die Ellenbogengesellschaft
Vom zerstörerischen Wesen der Konkurrenz
S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt Main 1998
ISBN 3-10-080019-2