Betrachtungen über die Sprache

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Die Sprache ist ein hohes Kulturgut. Forschungen über ihre Entstehung führen bestenfalls 6000 Jahre zurück und verlieren sich dann im Dunkel der Vergangenheit. Aber was sind 6000 Jahre im Vergleich zum Alter der Spezies „homo sapiens“. Was ind sie, wenn man bedenkt, daß der Neandertaler, einer unserer Urahnen, schon vor etwa 1 Million Jahren auf dieser Erde gelebt und wohl schon gesprochen hat. Was war das für eine Sprache? Wir wissen es nicht. Waren die ersten menschlichen Laute, die sogenannten Wortwurzeln, nur Nachahmung von Tierlauten, waren sie Ausdruck von Lust- und Unlustgefühlen oder notwendige Zurufe zur Koordination gemeinsamer Tätigkeit? Es gibt nur Vermutungen und Hypothesen über den Ursprung der Sprache, keine gesicherten Erkenntnisse.

Aber was ist Sprache? Die allgemein gegebene Definition lautet: Ein Vorrat von sinnlich wahrnehmbaren Zeichen, die allein oder miteinander verbunden der Verständigung dienen. Das ist sicher eine gute und richtige Erklärung, aber sie scheint mir sehr abstrakt und damit eigentlich unbefriedigend zu sein, denn sie wird der kulturellen Bedeutung der Sprache nicht gerecht. Daher wollen wir uns über diese Definition hinaus später einige Gedanken machen.

Sprache entspringt jener besonderen Geisteskraft, die der Mensch den Tieren voraus hat, nämlich Vernunft. Vernunft ist die Fähigkeit, Begriffe zu bilden. Begriffe sind von den anschaulichen Vorstellungen, die auch das Tier hat, völlig verschieden. Sie sind abstrakt und lassen sich nur denken. Diese Begriffe und der vernünftige Umgang mit ihnen, ihre logische Verknüpfung also, sind die Voraussetzung zu planmäßigem Handeln, zu wissenschaftlicher Tätigkeit und die eigentliche Grundlage der Sprache. Um nun mit Begriffen arbeiten, das heißt denken zu können und um sich mit ihrer Hilfe verständlich zu machen, muß man sie an eine mit den Sinnen faßbare Form binden. Das Wort ist danach tatsächlich das sinnliche Zeichen des Begriffs und als solches das notwendige Mittel, ihn im Bewußtsein zu fixieren. Nur mit dem Wort ist uns die jederzeitige Wiederholung, also die Erinnerung und Aufbewahrung von Begriffen möglich, und nur mittels der Worte können wir logische Begriffsoperationen durchführen, also urteilen, Schlüsse ziehen, vergleichen usw. Es kommt auch vor, daß Begriffe ohne deutlichen Gebrauch ihrer Zeichen, also von Worten, unser Denken beschäftigen, wenn wir z. B. eine Gedankenkette sehr schnell durchlaufen. Aber das ist die Ausnahme, welche eine große Übung der Vernunft voraussetzt, die eben nur durch die Sprache erlangt werden kann.

Das Denken funktioniert etwa so, wie ein Computer funktioniert. Die Worte, also die sinnlichen Zeichen der Begriffe, werden mit großer Geschwindigkeit aus unserem Begriffs- bzw. Wortschatz ausgesucht, nach den Gesetzen der Logik miteinander verkettet und zu Gedanken geformt. Und wir denken eigentlich immer, wenn wir grübeln, lesen, sprechen oder zuhören. Was geschieht nun in unserem Kopf, wenn z. B. jemand zu uns spricht? Übersetzen wir etwa seine Rede in anschauliche Vorstellungen, die blitzschnell an unserem Bewußtsein vorüberfliegen, sich aufbauen, verknüpfen und umgestalten, je nach dem Gebrauch der Worte und ihrer grammatischen Anordnung? Das gäbe aber einen Tumult in unserem Gehirn, wenn wir jemandem zuhören oder ein Buch lesen. So kann das also nicht vor sich gehen. Der Sinn einer Rede wird vielmehr unmittelbar aufgefaßt, ohne daß sich in der Regel dabei anschauliche Bilder einmengen. Vernunft spricht zur Vernunft und hält sich dabei in den Grenzen der abstrakten Begriffe, welche ein für allemal gebildet sind, und die in verhältnismäßig geringer, überschaubarer Zahl die unendliche Mannigfaltigkeit der konkreten Objekte in dieser realen Welt und die vielen abstrakten Vorstellungen enthalten und vertreten. Weil nun das Tier keine abstrakten Begriffe kennt, kann es nicht sprechen, obwohl es die Werkzeuge der Sprache und auch die anschaulichen Vorstellungen mit uns gemein hat.

Wie sehr aber der Gebrauch der Vernunft an die Sprache gebunden ist, sehen wir an den Taubstummen, die, wenn sie keine Sprache erlernt haben, z. B. die Taubstummensprache, nur ein beklagenswertes geistiges Niveau besitzen. Sie haben nur eine passive, keine aktive Vernunft. Wort und Sprache sind also unentbehrliche Mittel, nicht nur zur Verständigung unter uns Menschen, sondern auch zum deutlichen Denken. Aber wie auf dieser Welt alles zwei Seiten hat, so auch die Sprache. Zum einen erschließt sie uns ungeheure Möglichkeiten des Verständnisses und der Verständigung, zum anderen faßt sie den unendlich beweglichen, in allen Farben schillernden facettenreichen Gedanken in eine feste Form, eben den Begriff, und indem sie ihn mit einem Wort fixiert, macht sie ihn zwar handlich, aber sie fesselt auch und legt ihn innerhalb bestimmter Grenzen fest.

Es ist höchste Zeit, daß wir uns jetzt genauer mit dem Begriff befassen, dem Gegenstand der Vernunft und der eigentlichen Grundlage der Sprache. Die Realität, die uns umgebende Wirklichkeit ist eine Einheit, ein Continuum ineinander übergehender, miteinander verwobener Erscheinungen. Eine solche Erscheinung ist z. B. der Wald. Bei näherer Betrachtung bemerken wir, daß dieser Wald aus vielen Einzelerscheinungen besteht, die eng miteinander zusammenhängen, aus Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Pilzen, Moosen u.s.w. Die Bäume wiederum können unterschieden werden in Eichen, Buchen, Kiefern, Fichten usw.; eine Eiche nun wieder in Wurzel, Stamm und Laubwerk. Jede Erscheinung besitzt Eigenschaften und Merkmale, die sie mit anderen teilt, oder die sie von anderen unterscheidet, die Farbe z. B., die Größe, Festigkeit, Lebendigkeit, das Alter usw. Wenn wir sie verstehen, wenn wir sie in des Wortes eigentlicher Bedeutung begreifen wollen, dann müssen wir diese Erscheinungen voneinander abgrenzen und in eine Ordnung bringen. Das geschieht, indem wir die Einheit der miteinander verwobenen Erscheinungen unterbrechen, bestimmte Merkmale, die uns zusammengehörig erscheinen, zu einem Gebilde zusammenfassen, sie sozusagen unter einem Begriff begreifen und ihm einen Namen geben. Das kann durchaus unter verschiedenen Aspekten vor sich gehen, je nachdem, welche Gesichtspunkte für den Betrachter bedeutsam sind. Die Zusammenfassung ist absolut willkürlich und kann von jeder Sprachgruppe anders gehandhabt werden, wie durch die Praxis auch bewiesen wird. Der Begriff ist also kein Etikett, das auf einen gegebenen Gegenstand geklebt und dann benannt wird, sondern vielmehr eine Zusammenfassung vieler Merkmale zu einem, aus diesen Merkmalen bestehenden einheitlichen Ganzen. Bei dieser Begriffsschöpfung, denn es handelt sich hier um einen schöpferischen Akt, greifen die Völker oder Sprachgemeinschaften mit verschiedenen Händen zu, je nach dem Gesichtspunkt, der sie leitet. Das hat zur Folge, daß die Begriffe oder Worte in den einzelnen Sprachen – 3000 soll es auf dieser Erde geben – sich nicht immer decken.

Zu diesem Thema findet sich in der „Stilkunst“ von Ludwig Reiners unter der Überschrift: „Waren die Griechen farbenblind“ ein bemerkenswerter Beitrag, welcher zeigt, wie unterschiedlich und willkürlich in den einzelnen Sprachen Begriffe entstanden sind. Euripides, so heißt es da, sagt in der Iphigenie, die Simse des Altars seien vom Blute „xanthen“ gewesen. Das Wort scheint also rot zu bedeuten und bei lateinischen Schriftstellern wird es auch ausdrücklich mit „ruber“, also rot, gleichgesetzt. Aber Äschylos nennt in den „Persern“ auch die Blätter des Ölbaums „xanthen“, danach wäre es doch eher mit grün zu übersetzen. Doch auch der Honig wird gelegentlich „xanthon“ genannt. Die Bedeutung dieses Wortes spielt also auch in das Gelbliche hinüber. Ähnlich schwankend verwandten die Griechen auch andere Farbnamen. „Ochron“ bezeichnet im allgemeinen die Hautfarbe und wird mit blaß übersetzt. Aber in einem ärztlichen Buch wird auf die Frage, woran der Arzt die Fieberhitze erkenne, geantwortet, daran, daß der Kranke „ochron“ wird. Hippokrates sagt dagegen einmal ausdrücklich, „“ochron“ sei die Farbe des Feuers. Zu allem Unglück wird an anderer Stelle die Farbe des Frosches „ochron“ genannt; sollte danach „ochron“ auch grün bedeuten?

Ein drittes Beispiel. Die Farbe des Mondes heißt „glaukon“. Das gleiche Beiwort erhalten Augen, die vorher als feuerfarbig geschildert wurden. Das Wort scheint ein leuchtendes Rot zu bezeichnen. Aber Platon erläutert „Glaukon“ als Mischung von Weiß und azurfarben. Danach scheint es eine hellblaue Färbung auszudrücken, und die Römer erklärten ausdrücklich, es bedeute dasselbe wie „caesius“, also blaugrau. Schließlich nennt Euripides eine mit Blättern bekränzte Flur „glaukon“, also kommt das Wort auch im Sinne von „grün“ vor. Manche Gelehrte helfen sich damit, „glaukon“ einfach mit glänzend zu übersetzen, und der Sekundaner nennt die „Glaukopis Athene“ Homers „helläugig“. Aber diese Aussage scheint fragwürdig, denn die Augenkrankheit „Star“ heißt im Griechischen „Glaukoma“. Bei ihr wird das Auge aber nicht glänzend oder hell, sondern trübe.

Wie ist das alles zu erklären? Wir haben verstanden, daß manches Volk aus der unendlichen Mannigfaltikeit der Farbübergänge andere Töne zu einem Farbbegriff vereinigt als wir. Z. B. die Farbe des Heideröschens und die Farbe des Blutes haben etwas gemeinsam, das wir Rot nennen, und so fassen wir diese Farbtöne unter dem Namen „rot“ zusammen. Ein anderes Volk aber findet vielleicht, die Farbe des Heideröschens und die Farbe eines jungen Birkenblättchens hätten ein gemeinsames Merkmal, nämlich die Helligkeit. Dieses Volk würde aus rosa und hellgrün den Begriff „hellfarbig“ bilden und nie zu den Worten Grün und Rot gelangen. So haben eben die Griechen ganz andere Töne, also ganz andere Merkmale zu einheitlichen Farbbegriffen vereinigt als wir.

Ein letztes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Völker Begriffe bilden. „Herr“ wird in’s Englische mit „Gentleman“ übersetzt. Obwohl dies die einzig mögliche Übersetzung ist, befriedigt sie nicht, denn diese beiden Worte haben zwar einige gleiche Merkmale, aber auch einige andere, in denen sie nicht übereinstimmen. Gleiche Merkmale sind z. B. Mensch, männlich, vornehm, Haltung. Das deutsche „Herr“ umgreift aber auch Merkmale wie überlegen, Gebieter, die das englische Wort „Gentleman“ nicht kennt. Dafür enthält „Gentleman“ wieder andere Merkmale, die dem Wort „Herr“ fremd sind, z. B.: Liebenswürdig, sympathisch, menschlich, tolerant.

Diese Betrachtungen machen es verständlich, daß Worte oder die ihnen zugrundeliegenden Begriffe nicht immer eindeutig sind, weil manche ihrer Merkmale auch in anderen Worten enthalten sein können, vereint mit anderen Merkmalen zu einem Ausdruck ähnlicher oder ganz unterschiedlicher Bedeutung. Worte und Begriffe haben also eine Sinn-Sphäre, die andere Worte und Begriffe teilweise decken oder auch ganz einschließen können. Je entwickelter die Sprache ist, um so größer sind die Möglichkeiten, sich in ihr präzise auszudrücken. Die Sprachgemeinschaft bindet ihre Angehörigen an den Sprachinhalt, an die Summe der Merkmale und Eigenschaften, die damit erfaßt sind und an die Art und Weise, wie und nach welchen Gesichtspunkten diese zu Begriffen und Worten zusammengefaßt wurden. Man kann nur das denken, wofür Worte vorhanden sind. Da nun die Begriffsschöpfung, wie wir gesehen haben, willkürlich erfolgt, je nach den Gesichtspunkten, d. h. nach den Gewohnheiten, Ansichten, Absichten und Wertvorstellungen, von denen eine Sprachgemeinschaft geleitet wird, ist es oft schwierig, eine Sprache in die andere einwandfrei zu überstzen. Zugleich aber gibt die Art und Weise der Begriffsschöpfung und die dadurch erworbene Ausdrucksmöglichkeit interessante Hinweise auf den Cahrakter, das geistige Niveau und die kulturelle Bedeutung eines Volkes. Die Sprache ist sein Spiegelbild.

Das war eine Analyse der Sprache. Ich möchte sie nicht abschließen, ohne die Linguistik, die moderne Sprachforschung, zu erwähnen. Es würde zu weit führen, ihr Wesen und ihre Ziele hier ausführlich zu behandeln. Nur soviel sei gesagt: Sie ist eine sehr formale Wissenschaft. Sie stellt sich die Aufgabe, Regeln über den Aufbau der Sprache zu ermitteln, Probleme der automatischen Übersetzung, der Datenverarbeitung und der Computersprache zu untersuchen, und sie befaßt sich daneben auch mit den Zusammenhängen zwischen Denken und Sprache.

Nun soll uns die Bedeutung der Sprache, hauptsächlich der deutschen Sprache, stellvertretend für alle anderen Sprachen für unser geistiges und kulturelles Leben beschäftigen.

Die Sprache ist ja nicht nur ein Medium, ein bloßes Mittel der Verständigung. Unsere großen Sprachschöpfer, Luther, Goethe, Nietzsche und in neuerer Zeit Thomas Mann, haben sich ihrer nicht nur gestaltend und kunstvoll bedient, haben ihr nicht nur erstaunliche Schönheit und Ausdruckskraft geschenkt und unser aller Denken und Fühlen bereichert und damit das geistige Leben der Nation geprägt, sondern sie haben die Sprache selbst zu einem Kunstwerk gemacht. Sie haben ihr Form, Stil, Melodie und Rhythmus verliehen. Unsere Sprache ist ein hohes Kulturgut, das wir um unserer selbst willen zu bewahren haben und dem wir verpflichtet sind. Wie ein solches sollten wir sie behandeln und nicht nur ge- ver- oder gar mißbrauchen. Es ist die Aufgabe und die kulturelle Erfüllung der feinen Geister, insbesondere der Schriftsteller, Dichter und Philosophen, die Sprache weiter zu entwickeln, unbestimmte Gedanken und Gefühle, die quälend im Bewußtsein herumziehen, die sich bald dieser, bald jener Vorstellung nähern, die nach Form und Ausdruck suchen, in Begriffe und Worte zu fassen und der Aufforderung Goethes nachzukommen:

„Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
befestigt mit dauernden Gedanken“.

Das ist der Anspruch; aber wie sieht die Wirklichkeit heute aus?

Natürlich entstehen beinahe täglich durch die stürmische Entwicklung von Wissenschaft und Technik neue Worte. Aber das ist nur Klein- oder Trinkgeld und zählt nicht, das macht uns menschlicher nicht reicher und verwirrt uns oft mehr als es nutzt. Denken wir doch nur an das unverständliche Fach-Chinesisch der Soziologen, Pädagogen, Politologen und Psychologen. Die großen kulturellen Gewinne entbehren wir seit längerer Zeit. Wir zehren nicht nur von der sprachlichen Substanz, sondern es zeichnen sich Entwicklungen ab, die Schlimmeres befürchten lassen. Da gibt es z. B. unter den Pädagogen Bestrebungen, die sogenannte Hochsprache durch eine einfachere Verkehrssprache zu ersetzen. Die kultivierte Sprache wird zum sozialen Ärgernis, und Sprache überhaupt zum Instrument des „Klassenkampfes“. Die zeitgenössische Literatur scheint mehr und mehr auf diese Linie einzuschwenken in der Erkenntnis, daß mit einem lockerem Umgangston in Wort und Schrift, mit Fäkal- und Pornosprache offenbar auch bessere Umsätze zu erzielen sind als mit der Sprache der Gebildeten. Das sind Angriffe von unvermuteter Seite, denn gerade Schule, Universität und Literatur sind doch in besonderer Weise zur Sprachpflege bestimmt. Bei unseren Überlegungen ist klar geworden, daß von der Verfassung der Sprache abhängt, was in ihr gedacht und gesagt wird. Eine saftlose Sprache bedeutet verwaschenes Denken. Jeder Verfall der Sprache beeinträchtigt die Moral, jeder Verfall der Moral schlägt sich in der Sprache nieder. Ein Volk, dessen Sprache nicht mehr wächst, stagniert auch in seiner Entwicklung. Milde ausgedrückt bemerken wir in unserem Vaterlande beunruhigende Anfänge einer solchen Tendenz. In fast allen Bereichen zeigt sich ein leichtfertiger Umgang mit der Sprache, saloppe Ausdrucksweise und zunehmende englisch-amerikanische Überfremdungen, besonders in der Technik, der Werbung und der Rock- und Popszene prägen den Ton und bestimmen die Lebenshaltung vor allem junger Menschen in Deutschland. Ein gutes Gespräch wird zur Seltenheit. Die Besinnung auf unser kulturelles Erbe in Schule und Hochschule, die dieser fatalen Entwicklung Einhalt gebieten könnte, findet nicht statt. Dieser bedenkliche Umgang mit der Sprache und die Neigung auf eigene Tradition zu verzichten, könnte uns im Wettbewerb der Nationen leicht unseren kulturellen Rang kosten. Es stimmt schon, was ein Sprachforsche einmal gesagt hat: Der Sprachverderber ist der eigentliche Hochverräter. Ein Volk, das in steigendem Maße von fremden Sprachelementen überfremdet wird, verliert allmählich seinen Charakter und seine Identität.

In unserer heutigen Situation spiegelt sich die geschichtliche Erfahrung, daß Machtverschiebungen, vor allem nach verlorenen Kriegen, Sprach- und damit Denk- und Verhaltensänderungen zur Folge haben. Sprache ist eine mächtige Waffe. Das Wort kann die Welt verändern zum Guten und zum Bösen. Die Geschichte hat dafür viele Beispiele. Das Wort Christi und gegensätzlich dazu das Wort Hitlers. Die Demagogen kennen die Macht dieser Waffe, und mit der Sprache rücken sie dem Bewußtsein besonders der leicht verführbaren Masse demagogisch zu Leibe. Demagogisch ist es, Begriffe mit Absicht unzulässig und sinnverwirrend zu überdehnen oder zu verkürzen, Merkmale in sie hineinzumogeln, die nicht hineingehören, oder wichtige Merkmale wegzulassen. So nennt man heutzutage jemanden einen Mörder, der von Amts wegen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verhütung von Schäden eine rechtlich unanfechtbare Anordnung gegeben hat, durch deren Nichtbefolgung ein anderer zu Tode kommt. Der Begriff „Mörder“ ist zum Zweck der Täuschung überdehnt. Der Sachverhalt, in welchem besonders die schadensverhütende Absicht hervortritt, rechtfertigt die Verwendung des Begriffes „Mörder“ nicht. Dieses Merkmal ist dem „Mörder“ fremd, ganz abgesehen davon, daß der Tod mit der kritisierten Anordnung in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. Demagogisch bewährt sich auch die Zusammenfassung zweier unterschiedlicher Begriffe zu einem Schlagwort. Der eine Begriff hat dabei meist eine positive, der andere eine negative Bedeutung. „Berufsverbot“ ist dafür ein gutes Beispiel. Es wird immer noch von Anhängern politisch extremer Parteien benutzt, wenn Beamtenanwärter wegen verfassungsfeindlicher Betätigung nicht in den Staatsdienst übernommen werden. Die Abweisung ist folgerichtig und legal, man kann den Bock nicht zum Gärtner machen. Dem Betroffenen wird dabei keineswegs die Ausübung seines Berufes untersagt, wie das Schlagwort weismachen will, nur Beamter kann er nicht werden, weil er eine dafür notwendige Voraussetzung nicht erfüllen will, nämlich aktiv für das Grundgesetz einzutreten. Ein Jurist wird nicht gehindert, seinen Beruf z. B. als freier Anwalt oder Syndikus auszuüben. Jeder Mensch in unserem Staat kann sich sonst betätigen wie und wo er will, auch wenn er der Verfassung kritisch oder feindlich gegenübersteht. Auch hier liegt eine Überdehnung vor, denn der Sachverhalt schließt allenfalls eine selbst zu verantwortende Einschränkung der Berufsausübung und kein Verbot derselben ein und wird durch das Schlagwort „Berufsverbot“ nicht gedeckt. Dasselbe gilt für ähnliche Schlagworte wie Isolationsfolter, Wegrationalisieren, Kriminalisieren usw. Demagogie lebt vom Mißbrauch der Sprache.

Das waren einige Betrachtungen über die Sprache. Ich schließe sie mit einem Wort von Ernst Moritz Arndt, dem ich nichts mehr hinzufügen will, obwohl so manches noch zu sagen wäre:

„Was die Sprache verwirrt und verrückt und auf irgendeine Weise den klaren Fluß trübt, das hat auch den Einfluß der Verwirrung, Verrückung und Trübung des ganzen Volkes. Denn ein geistigeres und innigeres Element als die Sprache hat ein Volk nicht. Will also ein Volk nicht verlieren, wodurch es Volk ist, will es seine Art mit allen Eigentümlichkeiten bewahren, so hat es auf nichts so sehr zu wachen, als daß ihm seine Sprache nicht verdorben und zerstört werde.“

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