Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Perspektiven
Zeichnung von Br. T. E.
Die Wahl des Gegenstandes meiner heutigen Ausführungen ist erwachsen aus meinem Wunsch, die beiden intellektuell prägendsten Einflüsse auf mein Leben einmal systematisch und vergleichend zu untersuchen. Mir ging es darum herauszufinden, was mich jeweils fasziniert, was mir – warum – besonders wertvoll erscheint und auf welche Art und Weise Buddhismus und Freimaurerei in mir zusammenwirken oder zumindest: zusammenwirken könnten. Über die Königliche Kunst muss ich an dieser Stelle keine allgemeinen Worte verlieren. Bevor ich aber anfange zu vergleichen, Bezüge herzustellen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, möchte ich doch einleitend etwas dazu sagen, was Buddhismus ist und wie ich persönlich den Buddhismus sehe und praktiziere:
I. Allgemeine Einführung in den Buddhismus
1. Geschichte, Verbreitung, Schulen
Siddharta Gautama, aus dem Geschlecht der Shakya, lebte und wirkte im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus. Der Name Buddha bedeutet lediglich der Erleuchtete und bezeichnet im buddhistischen Sinne auch andere Personen, die die Erleuchtung erlangt haben. Die Lehrreden des Buddha wurden nach seinem Tod aufgezeichnet und sind bis heute sehr authentisch überliefert worden. Ich denke, dass es keine zweite (Welt-) Religion gibt, die noch heute derartig unmittelbar und umfangreich den Worten ihres Gründers folgen kann: Weit über tausend Lehrreden stehen dem Interessierten zu diesem Zweck zur Verfügung. Nichtsdestotrotz hat auch der Buddhismus eine Aufspaltung in verschiedene Schulen und Richtungen erlebt, die teilweise zueinander ein durchaus konkurrierendes Verhältnis entwickeln können. Die wesentlichste Unterscheidung ist die zwischen Hinayana und Mahayana. Dazu der Brockhaus:
Der Mahayanabuddhismus wurde die eigentliche buddhistische Weltreligion. Er kam den religiösen Bedürfnissen des Volkes eher entgegen (größere Anschaulichkeit der religiösen Bilder, eine Vielzahl von Kulten und Riten), zudem versprach er allen Menschen die Erlösung […]. Im Unterschied dazu blieb der Hinayanabuddhismus in seinen Grundsätzen eine Asketen- und Mönchsreligion […].
Brockhaus
Diesen Charakteristika entsprechend wird der Mahayanabuddhismus auch als großes Fahrzeug bezeichnet, während der Hinayanabuddhismus demgegenüber das sog. kleine Fahrzeug darstellt. Innerhalb dieser großen Strömungen existieren dann die einzelnen Schulen – oder: Traditionen – , die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Hier ist insbesondere der Lamaismus – als tibetische Form des Buddhismus – zu nennen, der zum Mahayana, also zum großen Fahrzeug, zählt und vergleichsweise volkstümlich ist. Die führende Tradition im Hinayana ist das Theravada – wozu auch ich mich zähle. Es ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass es sich sehr stark auf die ursprünglichen buddhistischen Quellen und also auch auf die ursprüngliche buddhistische Lehre konzentriert. Das japanische Zen würde ich irgendwo zwischen diesen beiden Polen ansiedeln wollen. Daneben gibt es fast unendlich viele weitere Schulen und Richtungen, was insbesondere aus der besonderen Flexibilität des Buddhismus resultiert: Der Buddhismus ist keine Ausschließlichkeitsreligion, die bedingungslos an einem fest gefügten dogmatischen Kanon festhält, sondern er ordnet auch seine eigene Existenz und Ausgestaltung dem primären buddhistischen Ziel unter, das menschliche Leid zu verringern, also: heilsam zu sein. Aufgrund dieser Prioritätensetzung und mangels einer mächtigen Kirchenorganisation hat sich der Buddhismus mit seiner Verbreitung immer auch den landestypischen, kulturellen Gegebenheiten angepasst. Vieles wurde übernommen, manches wurde in der Praxis verdrängt, wenig wurde abgelehnt. Entweder, alte und neue Religion koexistierten, oder sie verschmolzen.
Ich möchte mich im Folgenden ausschließlich auf die vergleichende Darstellung der ursprünglichen buddhistischen Lehre – dem inhaltlichen Kern aller buddhistischen Schulen – konzentrieren.
2. Kernaussagen
Auch hier – einleitend – der Brockhaus: Buddhismus, die von Buddha im 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. im nördlichen Indien gestiftete religiös-philosophische Lehre; ursprünglich als geistig-seelisches Heilverfahren, ohne die Absicht, eine philosophische Erklärung von Mensch und Welt geben zu wollen, gedacht, wurde der Buddhismus erst später zu metaphysischen und religiösen Systemen ausgebaut. – Ende es Zitates.
Ausgangspunkt der buddhistischen Lehre sind die sog. Vier edlen Wahrheiten, hier wiedergegeben in leicht modernisierter Sprache und Fassung:
- Das Leben ist leidvoll, denn alles ist bedingt, kausal verursacht, nichts ist absolut frei, alles gehorcht absoluten Gesetzen, nichts gehorcht unserem Willen.
- Ursache des Leides sind Gier, Hass und Verblendung. Gier meint jedes Habenwollen, Hass meine jede Form und Intensität der Ablehnung. Gier und Hass, Habenwollen und Ablehnung resultieren immer aus Verblendung. Sie schaffen eine Diskrepanz zwischen Ist und Soll, die ungewollt – und damit leidhaft – ist.
- Der Weg zur Leidfreiheit führt über die Aufhebung von Gier, Hass und Verblendung.
- Diesen Weg hat der Buddha konkretisiert im edlen achtfachen Pfad, der eine detaillierte und komplexe Anleitung für die buddhistische Praxis enthält.
Diese vier edlen Wahrheiten enthalten eigentlich die ganze buddhistische Lehre. Nicht wir gestalten die Welt, sondern die Welt gestaltet uns. Die uns begegnenden Dinge sind nicht objektiv gut oder schlecht, sondern wir definieren sie entsprechend. Wir sind getrieben von Wünschen, Hoffnungen und Ängsten und unsere Gefühle resultieren aus dem Verhältnis, in dem die äußeren Ereignisse zu unseren Zielen und Werten stehen. Wenn wir nur nach draußen sehen und die Welt verändern wollen, damit sie in unsere Schemata passt, dann gleichen wir der Maus in einem Laufrad, die endlos rennt, ohne jemals ein Ziel erreichen zu können. Jedem Wunsch folgt ein neuer Wunsch, jeder Angst folgt eine neue Angst. Nichts bleibt wie es ist, alles fließt in jedem Moment; nichts können wir festhalten, alles wird eines Tages wieder vergehen. Auch das kann man als positiv definieren, als das Leben, das man nur annehmen müsse – aber letztlich ist man ohne Ausweg so lange unfrei – und deshalb im buddhistischen Sinne leidend – wie man sein Glück an äußere Ereignisse kettet, die man selbst nur unzureichend kontrollieren kann.
Dabei liegt der buddhistische Ausweg sehr nah. Wenn unsere Gefühle – auch die negativen – aus der Diskrepanz zwischen Ist und Soll resultieren, wir das Ist aber nur sehr begrenzt verändern können, dann müssen wir vielmehr an unserem Denken, an unseren Erwartungen, an unseren Werten arbeiten, um Harmonie zu erreichen. Da es eine objektive Wahrheit nicht gibt, sollte für uns wahr sein, was heilsam ist, was also hilft, Leid zu überwinden.
II. Vergleichende Betrachtungen
1. Im Mittelpunkt: Der Mensch
Der Buddhismus geht davon aus, dass es allgemeine Gesetzmäßigkeiten gibt, Naturgesetze, die nicht nur im naturwissenschaftlichen Sinne das Verhalten unserer Umwelt bestimmen, sondern dass es ebenso Gesetze für menschliches Verhalten und Empfinden gibt und dass diese gesetzmäßigen Subsysteme wiederum gesetzmäßig miteinander verbunden sind. Davon ausgehend konstatiert der Buddhismus dem Menschen primär ein Erkenntnisproblem: Der wichtigste Schritt nach vorn liegt darin, die Welt zu erkennen, wie sie ist, wie sie wirklich ist. Daraus ergibt alles Weitere. Insofern versteht sich die buddhistische Lehre als Hilfe, als Instrument, um neue Erkenntnisse zu erlangen und die menschlichen Begrenztheiten zu überwinden. Buddhismus ist deshalb weitgehend Psychologie, genauer: Erkenntnistheorie. Deshalb steht im Zentrum der buddhistischen Lehre der Mensch im universalen Sinne, diskutiert als strebendes und irrendes Individuum. Auch in der Freimaurerei steht der Mensch im Mittelpunkt. Allerdings ist der Ausgangspunkt ein ganz anderer: Während der Buddhismus allgemeine Gesetze und deren Erkennbarkeit voraussetzt, ist der Freimaurerei – im Grundsatz – kein vergleichbarer Anspruch eigen. Sie ruht zwar auf der Grundlage, dass ein friedliches Miteinander nur möglich ist in Freiheit und Toleranz, basierend auf gegenseitigem Respekt und unveräußerlichen Rechten, darüber hinaus ist sie aber weitgehend frei von absoluten Aussagen und will vielmehr den Freiraum des Einzelnen schützen, insbesondere in politischen und religiösen Dingen. Auch aus diesem Grund wird in freimaurerischen Logen weder über Politik noch über Religion diskutiert. Die Logenmitglieder sollen sich vielmehr als Menschen begegnen, unabhängig von weltanschaulichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen und Standards. Leitidee ist die Gleichwertigkeit des Menschen in Vielheit; die Erkenntnis, dass jeder seinen Teil zum Ganzen beitragen kann und dass es sich immer lohnt, auf den anderen zuzugehen, um ihn und seine Ansichten zu verstehen. Insofern versucht auch die Freimaurerei – wie der Buddhismus – den versteckten Kern des Menschen, das menschlich Universale, freizulegen und zu stärken.
2. Das Ziel: menschliche Entwicklung
Der Einzelne, der in beiden „Systemen“ im Mittelpunkt steht, soll sich entwickeln, vervollkommnen. Wie es der Begriff der Vervollkommnung impliziert, gibt es dabei durchaus Ideale, die als Maßstäbe herangezogen werden können. Im freimaurerischen Kontext spricht man hier von der Sittlichkeit, im buddhistischen Zusammenhang von der Leidfreiheit. Während der Freimaurer – als Hauptzweck – sittlich reifen soll und das private Glück als Nebenprodukt erscheint, sieht der Buddhist die sittliche Entwicklung als wichtiges Hilfsmittel oder als notwendigen Zwischenschritt auf dem Weg zum – durchaus privaten! – Glück, hier verstanden als Leidfreiheit. In dieser kausalen Folge von Reifung respektive Erkenntnis und Glück, die in beiden Zusammenhängen im Grundsatz anerkannt wird, setzen Buddhismus und Freimaurerei also verschiedene Schwerpunkte, ohne sich direkt zu widersprechen.
3. Die Praxis: Erkenntnis und Übung
Unterschiedlicher als die vorangegangenen Punkte sind die Wege, die Buddhismus und Freimaurerei als Entwicklungsperspektive anbieten. Zwar kennen beide Geistesschulen das Ritual, dessen Bedeutung ist in der Freimaurerei aber ungleich größer. Hier nimmt es die zentrale Rolle ein, humanistische Werte zu vermitteln, den Zusammenhalt und das Vertrauen in der Loge zu stärken und gemeinsame Begrifflichkeiten zu definieren. Umgekehrt liegen die Dinge hinsichtlich meditativer, kontemplativer Elemente. Zwar ist auch das freimaurerische Ritual mit verschiedenen Möglichkeiten zur Besinnung und Beruhigung versehen, die Bedeutung der Meditation ist aber im Buddhismus überragend.
Keine eindeutigen – und vergleichenden – Aussagen kann man zu dem Aspekt der intellektuellen, diskursiven Arbeit machen. Der Umfang von Literaturstudium, Vortragspräsentation und -rezeption sowie freier Diskussion schwankt stark von Gruppe zu Gruppe, bei Freimaurern wie bei Buddhisten. Eine buddhistische Erlösung ist theoretisch auch ohne großartige Geistesarbeit möglich. Ebenso gilt für die Freimaurerei, dass die angestrebte sittliche Entwicklung nicht zwingend der philosophischen Studien bedarf. Hier gilt aber wieder, dass jeder seinen eigenen Weg gehen und selber entscheiden muss, welche Praxisformen ihn am meisten berühren und bereichern.
Ein sehr starker Unterschied in der Praxis ergibt sich in der Betrachtung des sozialen Faktors. Während man Buddhismus auch gänzlich alleine betreiben kann, setzt die Freimaurerei zwingend das soziale Gefüge einer Loge voraus. Nicht nur, dass das Ritual ohne Helfer nicht durchzuführen ist. Viel wichtiger: Die Erfahrung der Toleranz, der Brüderlichkeit ist ohne andere Logenmitglieder, die sich in diesem Sinne vorbildlich verhalten, gar nicht möglich. Worte oder Texte über das vertrauens- und liebevolle Miteinanderumgehen innerhalb einer freimaurerischen Loge sind ohne jeden Wert, wenn die tatsächliche Erfahrung den theoretischen Ansprüchen nicht genügt. Eine zerstrittene Loge ist nicht nur zerstritten, sondern sie funktioniert ganz einfach nicht, ist im freimaurerischen Sinne nahezu nutzlos. Nur das Erlebnis einer harmonischen Loge, die soziale, intellektuelle und sonstige Unterschiede nahezu spielerisch überwindet, kann den beeindruckenden „Aha-Effekt“ auslösen, der erst die Hoffnung auf eine Besserung des Menschen – im Allgemeinen wie im Besonderen – zu begründen vermag.
4. Die Ethik: Respekt und Toleranz
Eben habe ich die buddhistische oder freimaurerische Praxis als Erkenntnis- und Entwicklungsweg beschrieben. Daneben gibt es aber ja auch noch den Alltag, wo man sich ebenfalls bewähren muss. Ein Geistestraining, das nur innerhalb eines buddhistischen Meditationsraumes oder innerhalb eines Logenhauses Wirkung zeitigt, wäre von sehr begrenztem Wert. Zum einen sollte vielmehr die befreiende und beglückende Wirkung für den Einzelnen auch „mitnehmbar“ sein, im Sinne einer gewissen Dauerhaftigkeit; zum anderen ergeben sich aus der buddhistischen Lehre und der freimaurerischen Praxis und Werteordnung aber auch Konsequenzen für das soziale Miteinander im profanen Bereich. Auch hier ist der buddhistische Ausgangspunkt die Erkenntnis, dass die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten zu unvollkommen sind, um zu absoluter Wahrheit gelangen zu können. Jeder Mensch spiegelt seine Erfahrungen in seinen Werten und lebt und erlebt sich in seiner eigenen, individuellen Welt und Wirklichkeit. Wenn wir auf unsere Meinungen aber keinen Objektivitätsanspruch erheben können, dann ist es auch nicht gerechtfertigt, die Freiheit anderer einzuengen und so deren persönliche Entwicklung zu gefährden. Deshalb lautet die oberste ethische Regel im Buddhismus, andere nicht zu verletzen. Dieser Ausspruch ist weit zu verstehen. Er umfasst beispielsweise das Töten, das Stehlen, sexuelles Fehlverhalten und grobe Worte. Er umfasst ferner auch die Tier- und letztlich sogar die Pflanzenwelt.
Für den Freimaurer heißt es in den Alten Pflichten: „Du sollst so handeln, wie es sich für einen anständigen und klugen Menschen gehört.“ Im Sinne der freimaurerischen Grundwerte muss hier insbesondere der Toleranzgedanke betont werden: Der Freimaurer soll nicht nur in der Loge tolerant sein, nein, die Loge ist auch ein Toleranztrainingsplatz, für ein toleranteres Auftreten im Alltag. Der Respekt vor der Meinung anderer wird hier also weniger erkenntnistheoretisch abgeleitet, sondern ist vielmehr ein Kind der Zeit und der freimaurerischen Organisationsform, namentlich ein Kind des aufgeklärten Humanismus‘. Die Toleranz als sittlichem Gebot resultiert so insbesondere aus dem Geltungsanspruch einer unveräußerlichen Menschenwürde.
Insofern kann festgestellt werden, dass der Buddhismus über das ausgefeiltere System von Verhaltensregeln verfügt, was aber meines Erachtens nur seinem Status als Weltanschauung angemessen ist. Die Freimaurerei hingegen ist noch stärker als der Buddhismus nach innen gewandt und betont die Freiheit des Individuums. Auch hier obliegt es wieder in beiden Fällen dem Einzelnen, selbst zu entscheiden, an welchen sittlichen Maßstäben er sich messen will.
5. Das Menschenbild: Nur Liebe kann den Hass besiegen.
Eine Grundlage für Toleranz ist Vertrauen, innerhalb wie außerhalb der Loge. Erwarte ich von dem anderen Böses, so kann ich ihm kaum tolerant oder gar freundlich gegenübertreten. Hier berühren sich Buddhismus und Freimaurerei wieder. Ein wesentliches Element buddhistischer Praxis ist die intellektuelle wie meditative Arbeit an der Erkenntnis, dass der Mensch im Grunde gut ist, dass er auch gut sein möchte, und dass entweder ich sein Verhalten falsch bewerte oder aber dass die andere Seite selbst irrt und leidet. Keinesfalls aber ist es sinnvoll, konfrontativ zu antworten. Dazu sagte Buddha:
„Noch nie in dieser Welt,
Buddha
Hat Hass gestillt den Hass.
Nur Liebe stillt den Hass.
Dies ist ein ewiges Gesetz.“
Der Buddhismus geht davon aus, dass wir nicht miteinander um das Glück konkurrieren und es uns in diesem Sinne gegenseitig wegnehmen können und müssen, sondern er setzt dagegen die These, dass es uns glücklich macht, andere glücklich zu machen, und dass es auch dem Glück anderer dient, selbst glücklich zu sein. So sieht der Buddhismus alle Menschen in einem konstruktiven Kooperationsverhältnis, das es zu erkennen gilt. Wer mich schlecht behandelt, schädigt sich selbst, denn er irrt und leidet und bedarf nicht meiner Rache, sondern meiner Hilfe.
Weniger theorielastig kann ein Freimaurer in seiner Loge Erfahrungen machen, die ihn bestenfalls zu ähnlichen Erkenntnissen führen. Durch den besonderen Bundescharakter werden neu aufgenommene Mitglieder so willkommen geheißen, akzeptiert, respektiert und behandelt, als wären sie tatsächlich Brüder. Ohne dass man sich langfristig kennen gelernt und Investitionen in die Beziehung getätigt hat, kann man sich plötzlich in sehr warmherzigen Beziehungen wieder finden, die daraus resultieren, dass quasi per Definition oder traditioneller Übung ein unbeschränktes gegenseitiges Vertrauen in die Aufrichtigkeit und in das Wohlwollen des anderen herrscht. Allein dieses Vertrauen in das Gute im Menschen gegenüber verändert Art und Wert einer zwischenmenschlichen Beziehung gravierend.
Die Schwierigkeit im Buddhismus ist es, dieses Menschenbild zu entwickeln und dann in den Alltag mitzunehmen und einseitig auf Dritte anzuwenden. Hier hat die Freimaurerei einen entscheidenden Vorteil: Durch ihre Organisation als Initiationsbund, gegliedert in vergleichsweise kleine Logen, kann sie im Kleinen Probieren, was im Großen schwer fällt. Sie kann die Ausgangsthese beweisen, ohne den Einzelnen zu überfordern. Sie bildet – mal wieder – ein ideales Trainingsgelände für sozial-philosophische Betrachtungen, die sich dann mittelfristig auch weiterentwickeln und auf die profane Welt übertragen lassen.
6. Der Geltungsanspruch: Kein Eifer
Buddhismus und Freimaurerei kennen – als Lehrgebäude – keinen missionarischen Eifer. Jeder ist frei darin, den buddhistischen Weg zu gehen. Der Buddha hat seinen Schülern nur das Angebot gemacht, ihm zu folgen. Wer das materialistische Alltagsleben nicht als unbefriedigend empfindet und sich deshalb auf die Suche macht, der ist nicht motiviert, sich davon zu lösen. Es ist nicht das Ziel des Buddhismus, möglichst viele Menschen zu erreichen und – irgendwie – zu befreien oder zu erlösen. Der Buddhismus will nur eine ganz bestimmte Antwort auf eine ganz bestimmte Frage sein, nämlich die nach der Möglichkeit einer Überwindung der Welt, wie wir sie typischerweise erleben – ohne sich dabei von der Welt abzukehren, im Gegenteil: der buddhistische Weg kann zu einer viel besseren, intensiveren und freudvolleren, optimistischeren Weltwahrnehmung führen. Dennoch, der Buddhismus geht davon aus, dass man niemanden beglücken kann, der nicht beglückt werden möchte. Oder noch weiter: Wie in der Freimaurerei muss auch im Buddhismus die eigentliche Arbeit jeder selbst – und an sich selbst – leisten.
Ebenso versteht sich die Freimaurerei nur als Angebot – ein Angebot für Suchende, für Menschen, die einen Mangel verspüren. Wer – nach seiner Definition und nach seinem Empfinden – glücklich und zufrieden ist, der wird nie nach neuen Wegen und Perspektiven suchen und deshalb wahrscheinlich auch nie die Freimaurerei – oder andere Entwicklungspfade – finden. Und wenn er auf sie trifft, dann könnte seine etwaige Neugier schnell von vorschnellen Urteilen und anderen Interessen verdrängt werden. Obwohl die Freimaurerei durchaus den Anspruch hat, das Leben eines Menschen bereichern zu können, will sie niemanden überzeugen, denn wer wirklich überzeugt werden müsste, der kann gar nicht überzeugt werden. Grundvoraussetzung ist insofern immer ein Suchender, der von sich aus sucht, der einen Mangel verspürt, der etwas verändern möchte, und der bestenfalls bereits erkannt hat, dass er sich verändern muss, will er überhaupt substanzielle Veränderungen seines Lebens herbeiführen. Das Fehlen einer aktiven Verbreitungstendenz ist eine weitere Parallele, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte: Ob eine Schule sich zielgerichtet verbreiten möchte oder eben nicht, das hat meines Erachtens gravierende Konsequenzen und macht deshalb einen großen Unterschied aus.
III. Zusammenfassung
1. Gemeinsamkeiten
Buddhismus und Freimaurerei stellen beide den Menschen in den Mittelpunkt von Theorie und Praxis und nehmen seine Entwicklung als Maßstab. Beide Systeme wollen primär dem einzelnen Menschen helfen, sekundär seiner näheren Umgebung und erst an dritter Stelle der Gesellschaft insgesamt. Deshalb sind auch Buddhismus und Maurerei frei von missionarischen Anwandlungen. Leitidee ist in beiden Fällen das Erkenne Dich selbst! Nur indem wir uns selbst erkennen, verstehen wir andere und die Welt.
2. Unterschiede
Anders als der Buddhismus nimmt die Freimaurerei nicht für sich in Anspruch, universale Gesetze zu kennen, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen können. Sie setzt zwar bestimmte ethisch-moralische Standards und Ideale voraus, die sie als sinnvoll oder gar notwendig für eine gedeihliche menschliche und gesellschaftliche Entwicklung definiert, darüber hinaus schützt sie aber die Privatheit als Raum der Freiheit und Individualität. Der Buddhismus steht dem keineswegs entgegen, hat aber den Anspruch, jedes menschliche Verhalten und Empfinden erklären zu können und gibt so dem Einzelnen keine Rückzugsräume. Eine individuelle Freiheit, die im buddhistischen Sinne gar nicht existiert, kann und muss auch nicht geschützt oder garantiert werden.
3. Perspektiven – Synergien
Buddhismus und Freimaurerei haben viele Gemeinsamkeiten und kaum unvereinbare Unterschiede. Zwar werden verschiedene Schwerpunkte gelegt und unterschiedliche Wege eingeschlagen, doch gibt es viele Ansätze zum gegenseitigen Lernen. Die Freimaurerei will gar nicht auf jede Frage eine Antwort geben. Hier kann der Buddhismus weiterführen. Im Gegenzug ist die Freimaurerei ein idealer Trainingsplatz für alle Menschen, die sich undogmatisch neu orientieren und entwickeln wollen – ein Ansatz, der im buddhistischen Sinne nur gutgeheißen werden kann. Die Freimaurerei ist im buddhistischen Sinne heilsam. Die Wirksamkeit der freimaurerischen Methodik bestätigt dabei buddhistische Kerngedanken.