Ethik auf dem Prüfstand – eine Entgegnung

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Der nachfolgende Text versteht sich als Kommentar oder Ergänzung zum Beitrag „Ethik auf dem Prüfstand – Über die Operationalisierbarkeit von Ethik und ethischen Postulaten“, zu finden ebenfalls auf dieser Webpage. Es empfiehlt sich, den anderen Text zuerst zu lesen.

I.

Bisweilen muß man sich natürlich schon fragen, was in den Köpfen derer vorgeht, die sich Probleme ausdenken wie das „Schienenwagen-überollt-einen-oder-sogar-fünf-Menschen-“ oder das dubiose „Heinz-Problem.“ Allenfalls geht in den Köpfen derjenigen der Wunsch um, auf diese Fragen endgültige Antworten zu finden – wünschenswert oder nicht. Wäre das Ganze nur halb so makaber, könnte man den Wissenschaftlern mit mildem Spott begegnen, die auch noch empirisch darüber nachsinnen, ob es dieser so tue oder jener anders. Läßt sich Ethik, läßt sich Moral etwa wissenschaftlich verifizieren?

Es würde sich lohnen, zunächst die Begriffe Ethik und Moral näher zu erläutern, doch ist dies eine bibliothekenfüllende Problemstellung. Einen bedeutsamen Unterschied mag es dennoch geben:

Moralisches Verhalten ist, was zu einer gewissen Zeit von einer gewissen Gesellschaft als richtig anerkannt ist, ethisches hingegen, was zu allen Zeiten von allen Gesellschaften als richtig anerkannt wird.

Damit wird eine nähere Betrachtung der Moral nicht notwendig, denn sie trägt heute dieses Kleid und morgen jenes. Sich ihr gegenüber heute zu äußern, scheint vor diesem Hintergrund gewagt, denn morgen wären derartige Worte nur noch Schnee von gestern.

Daher ist die wichtigere Frage die nach der Ethik. Wenn es hierzu aber heißt: „Gesucht: das Gesetz der Ethik,“ so muß anzuzweifeln sein, daß ein solches gefunden wird. Ein Gesetz ist nämlich nur dort, wo es auch umgesetzt werden kann. Da über Ethik nun aber diskutiert werden kann – meinet halber auch diskursiv – wird sie dennoch nur im Diskutierenden selbst umzusetzen sein. Gäbe es hier ein Grundsatzgesetz, gäbe es zugleich keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr – und damit die Frage, wie wünschenswert dies nun wieder sei.

In der Tat scheint es in allen Diskussionen nur um eine ethische Frage zu gehen:

Das Verbot zu töten – und vice versa damit verbunden: das Recht darauf, nicht getötet zu werden.

Dies scheint der einzige ethische Wunsch zu sein, den alle Menschen miteinander teilen. Beschränkt man Ethik auf diese Fragestellung und überläßt alles andere den wundersamen Kapriolen der Moral, so hilft dies durchaus, sich dem Thema in zunächst übersichtlicherer Form anzunähern. Zumindest im Eisenbahnwagen-Modell und allen anderen Analogien wird dann auch deutlich, daß ein derartiger ethischer Imperativ für diese Modelle schlichtweg nicht taugt:

  • Der Handelnde verstößt immer gegen das ethische Prinzip, wenn er aktiv die Weiche schaltet: durch sein Wirken stirbt ein anderer.
  • Der Nichthandelnde verstößt ebenfalls gegen das ethische Prinzip: durch sein Nichtwirken verletzt er das Recht der Gruppe, nicht getötet zu werden.
  • Argumentation des Handelnden: er bewertet das Recht auf Leben Vieler höher als das Recht auf Leben eines Einzelnen. Gegen das ethische Prinzip muß er dabei gleichwohl verstoßen, so daß das Problem letztlich unauflösbar bleiben muß. Wenn es aber unauflösbar ist, so ist dies kein ethisches Problem mehr, da das ethische Prinzip hier nicht greifen kann.

Fragestellungen der Ethik müssen zwangsläufig also andere sein. Darauf ist zurückzukommen.

II.

Dennoch muß der einzelne eine Antwort auf das Problem finden, da es das Feld der Ethik berührt. Die einzige Antwort auf das ethische Prinzip kann hier aber nur die sein, eine Antwort in sich selbst zu finden – und auch selbst mit den Konsequenzen klar zu kommen. Denn im Falle des Eisenbahnwagens ist sowohl der Aktive wie der Passive als unethisch handelnd entlarvt. Solange er aber nicht Ursache für den rollenden Wagen ist, könnte er sich „auf den Willen Gottes“ berufen, auf das Schicksal. Aber auch, ob sich dies als richtig erwies, muß letztlich er selbst mit sich ausmachen. Damit wäre die ethische Frage die des Individuums an sich selbst – und ob sich dies in Gedankenmodellen so oder so entscheidet, kann im realen Fall ganz anders sein. Vielleicht ist es in Modellen wie den skizzierten sogar gut, nicht viel Zeit zum Überlegen zu haben.

Der oben aufgeführten These zur (scheinbaren) Auflösung des Problems durch eine höhere Bewertung des Lebens vieler gegenüber dem eines Einzelnen, entspricht die Fragestellung zum Tyrannenmord: darf ein Tyrann getötet werden, der dieses und jenes verbrochen hat oder der zukünftig derart handeln wird? Wenn uns die Gehirnwissenschaft oder die Spieltheorie doch die Antwort abnehmen könnte! Das ethische Prinzip sagt allenfalls nein und das menschliche Gewissen zweifelt doch beim Aufwiegen des Unglücks vieler gegen das Unglück einzelner.

  • Hans-Georg Elser entschied für sich, daß nur ein Tyrannenmord an Hitler Deutschland und alle seine Einwohner von einem schrecklichem Spuk befreien könnte. Was aber wäre im Falle des Gelingens seines Attentates im Bürgerbräukeller?
  • Es mehren sich die Anzeichen, daß die USA eine unfreundliche Übernahme des Irak betreiben. Zweifellos: einem Saddam Hussein, der mehr als einen Krieg auf dem Kerbholz hat, sein Volk unterdrückt und sogar mit Giftgas bekämpfen läßt, muß wohl kaum eine Träne nachgeweint werden. Aber was kommt danach?

In beiden Fällen wird unterstellt, der Tod des Einen rettete das Leben vieler anderer – gegen ein Ethikpostulat wie oben aufgestellt wird dabei allemal verstoßen, sobald ein Mensch sterben soll. Selbst die Folgen wären sehr ungewiß: wie wäre es einem von etwa Himmler oder Göring regiertem Deutschland ergangen? Und wer stiftet Frieden in den irakischen Diadochenkämpfen, die als Bürgerkrieg nach Saddams Sturz kommen könnten? Wie müßte eine Diskursethik hier greifen? Die Fragen sind offensichtlich.

III.

Süffisanterweise scheint man sich langer Zeit bei der Bundeswehr der unauflösbaren Problematik der Gedankenmodelle wie dem des Güterwagens bedient zu haben – wenn denn das Hörensagen hier zuverlässig ist. So erinnert sich der ein oder andere Wehrdienstverweigerer noch Anfang der 80er an seine Verteidigungsrede im Kreiswehrersatzamt, wie diese damals vielleicht nicht unüblich war.

Verweigerer: Ich verweigere den Wehrdienst aus ethischem Grunde: ich kann und will nicht töten.

Kreiswehrersatzamt (ein Schreckensszenario ausmalend): Was machst Du, wenn ein wilder feindlicher Soldat deinen Vater erschießt, Deine Schwester vor Deinen Augen vergewaltigt, dann die Mutter angreift … etc., etc.

Verweigerer: Ähem, ja, also… etc., etc.

Da auch der normale Verweigerer nun sagen würde „Klar, ich verteidige meine Familie,“ erhält er prompt seine Einberufung, Töten kann er ja offenbar durchaus. Andersherum bliebe ihm ja nur, auf höhere Instanzen zu verweisen und zu sagen, er vertraue darauf, der liebe Gott werde die bösen Buben schon strafen. In diesem Modell ist bereits ein unlösbarer Konflikt angelegt – der Delinquent ist mit dem Erscheinen zum Interview bereits verurteilt. Dies wäre in der Tat kein feiner Zug vom Kreiswehrersatzamt, oder? Eine ethische Antwort auf eine derartige Fragestellung ist nicht möglich – genau derartige Modelle skizzieren nun aber einige Wissenschaftler und so muß die Frage erlaubt sein: wem nützt es? Analysiert man diese Modelle, so sagen die auch einiges über die Entwerfer aus. Denn die primäre Frage ist ja eine Untersuchung des menschlichen Handelns – nicht aber der Ethik. Dies verweist auf einen Grenzbereich zwischen Philosophie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Für letztere steht eine andere Frage im Vordergrund:

„Wie und unter welchen Bedingungen überliste ich einen Einzelnen in seinem Wunsch, nicht getötet zu werden – in der Umkehrung des Verbots, nicht zu töten?“

Praktischen Nutzen hat dies wohl kaum, sieht man von Anwendungen ab, welche die Grauzone menschlichen Verhaltens bereits überschritten haben. Die folgenden Beispiele sind sogar mehr als Gedankenmodelle, obwohl das erste den Versuch macht, diesem Problem empirisch auf den Grund zu gehen.

  • Anfang der 70er tätigte man in den USA das nachfolgende Experiment: Ein Schauspieler wurde auf eine Art elektrischen Stuhl gesetzt, beobachtbar durch eine Glasscheibe, vor dieser ein Stellpult. Auf der Straße wurden Passanten gebeten, gegen ein kleines Entgelt an einem medizinischem Experiment teilzunehmen, in dem sie den Stromzufluß durch den Delinquenten gemäß einer Vorgabe selbst steuern konnten – in immer stärker werdenden Intervallen. Interessant ist hier (a) die Möglichkeit der Reflexion vor dem eigenem Agieren als Täter und (b) der Ausschluß des diskursiven Elementes, es gab keinen Dialog aller Parteien miteinander. Nur wenige lehnten das Experiment ab, die meisten brachen „zwischendrin“ ab, wenn der Delinquent zu sehr schrie, ein Teil war bereit, sehr weit zu gehen. Fazit: „Wenn es seine Ordnung zu haben scheint, bin ich gerne bereit, über meinen Schatten zu springen.“
  • Wie weit deutsche Ärzte im Dritten Reich gingen, ist hinlänglich bekannt. Sie sahen über das ethische Grundprinzip hinweg, weil sie das vermeintliche „Volkswohl“ über das des Einzelnen stellten. Im Ergebnis beteiligten sie sich aktiv am NS-„Euthanasie“-Programm oder an den menschenverachtenden Experimenten in den KZs. Da anzunehmen ist, daß diese „Ärzte“ genügend Zeit hatten, ihr Handeln zu überdenken, mag dies als Beleg dafür gelten, daß nicht erst ein Ausnahmemodell skizziert werden muß, um Menschen zu einer tödlichen Entscheidung zu zwingen. Die Debatte um „Kollektivschuld“ und „vorauseilenden Gehorsam“ der damaligen Deutschen verweist aber auch darauf, daß Ethik in einer Diktatur am stärksten gefährdet, aber auch am schwierigsten umzusetzen ist (Exkurs: wie steht es heutzutage um wissenschaftliche Ethiken, die von finanziellen Fragestellungen abhängig sind. Gibt es hier „freie“ Entscheidungen?)
  • In den 80ern war es in Nicaragua üblich, Jugendliche gewaltsam zu rekrutieren und mit der Pistole an der Stirn zu Folterknechten oder Mördern zu machen. Diese Betrachtung hinsichtlich eines ethischen Prinzips ist in einer Hinsicht unzulässig, in anderer nicht. Denn vor eine Alternative „er-oder-ich“ gestellt gab es keine freie Möglichkeit der Entscheidung – das ethische Prinzip wird so unter Zwang gebrochen. Der den Zwang Ausübende hingegen übt diesen erst nach einer Reflexion aus, die ihm dieses Mittel als notwendig vorgibt. Eigentliche Ursache des Bruchs des ethischen Prinzips ist so eine andere; der Täter selbst wird so auf die Rolle des Eisenbahnwagens degradiert.

Diese „Experimente“ und Erfahrungen rufen uns im Grunde nur eine Warnung zu: uns als Menschen ist letztlich alles zuzutrauen und wovor wir heute zurückschrecken, kann morgen bereits als alltäglich gelten. Dies muß uns bewußt sein, wenn wir als Menschen in humanistischem Geiste in einer lebenswerten Umwelt leben wollen. Eine diskutierte Diskursethik muß also vor dem Hintergrund dieses Wissens von Modellen des „Entscheide-dich-jetzt!“ absehen – und sich statt dessen zukünftigen ethischen Fragen stellen, die eine viel größere Brisanz haben. Damit kehrt sie zugleich jenen Pseudo-Wissenschaftlern den Rücken, die bereits Bekanntes auf eine Art empirischer Basis stellen wollen, den Sinn für bedeutendere Fragestellunge indes gerne übersehen. Langsam erreichen wir somit wieder die Domäne der Philosophie und überlassen Gehirnforschern, Evolutions- und Spieletheoretikern gerne ihr Spielfeld.

IV.

Allem Anschein nach muß eine Diskussion des Ethikbegriffes sich mit den Fällen auseinandersetzen, in denen der Mensch das ethische Prinzip zu brechen bereit ist. Denn dieses scheint jedenfalls in allen (erwachsenen) Menschen bereits vorhanden zu sein. Dennoch brechen Menschen es, weil

  • sie ein anderes Prinzip als höher erachten (Wissenschaft, Volkswohl etc.),
  • sie das ethische Prinzip so oder so brechen würden und sie sich für das vermeintlich kleinere Übel entscheiden (ein Toter oder viele Tote),
  • ein Ausnahmezustand vorherrscht (Krieg, Hungersnot, Zwang von Außen) oder
  • sie schlichtweg Lust an der Macht über das Leben anderer verspüren.

Ein derartiges ethisches Prinzip spricht bislang aber primär das Verhältnis eines Einzelnen zu anderen an. Gibt es eine Erweiterung des Prinzips, welches die Perspektive eines Einzelnen sprengt?

V.

Vielleicht liefert uns Friedrich Dürrenmatt ein Beispiel aus der Wissenschaft. In seinem Drama „Die Physiker“ sitzt ein Erfinder (vermutlich der Atombombe) in einer Irrenanstalt und simuliert einen Wahnsinnigen: er will verhindern, daß die Erfindung umgesetzt wird, da er die Konsequenzen fürchtet. Zuletzt bleibt sein Unterfangen durch Erfolglosigkeit gekrönt, die Anstaltschefin brennt mit seinen Plänen durch. Das ethische Problem ist kein Individuelles mehr, es ist ein gesellschaftliches. Im Gegensatz zu dem Problem des Tyrannenmordes muß der Wissenschaftler niemanden töten – um aber das Recht auf Leben vieler ihm Unbekannter zu schützen, hält er es für weiser, sich derart unweise zu benehmen, daß er die Anstalt aufzusuchen hat. Damit ist eine ganz eigene ethische Sparte eröffnet, die mehr als Fallbeispiele wie das Waggon-Modell dazu geeignet ist, Diskursethik zu betreiben. Zu erreichen ist diese über eine Art ethischem Stufenprinzip:

  1. Ein erster Schritt verweist auf die Verantwortung des Einzelnen gegenüber einem Recht auf Leben der anderen. Wir sehen dies in den religiösen Geboten, in Verfassungen oder unserem Grundgesetz versinnbildlicht. Oben wird dies – in einer unlösbaren Form – durch das Waggon-Modell thematisiert.
  2. Ein weiterer stellt das Problem des Physikers dar – die Verantwortung des Einzelnen gegenüber Gruppen oder Gesellschaften. In einer anderen Hinsicht war eben dies nicht die Frage einer oligarchischen NS-Führung gegenüber beispielsweise den Juden. Dies betrifft also innerstaatliche Ethik
  3. In einem letzten Schritt stellt sich die Frage hinsichtlich der Verantwortung von Gruppen oder Gesellschaften gegenüber anderen Gruppen oder Gesellschaften. Jenseits von Spieltheorie und Gehirnforschung ist dies die Domäne der Zukunftsforschung. Sie betrifft interstaatliche oder globale Problemstellungen, die alle Erdenbürger betreffen.

Ein berühmtes philosophisches Denkmodell ist jenes vom Rettungsboot Erde. Dies entspricht auf dem ersten Blick den Waggon-überrollt-einen-oder-fünf-Menschen-also-entscheide-dich-Modellen, weist tatsächlich aber weit darüber hinaus. Um es nur kurz zu skizzieren: nach einem Schiffsunglück befinden sich fünf Personen auf einem Rettungsboot, darunter der Kapitän, der als einziger die Navigation beherrscht. Das Trinkwasser reicht aber nur für vier Personen, alternativ würden alle verdursten. Die Insassen einigen sich (wie auch immer) darauf, wer über Bord muß – und es geschieht so. Das Modell in einer Variation: vor einer Einigung kommt es zum Eklat, einer der Insassen ist bewaffnet, er will nicht an der Auslosung teilnehmen. Es kommt zum Kampf und man setzt ihn über Bord. Die Analogie des Rettungsbootes ist offensichtlich, es ist die Erde. Berechnet man das jetzige Bevölkerungswachstum einige Jahrzehnte voraus und stellt die Entwicklung der Trinkwasser- und Nahrungsressourcen zur Seite, so ist ein dramatischer Konflikt offensichtlich. Natürlich würde sich der Westen lieber als Kapitän sehen, der noch gebraucht wird, was aber mit den anderen Insassen? Wer von ihnen darf über Bord gehen – und was, wenn er sich wehrt? Der afrikanische Mitreisende oder lieber der Asiate, oder… ?

Die ganz andere Dimension der Ethik ist damit nicht die des „Wie-würdest-Du-entscheiden“ sondern der Versuch, diese Frage gar nicht erst zu stellen.

Wenn das Problem erst da ist, ist es für eine Lösung längst zu spät – eine ethisch vertretbare ist dann ausgeschlossen. Dies wird auch zum Problem der Entscheidungsfinder und Spielthoretiker: mit einer Einzelentscheidung sind derartige Probleme nicht zu lösen, dies sind Dialogprozesse, die über Jahre – und äußerst diskursiv – durchgeführt werden wollen. Auch sind diese Entscheidungsprozesse welche unter Institutionen, nicht unter Individuen.

Zu den aktiven Feldern einer Diskursethik zählen von daher Krisenverhinderungen statt Krisenbekämpfungen.

Die Wissenschaft hat sich von daher den empirisch drohenden Problemen zu widmen, beispielsweise: Erderwärmung und Anstieg des Meerespegels, Bevölkerungswachstum und Krankheiten, der Kriegs- und Konfliktforschung, der globalen Armut, dem Analphabetentum. Deren Ergebnisse wären dann Grundlagen einer Diskursethik, die das Wohl aller zum Ziel haben muß.

Es stellt sich auch die Frage, inwieweit etwa eine Besiedelung des Alls wirklich notwendig ist, solange die irdischen Probleme noch nicht hinreichend gelöst sind. Da das in ein derartiges Projekt investierte Geld in der Priorität bedeutenderen Projekten fehlt, muß eine Diskursethik auch den Mut finden, solche Mißstände anzuprangern. Auch sind im Falle der Weltraumeroberung bedeutende Geister involviert, die sich durchaus auch in anderen Feldern bewähren könnten – in also effektiv wichtigeren Gebieten.

Ein ethischer Imperativ bezöge sich auf vermeintlich steuerbare Ereignisse der Zukunft: stellte ich einen Bremsschuh vor den Eisenbahnwagen, so führe er gar nicht erst los. Ansonsten stellen sich zunehmend unangenehmere Fragen: Wenn er losgefahren ist, wie bremse ich ihn, bevor er Schaden anrichtet? Wenn er auf jeden Fall schaden anrichtet, wie minimiere ich diesen? Wie begegne ich den Konsequenzen eines Unfalls für andere, wenn der Inhalt des Wagens für diese eine Gefahr darstellt (hochexplosiver Kesselwagen)? Auf die global-menschliche Problematik bezogen sind eine Menge an Güterzügen steuerlos unterwegs, von denen ein Einzelner wenig weiß, die aber auch ihn indirekt betreffen.

Folge eines derartig erweitert gefaßten Ethikverständnisses einer Verantwortung einer Gesellschaft für sich selbst und andere wäre auch der eigene Schutz der Gesellschaft und der in ihr vereinigten Individuen.

Damit gelangen wir zum Ausgangspunkt der Betrachtung: das Respektieren des Rechtes auf Leben anderer schützt mein eigenes Recht, nicht (direkt oder indirekt) getötet zu werden. Ob dies nun ein ethisches Gesetz ist? Wer weiß, dennoch sei daran erinnert, daß stabile Staaten nach innen hin versuchen, das Recht ihrer Bürger auf Leben zu verteidigen – mittels Polizei und Justiz. Der Mechanismus arbeitet in kleinerem Rahmen bereits.

VI.

Wir haben oben behauptet, Fragen der Ethik betreffen nicht die in etwa dem Waggon-Modell bezeichnete Problematik. Wir behaupten dies weiterhin und geben einen Grund mit auf den Weg. Ethische Fragen betreffen nur die Problemstellungen, die VOR akuten Gefahren verifizierbar sind. Nur in diesem Fall kann man sich um eine Lösung bemühen, die das Recht auf Leben aller berücksichtigt und auch umsetzt. In allen anderen Fällen stehen Entscheidungen an, die das Prinzip der Ethik auf jeden Fall bedrohen. Ethisches Handeln meint also, Verletzungen des ethischen Prinzips vorzubeugen.

VII.

An anderer Stelle haben wir über den kantischen Weltbürger diskutiert. Wohlan: dieser hat neben Rechten auch – Pflichten. Das aktive Reflektieren des ethischen Prinzips sowie ein entsprechendes Handeln gehören dazu.

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