Die Arbeitskraft als Wegwerfprodukt, die möglichen Folgen und der Versuch eines Lösungsansatzes

Kategorie(n): ,

Der Mensch konnte und kann sein Dasein zum überwiegenden Teil nicht durch passive Anpassung an seine natürliche Umgebung sichern. Um zu überleben, muß er von alters her die Umgebung aktiv umgestalten und seinen Bedürfnissen entsprechend herrichten. Er mußte und muß sich mit Bekleidung aus Fellen oder Stoffen oder durch die Anhebung der Temperatur auf ein seinem Organismus angepaßtes Niveau vor Unterkühlung bzw. dem Erfrieren schützen. Er jagte das Wild seiner Umgebung mit Werkzeugen wie Speeren, Pfeilen und Lanzen, zerlegte die Beute mit mehr oder weniger primitiven Schneidwerkzeugen, um sie nach Weiterbehandlung in eine dem menschlichen Organismus zuträgliche Form zu verzehren. Das aufgrund seiner Beschaffenheit notwendige Einwirken des Menschen auf seine vorgefundene natürliche, gleichwohl für ihn feindliche Umwelt gilt als die Urform der Arbeit.

Die heutigen Formen der Arbeit haben mit denen unserer Vorfahren folgendes gemeinsam:

  • a) den Gebrauch von Werkzeugen und
  • b) die Zielstrebigkeit im Sinne einer intellektuellen, früher Beute-, heute Monetär-Ergebnisorientierten Handlungsweise.
  • Die arbeitsähnlichen Handlungen der Nahrungsbeschaffung der Tiere entbehren dagegen der Nutzanwendung des Intellekts mangels ausreichender Ausprägung sowie, von Ausnahmen einmal abgesehen, der Benutzung von Werkzeugen. Die überlebensnotwendige Auseinandersetzung der Gattung Mensch mit der Natur führte schon früh zu einer Arbeitsteilung beispielsweise in Jäger und Treiber, verursacht durch Unterschiede der Körperkraft, der Geschicklichkeit und der Intelligenz. Sie fand ihre Fortsetzung in der Spezialisierung auf bestimmte Arbeitsgebiete, wie die Herstellung von Waffen, Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen auf der einen Seite und der Heranschaffung bzw. Erzeugung von Nahrungsmitteln auf der anderen Seite. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Tausches von Produkten beinhaltet erste primitive Ansätze einer auf wechselseitige Naturalerfüllung abhebende Kommerzialisierung. Parallel zu der vorstehend geschilderten Aufteilung körperlicher Arbeit gesellte sich die Abspaltung der geistigen Arbeit. Der Priester, Medizinmann oder Schamane, der vorgab, durch magische Praktiken oder Beziehungen zu einem höheren Wesen Jagdzug oder Ernte positiv beeinflussen zu können, beanspruchte für seine „geistige“ Tätigkeit einen Teil der Produkte bzw. der Arbeitskraft der Erzeuger. Die Akzeptanz dieser Art von geistiger Tätigkeit durch letztere als Voraussetzung für den Erfolg ihrer körperlichen Arbeit führte zu einer Erhebung dieses Personenkreises als Herrschende über die körperlich Arbeitenden.

    Begünstigt durch die fortschreitende Trennung von Land und Stadt, entwickelte sich im Laufe der Zeit in der Stadt, neben der Verwaltung und dem sich verselbständigenden Handel, das Handwerk. Die Ansammlung von Erträgen durch die Erzeuger aus der Veräusserung von Nahrungsmitteln, die nicht mehr für das eigene Überleben benötigt wurden, sowie die Zunahme der Bevölkerung führte zu einer Ausweitung der Nachfrage nach Konsumgütern, die vom Handwerk in seiner ursprünglichen Form nicht mehr befriedigt werden konnte. Der bisher selbständig produzierende Handwerker ersann eine Produktionsausweitung durch eine nahezu schon industrielle Arbeitsteilung, indem er lohnabhängige Arbeitskräfte einstellte.

    Der Weg über die Manufaktur zur Fabrik war jetzt nicht mehr weit. Die Maschinen, die nach und nach in den Fabriken zum Einsatz kamen, hatten die Aufgabe, durch die Befreiung von körperlich mühsamer und damit zeitaufwendiger Arbeit eine Produktivitätsausweitung und eine daraus resultierende Gewinnmaximierung herbeizuführen. Der Lohnabhängige, der aus Gründen seiner Besitzstandswahrung kaum eine andere Wahl hatte, als diese Entwicklung zu begleiten, nahm durch die Zerteilung seines Aufgabengebietes in immer neue Teilprozesse die Monotonie seiner Tätigkeit, den Verlust seiner Kreativität und Initiative, die Verminderung seiner Qualifikation sowie fließbandbedingte psychische Leiden billigend in Kauf. Gleichwohl waren die sogenannten Lohnabhängigen trotz der negativen Aspekte, die mit ausbeuterischen Tendenzen der herrschenden Arbeitgeber einhergingen, weiterhin bereit, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, was durch die Zuwanderung arbeitsfähiger Menschen aus der Landwirtschaft in die Industriegebiete mit höherem Lohnniveau und Arbeitsplatzsicherheit bewiesen wurde.

    Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, daß zunächst das Überleben, später der materielle Wohlstand des Menschen allein von seiner Arbeitskraft und seiner Bereitschaft sie zu nutzen, abhingen. Die Arbeit ist die Grundlage menschlicher Zivilisation und der Wert des Menschen bemißt sich bei oberflächlicher Betrachtungsweise am Marktwert seiner Arbeitsleistung. Die Frage nach dem Vorhandensein von Arbeit stellte sich in der vorindustriellen und zu Beginn der industriellen Gesellschaft überwiegend nur bei Eintritt höherer Gewalt, da die Maschine sich noch nicht als Arbeisplatzvernichter dargestellt hatte.

    Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts trat ein bisher unbekanntes Phänomen zunächst ansatzweise in Erscheinung. Die immer weiter verfeinerten Maschinen machten die menschliche Arbeitskraft bei einfachen Teilprozessen des Produktionsablaufs in zunehmendem Maße überflüssig. Es kam zu Entlassungen! 1929 im Oktober waren in den USA knapp eine Million Menschen ohne Arbeit; nur zwei Jahre später, im Dezember 1931, zehn Millionen, und auf dem Höhepunkt der Krise im März 1933 zählte man fünfzehn Millionen Arbeitslose. Ursache dieser Ereignisse war die Kurzsichtigkeit der Unternehmer, die offensichtlich die einfachsten Marktmechanismen nicht begriffen hatten, daß eine technologisch herbeigeführte Produktionsausweitung auch eine grössere Konsumentenschicht erfordert. Die Nichtabsetzbarkeit der Produkte führte demzufolge zu einer weiteren Freisetzung von Arbeitskräften, was zwangsläufig zu einer weiteren Verminderung der Kaufkraft führte usw. usw. Henry Ford, der die Unverträglichkeit der zunehmenden Produktivität bei abnehmender Kaufkraft offensichtlich erkannt hatte, verlangte, allerdings ohne erhört zu werden, daß man den Arbeitern genug zahlen müsse, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, die produzierten Güter auch zu erwerben.

    Jeremy Rifkin schreibt hierzu in seinem Buch „DAS ENDE DER ARBEIT und ihre Zukunft“:

    „Unter den Ökonomen verbreitete sich zusehends die Einsicht, daß die technologische Revolution der zwanziger Jahre die Krise herbeigeführt hatte. Produktivität und Produktion seien schneller gewachsen, als die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.“

    Also kein konjunkturelles, sondern ein von den Unternehmern selbst verschuldetes strukturelles Problem.

    Nach 1933 versuchten die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit diversen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit zweifelhaftem Erfolg der Krise Herr zu werden. Es galt den Konsumenten wieder zu Kaufkraft zu verhelfen. Eine nachhaltige Entspannung des Arbeitsmarktes stellte sich erst durch die zunehmende Rüstungsproduktion ein, die nach 1945 aufgrund des sich anbahnenden kalten Krieges, des Vietnamkonfliktes und des Koreakrieges beibehalten wurde. Im Dritten Reich begegnete man der Wirtschaftskrise bekanntlich dadurch, daß man das überzählige Arbeitskräftepotential kurzerhand durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sowie des Reichsarbeitsdienstes abschöpfte und den Produktivitätsüberhang durch die Umstellung auf Kriegswirtschaft kompensierte.

    In der Bundesrepublik Deutschland offenbarte sich das aus den zwanziger Jahren wohl bekannte Problem aus dem Grunde nicht, als der Wiederaufbau unseres zerstörten Landes nicht nur das vorhandene Arbeitskräftepotential voll ausschöpfte, sondern darüberhinaus noch ausländische Gastarbeiter in den Arbeitsprozeß eingliederte. Nach Beendigung der Aufbauphase glaubte man, die einsetzende Arbeitslosigkeit durch konjunkturelle Maßnahmen positiv beeinflussen zu können. Erst der sich nur im begrenzten Maße einstellende Erfolg führte zu der Erkenntnis, daß das menschliche Arbeitspotential in einer automatisierten Welt zunehmend überflüssig wird. Zuerst die Maschine, dann der Automat und demnächst der intelligente Roboter treten an die Stelle der menschlichen Arbeitskraft.

    Nie gehörte Schlagworte, wie post-marktwirtschaftliches Zeitalter oder dritte industrielle Revolution wurden geprägt, die jedoch ebensowenig geeignet sind, die nach Rifkin erforderliche Bemessungsgrundlage des Menschen nach dem Marktwert seiner Arbeitsleistung im Verhältnis zur Gesellschaft neu zu definieren, wie die zum Teil demagogischen Kampfaufrufe gewisser Gewerkschaftler oder die auf Wiederwahl abgestellten, populistischen Reden mancher Politiker.

    Da wir davon ausgehen können, daß in den meisten Industrieländern der überwiegende Teil der Arbeitnehmer mehr oder weniger einfache Routinetätigkeit ausübt, die eine Maschine, ein Automat oder ein Roboter wegen nicht auftretender Lohn- und Lohnnebenkosten sowie Arbeitszeitbegrenzungen und wegen des Ausbleibens von Ermüdungserscheinungen besser und billiger erledigen kann, wird es für den Unternehmer zunehmend unattraktiver, Lohn an Arbeitnehmer zu zahlen, die einer Maschine, wie dargelegt, zweifelos unterlegen sind. Damit ist ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit vorprogrammiert. Der sächsische Ministerpräsident Biedenkopf führt dazu aus, daß in zwanzig Jahren nur noch jeder zweite Arbeitnehmer einen sogenannten „full time job“ haben wird. Sollten wir das Problem nicht in den Griff bekommen, besteht Anlaß zu der Befürchtung, daß es zu einer Polarisierung zwischen den sich mit Abneigung gegenüberstehenden Besitzern von Arbeit, den Fach- und Führungskräften sowie den Unternehmern auf der einen Seite und den in Massen auftretenden, zu sozialem Abstieg verdammten Arbeitslosen auf der anderen Seite kommen wird und zwar mit den sich daraus zwangsläufig ergebenden Spannungen bis hin zur Beseitigung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Was zwecks Vermeidung der prognostizierten Entwicklung von allen gesellschaftsrelevanten Kreisen eingefordert werden muß, ist ein unverzüglicher Grundkonsens des Bemühens der intellektuellen Neudefinition des Arbeitsbegriffes im Verhältnis zur Gesellschaft sowie einer gerechteren Verteilung der Arbeitsmöglichkeiten.

    Gerade im ersten Fall können die Freimaurer zu einer Änderung der Beurteilungskriterien des Menschen am alleinigen Marktwert seiner Arbeitsleistung in der Weise beitragen, daß sie ihr vortreffliches Gedankengut der Nächstenliebe, der Toleranz und der Brüderlichkeit dem überzogenen Profitdenken entgegensetzen und damit dem Leben und der Freizeit eine neue Qualität geben. An der allgegenwärtigen Diskussion über die Arbeitslosigkeit und den offensichtlich nicht mehr funktionierenden Mechanismen des Arbeitsmarktes läßt sich unschwer erkennen, daß die bezahlte Arbeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ihren dominierenden Stellenwert im täglichen Leben zunehmend verlieren wird. Der Arbeitnehmer erlangt dadurch Freiräume für von ihm selbst zu bestimmende Aktivitäten. Hierin liegt unsere Chance, aber auch unsere Verpflichtung.

    Die gerechtere Verteilung der immer knapper werdenden Arbeitsmöglichkeiten läßt sich m. E. nur durch eine ausgewogene Arbeitszeitverkürzung bei angemessenem Lohnverzicht durch die Arbeitnehmer und durch die teilweise Abschöpfung überproportionaler, durch den Einsatz von Maschinen zusätzlich erwirtschafteter Gewinne erreichen, wobei im letzten Fall Rücksicht auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu nehmen ist. Die dadurch erzielten Einnahmen zuzüglich der Arbeitslosenunterstützung und -fürsorge könnten alsdann dafür Verwendung finden, beispielsweise Arbeitslosen im unterbesetzten sozialen oder karikativen Bereich eine neue Aufgabe zu vermitteln. Sie wären dann keine Unterstützungs- bzw. Fürsorgeempfänger mehr, sondern Menschen, die für ihre Arbeitsleistung entlohnt werden, was zweifellos auch zu einer Anhebung ihres Selbstwertgefühles beitragen würde.

    Liebe Brüder, es bleibt nur zu hoffen, daß sich die von Karl Marx 1849 aufgestellte These, wonach der Kapitalismus an der Gegensätzlichkeit zwischen Lohnarbeit und Kapital zerbrechen müsse, nach fast 150 Jahren nicht doch noch als zutreffend erweisen wird.

    * * *

    Quellenverzeichnis:

  • „Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft“ von Jeremy Rifkin
  • „Das große Universallexikon“ Edition Thomas
  • Zeitschrift „Le monde diplomatique“ Ausgabe März 1997
  • „Manager Magazin“ Ausgabe April 1997
  • ,