Einleitung
Die im folgenden zusammengefaßten Gedanken bitte ich, auch wenn dieses nicht noch einmal deutlich erwähnt wird, als meine persönlichen Auffassungen anzusehen. Der Begriff der „inneren Freiheit“ steht für die Suche nach den Grenzbereichen der eigenen Person.
Gedanken zur Idee der „inneren Freiheit“
„Schau in Dich“ ist die Blickrichtung, mit der wir als Lehrlinge unser maurerisches Leben nach der Aufnahme beginnen. Im folgenden möchte ich mich mit einem Aspekt dieser Grundhaltung befassen. Wie sollte ich „innere Freiheit“ erkennen, wenn ich ihre Anwesenheit oder Abwesenheit nicht zuvor schon einmal an mir erfahren hätte? Ich möchte hier keinen geschlossenen Text abliefern, sondern Einfälle und Ideen, die ich bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema gehabt habe; Gedanken zur Idee der „inneren Freiheit“.
Bei dem Gedanken an einen Idealzustand „innere Freiheit“ überkommt mich zunächst ein unbehagliches Gefühl. Mein Blick weist nach innen und schaut in einen dichten Nebel. Nur schemenhaft kann ich Strukturen erkennen. Die Begriffe als solche lassen mich zurückweichen. Die ersten Gedankensplitter sind durch Gefühle geprägt, und ich stelle mir beunruhigende Fragen an mein eigenes Leben. „Innere Freiheit“, wie weit bist Du davon in deinem täglichen Leben entfernt? Ich denke an Menschen, von denen ich glaube, daß sie für dieses Ideal mutig eingetreten sind; die dafür mit Verzicht, Ausgrenzung, Leid und manchmal auch mit dem Tod bezahlen mußten. Ich denke an all die ungenannten und unbekannten inneren Freiheitskämpfer dieser Welt.
Wie gerne würde ich von mir mit Sicherheit behaupten können, über nur eine der Tugenden zu verfügen, die mich dazu befähigen, über so etwas wie innere, persönlich gelebte Freiheit zu verfügen. Vielleicht könnte man dies als den Versuch bezeichnen, so etwas wie ein kleines Stück wirkliche Utopie zu beschreiben: Wirklich, weil ich daran glaube, daß dieses hohe Ideal gelebt und erfahren werden kann. Utopisch, weil die Wirklichkeit komplexer, vielfältiger, widersprüchlicher, manchmal gemeiner und schöner sein kann als jeder noch so tiefsinnige Text. Der Sprecher kann noch so viel Weitsicht und Einsicht haben, letztlich bleiben seine Aussagen in seiner ganz persönlichen Sprache, seinem Wissen, seinen persönlichen Erfahrungen, inneren Bildern und den daraus hervorgehenden Schlüssen verhaftet. Erst im Dialog mit den anderen, wie hier mit meinen Brüdern, erhalte ich die notwendige Chance, mich und meine Gedanken und Überzeugungen zu prüfen; Voraussetzung um wieder auf den Boden des praktischen Lebens zurückzukehren.
Ich habe darüber nachgedacht, ob ich an dieser Stelle auf Menschen hinweise, die beispielhaft „Innere Freiheit“ leben oder gelebt haben. Um es mir und Euch leichter zu machen, verzichte ich auf die Nennung einer wirklichen Person. Ich möchte Euch auf eine bekannte Figur aus der Jugendliteratur aufmerksam machen. Die schwedische Autorin Astrid Lindgren schuf ein kleines Mädchen namens Pippi Langstrumpf. Was macht dieses Mädchen so außergewöhnlich? Nicht ihr auffallendes Äußeres, das ist nur Beiwerk. Entscheidend sind ihre inneren Werte. Sie ist empfindsam und hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Sie äußert mutig ihre Meinung, auch wenn sie damit über die Grenzen der gesellschaftlichen Konvention tritt. Sie weint auf offener Straße, wenn sie traurig ist, und sie setzt ihre Kraft für die Schwachen ein. Sie kämpft mutig für ein freies und abenteuerliches Leben, und sie setzt sich ohne „wenn und aber“ für ihre Freunde ein.
Begriffserklärung
Das Begriffspaar „INNERE FREIHEIT“ wehrt sich gegen eine Aufspaltung: Das Innere als die Form und der Ort, in dem die Freiheit als Eigenschaft eines Menschen stattfindet.
Bei einem analytischen Vorgehen besteht die Gefahr, den Blick für den Sinn des Ganzen zu verlieren. Gleichwohl möchte ich diese beiden Worte zunächst getrennt voneinander betrachten. Dies wird um so nötiger, als die mir bekannten Lexika keine zusammenhängende Definition liefern. Zum Ende meiner Ausführungen werde ich dann beides wieder in einen geschlossenen Sinnzusammenhang stellen.
Doch zunächst einige Erklärungen zum Begriff der Freiheit.
Meyers Lexikon bezeichnet Freiheit als Grundbegriff der praktischen Philosophie und weist auf zwei grundsätzliche Aspekte. Politisch, gesellschaftlich und geschichtlich wird Freiheit vor allem als Abwesenheit äußerer Zwänge und Bindungen verstanden (Man denke an die Befreiung der Sklaven, die bürgerliche Revolution von 1848 oder den Kampf für die Gültigkeit der Menschenrechte in Vergangenheit und Gegenwart). Im Unterschied dazu wird in der Philosophie Entscheidungs- und Willensfreiheit als eine Verhaltensmöglichkeit angesehen, die von äußeren Bedingungen unabhängig ist. Der Mensch ist zur Autonomie fähig.
Nach Jean P. Sartre (Existentialismus) ist Freiheit nicht die Eigenschaft des Menschen sondern seine Substanz. Weil der Mensch frei, ist kann er sich auf ein frei gewähltes Ziel hin entwerfen und von diesem Ziel verkünden lassen, wer er ist. Der Mensch kann sich seiner Freiheit nicht entziehen. Etwas überzogen ausgedrückt, ist Gott demnach eine menschliche Fiktion, die hilft, die Last der Verantwortung für das eigene Denken und Handeln in den Himmel zu projizieren. Die Verantwortung des Menschen für seine Handlungen ist grundlegend.
Das philosophische Wörterbuch beschreibt Freiheit als die Möglichkeit, so zu handeln wie man will. Freiheit ist Willensfreiheit. Der Wille ist seinem Wesen nach stets freier Wille. Aus dem Wesen der Freiheit wird auf die Pflicht des Menschen geschlossen, von dieser nur einen eingeschränkten Gebrauch zu machen. Freiheit braucht notwendig eine sittliche und moralische Wertorientierung. Darin kommt die Verantwortung des Menschen für die Folgen seiner Handlungen zum Ausdruck. Gerade weil er fähig ist zur freien Entscheidung, ist er auch verantwortlich.
Kant sagt, daß der Mensch als Vernunftswesen frei sein kann. Als Sinneswesen, in der Abhängigkeit von Trieben und Affekten, ist er determiniert, dem Kausalgesetz unterworfen (Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der reinen Vernunft). Gerade aus diesem Gebundensein an Triebe und Affekte erwächst die Notwendigkeit, mittels der Vernunft ethisch begründet zu handeln. In einem Aufsatz zum Gedenken an den großen Philosophen umreißt das hanseatische Logenblatt die Kant’sche Freiheitsethik mit folgenden Worten: „Wage es frei zu sein und achte und beschütze die Freiheit aller anderen“.
Der Katechismus der Lehrlinge nach dem Ritual der A.F.u.A.M.v.D. weist unter dem Stichwort „Freiheit“ auf die Eigenschaften, die ein Suchender mitbringen soll. „Der Suchende soll ein freier Mann von gutem Ruf sein“ verlangen die alten Pflichten. Während früher die freie Geburt gemeint war, verstehen wir heute darunter die Fähigkeit, selbständig denken und handeln zu können und die „innere Freiheit“ zu besitzen, die keine Unterwerfung unter Dogmen duldet und von Vorurteilen unabhängig macht. (Seite 17 Lehrgespräche I, Katechismus der Lehrlinge nach dem Ritual der Großloge der A.F.u.A.M.V.D.).
Nun zum Begriff des Inneren.
Das Innere oder die Innenwelt kann als die Gesamtheit des Seelen- und Geisteslebens eines Menschen verstanden werden. Dazu gehören die Gefühle, Stimmungen, Hunger, Durst, Neigungen und Motivationen. Das Wörterbuch der Psychologie führt in diesem Kontext die Begriffe der inneren Wahrnehmung als einer Form des Innewerdens des eigenen Erlebens und Innerlichkeit als die durch das Gemüt und die Emotionen geprägten Erlebnisse einer Person an. Alltagssprachlich wird unter dem Inneren auch das Gewissen und die Seele eines Menschen verstanden.
Die gedachte Trennung zwischen der inneren- und der äußeren Person
Die moderne Psychologie sieht keine klare Trennung mehr zwischen der Innen- und der Außenwelt. So ist der Mensch in der Lage auch Vorstellungen und Denkgegenstände, die im Inneren erzeugt werden als von ihm unabhängige Dinge zu betrachten und sie zum Objekt seiner geistigen Auseinandersetzung zu machen. Danach ist das Innere ein Teil der Psyche des Menschen.
Die Arbeiten von Sigmund Freud haben die Psyche in ihrem Aufbau und in ihren unterschiedlichen Wirkungen grundlegend erforscht. Freud schuf den Begriff des Psychischen Apparates. Dieser unterteilt sich in das ES als Sitz der Triebe, das Über-Ich als Ort des Gewissens und das Ich als Einheit zur Bewältigung der Realität. Das Ich muß fortwährend zwischen den Impulsen aus dem Über-Ich und dem Es vermitteln. Die Aktivitäten der Psyche finden im Bewußtsein, im Überbewußtsein und im Unterbewußtsein statt. Im Laufe seiner Entwicklung muß der Mensch lernen, die in das Unterbewußtsein abgedrängten Konflikte in das Bewußtsein zu holen und zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt wird durch diesen Prozeß die in den Konflikten gebundene psychische Energie frei und verhilft dem Menschen zu einem stabilen, gesunden und erfüllten Leben. Auch wenn es aus wissenschaftlicher Sicht heute klar scheint, daß es keine separierte Innen- und Außenwelt gibt, macht eine gedachte Trennung einen Sinn. Das Innere steht als Symbol für einen Ort, zu dem sich ein Mensch begeben kann, wenn er etwas über sich selbst und sein ganz persönliches Dasein erfahren möchte; vielleicht sogar als einen Ort, an dem er seiner Seele begegnen kann.
Das subjektive Erleben und die „innere Freiheit“
Die Kategorie der Seele als einem bedeutenden Teil des gedachten Inneren kann m.E. nicht bewiesen, sondern nur persönlich geglaubt und subjektiv erfahren werden. Ich kann mir meiner Seele ganz persönlich bewußt werden. Ich kann lernen, auf die Stimme meiner Seele zu achten und lernen, in einen Dialog mit ihr zu gehen, auch wenn es keine objektiven Beweise für ihre Existenz gibt. Ich kann mir die Freiheit nehmen, mein Inneres, meine Seele als Ort meiner persönlichen Wahrheit anzuerkennen. Davon wird mich keine Macht dieser Welt abbringen können. Wenn es eine „innere Freiheit“ gibt, dann eben diese.
Das Gebet und die Meditation sind uralte Praktiken, um den Ort des Inneren aufzusuchen. Auch die Arbeit der Freimaurer im Tempel gehört dazu. Es ist wie eine Hinwendung zu den aus mir aufsteigenden Sinnes- und Seinszuständen. Meines Erachtens gibt es ein unterschiedlich gewichtetes Zusammenspiel von inneren und äußeren Seinszuständen. Entscheidend ist der Blickwinkel, die Perspektive, aus der ich die Welt betrete. Das Innewerden als ein „Sich seiner inneren Stimme öffnen“ darf die Vernunft nicht ausschließen.
„Schau in Dich“
Diese ganz persönlich erfahrene Freiheit und Erkenntnis ist auch nur persönlich gültig. Sie ist nicht in ihrem Inhalt auf andere Menschen übertragbar. Bildlich gesprochen kann ich anderen das Tor auf dem Weg in diese Erlebniswelt zeigen. (Beispiele: alle Extremsportarten wie Bergsteigen, Marathonlauf, Tauchen und Wanderungen durch die Wüste…). Aber die konkrete Erfahrung und die daraus gewonnenen Erkenntnisse haben in unserem Sinne nur subjektive Bedeutung. Der erfahrene Inhalt ist nicht als verbindliche Wahrheit auf alle Menschen übertragbar!
Die im o.g. Sinne verstandene „innere Freiheit“ ist vor allem in Zeiten der äußeren Einschränkung eine wichtige Kraftquelle, die hilft, weiter zu leben (Beispiel: Menschen in Diktaturen, in Gefangenschaft). Der Weg zur inneren Freiheit ist steinig und unangenehm. Sie ist eine Haltung und ein Seinszustand, die der Mensch sich im Laufe seines Lebens erwirbt oder besser erwerben kann. Sie wird nicht mit der Geburt vergeben, sondern nur durch ein bewußtes Leben verliehen. „Innere Freiheit“ heißt sich öffnen, die Schranken der häufig selbst auferlegten Einschränkung überwinden. Es heißt sich vor billigem Opportunismus, gespielter Freundlichkeit und oberflächlicher Nettigkeit im Namen der persönlichen Entwicklung und des persönlichen Wachstums zu bewahren.
„Schau in Dich“ ist der Ausgangspunkt. Ich verliere mich nicht darin, sondern ich beginne bei mir selbst, wenn ich mich im Zusammensein mit meinen Mitmenschen gestört fühle. Ich bearbeite meinen „rauhen Stein“ und nicht den meiner Mitmenschen. Von dort aus entwickle ich eine positive und bewußt gewählte Haltung („innere Freiheit“). Die Kraft dazu erschöpft sich nicht in dem, was ich nicht will, sondern sie bezieht Position und findet ihren Weg in dem, was sie will. So verstanden ist Freiheit, „innere Freiheit“, eine Kraft, die mir den Lebensweg weist. Eine Kraft, die ich in der Arbeit an meinem eigenen „rauhen Stein“ mit den mir zur Verfügung stehenden Werkzeugen immer wieder neu gewinnen muß.
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